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    grass-grown stone stairs with stone walls on either side

    Er ist nicht hier

    von Giovanni Papini

    Montag, 18. März 2024
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    Die Sonne stand noch ungeboren hinter dem Tag, der bei uns des Herren Tag ist, als die Frauen sich schon auf den Weg zum Garten machten. Aber auf den Hügeln im Osten wuchs es schon wie helle Hoffnung, leicht wie das ferne Herüberschimmern eines Landes, das ganz in Lilien und Silber steht; der Morgen wuchs und schritt langsam herein, unter den Atemzügen der Sternbilder; Zug um Zug wich vor ihm das Glühen und Sprühen der Nacht. Es war eine von den ruhevollen Morgenfrühen, wo einem schlafende Kinder einfallen und alles Schöne, was sie versprechen; die Luft, klar und weich, ist wie wenn Engelsflügel ihr die Bewegung gaben. Ein jungfräulich sich erhebender Tag, strahlend bleich, heiter errötend, von Kühle durchrieselt, einen keuschen Mut entfachend .

    Die Frauen schritten, zerstreut vor Traurigkeit, durch die fächelnde Dämmerung, wie im Banne einer Stimmung, von der sie nicht hätten sagen können, woher sie kam. Gingen sie denn wirklich nur: wieder weinen am Stein? nur, ihn noch einmal sehen, der ihnen die Herzen weggenommen hatte, ohne sie zu brechen? nur, noch weitere Wohlgerüche, stärkere als die des Nikodemus, auf die Leiche des Geopferten hinlegen? Sie sprachen zueinander:

    »Wer wird uns den Stein von der Tür des Grabes wegwälzen?«

    Es waren ihrer freilich vier, denn zu Maria von Magdala und Maria von Bethanien hatten sich Johanna, des Chusa Weib, und Salome gesellt; aber es waren lauter Frauen, doppelt schwach in ihrem Herzeleid.

    Aber als sie vor den Felsen hinkamen, erstarrten sie vor Staunen: schwarz gähnte ihnen aus der Öffnung das Dunkel der Grabhöhle entgegen. Den Augen nicht trauend, tastete die Mutigste mit zitternden Händen nach den Pfosten. Das wachsende Morgenlicht zeigte ihnen den Verschlußstein an den Felsen gelehnt.

    Stumm vor Schrecken blickten die Frauen um sich, als erwarteten sie, daß jemand käme und ihnen sagte, was sich in den zwei Nächten, die sie weggewesen waren, zugetragen hatte. Maria von Magdala dachte sofort, die Juden hätten in der Zwischenzeit die Leiche Jesu wegschaffen lassen, nicht zufrieden mit dem, was sie ihm im Leben angetan hatten. Vielleicht hatten sie die Leiche, aus .Ärger über die für einen Abgefallenen allzu ehrenvolle Bestattung, in die Schandgrube werfen lassen, in die man Gesteinigte und Gekreuzigte wirft?

    Was sucht ihr den Lebenden unter den Toten?

    Aber das war wohl nur so ein Vorgefühl; vielleicht ruhte Jesus doch noch drinnen in seinem traurigen Bündel. Hineinzugehen getrauten sie sich nicht; und doch konnten sie sich auch nicht entschließen, ohne etwas Gewisses erfahren zu haben, umzukehren. Als nun die Sonne endlich über dem Laubhang aufgetaucht war und in die Graböffnung hineinleuchtete, nahmen sie sich zusammen und traten ein.

    Fürs erste sahen sie nichts; aber ein neuer Schrecken traf sie: zur Rechten schien ein weißgekleideter Jüngling auf sie zu warten; sein Gewand schimmerte und strahlte dort in der Finsternis wie Schnee.

    »Erschrecket nicht! Der, den ihr sucht, ist nicht hier; er ist auferstanden. Was sucht ihr den Lebenden unter den Toten? Denkt ihr nicht an das, was er in Galiläa gesagt hat: daß er in die Hände der Sünder fallen und am dritten Tage wieder auferstehen werde?«

    Die Frauen hörten bestürzt und zitternd zu, fanden aber keine Antwort. Der Jüngling fuhr fort:

    »Geht hin und sagt seinen Jüngern, daß Jesus auferstanden ist und daß sie ihn bald sehen werden.«

    Alle vier verließen die Höhle, zitternd vor Schrecken und vor Freude, und liefen, den Auftrag auszurichten. Aber sie waren noch nicht weit gekommen, kaum zum Garten hinaus, da blieb Maria von Magdala stehen, während die andern, ohne auf sie zu warten, weitereilten. Sie wußte wohl selber nicht, warum sie zurückblieb. Vielleicht hatten die Worte des Unbekannten sie nicht ganz überzeugt; sie hatten sich ja gar nicht vergewissert, ob die Grabstelle wirklich leer war; konnte es denn nicht sein, daß der junge Mann mit den Priestern im Bund war und sie betrog?

    Sie kehrte plötzlich um, und gegen die Sonne, ins Grüne blickend, sah sie in unmittelbarer Nähe einen Mann dastehen. Sie erkannte ihn aber nicht, auch nicht, als er sich vernehmen ließ:

    »Frau, was weinst du? Wen suchst du denn?«

    Maria meinte, das sei der Gärtner des Joseph, in aller Frühe zur Arbeit hergekommen.

    »lch weine, weil sie meinen Herrn weggenommen und ich nicht weiß, wohin sie ihn gelegt haben. Wenn du ihn fortgetragen, sag' mir, wohin du ihn gelegt hast, so werde ich ihn holen.«

    Gerührt von so viel leidenschaftlicher Offenheit, einfacher Kindlichkeit, antwortete der Unbekannte mit einem einzigen Wort, bloß mit einem Namen, ihrem Namen; aber da, legte er etwas Rufendes, einen Vorwurf hinein; die Stimme klang so eindringlich, unvergeßlich, wie sie es oft und oft von ihm gehört hatte:

    »Maria!«

    Die Verzweifelte erwachte jetzt gleichsam, auf einmal; sie hatte ihren Verlorenen wieder:

    »Rabboni, Meister!«

    Und sie fiel ihm zu Füßen dort auf dem taunassen Rasen; sie umfing diese Füße mit ihren Händen, diese bloßen Füße, auf denen die roten Flecken noch waren von den Nägeln.

    Aber Jesus sagte:

    »Rühr mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgestiegen zu meinem Vater. Geh vielmehr zu meinen Brüdern und sag' ihnen: ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater. Und sag' ihnen, daß ich ihnen nach Galiläa voran• gehe.«

    Und sogleich machte er sich von der Knienden los und entfernte sich zwischen den Sträuchern, von der Sonne umflossen.

    Maria schaute ihm nach, bis er verschwunden war. Dann erhob sie sich wie außer sich, blind vor Glück, und lief den Gefährtinnen nach. Dieselben waren kurz vor ihr im Hause eingetroffen, wo sich die Jünger verborgen hielten; sie hatten das Unglaubliche schon erzählt, mit sich überstürzenden Worten, voller Schrecken: das vom offenstehenden Grab, vom weißgekleideten Jüngling; was er alles gesagt hat, der Meister sei auferstanden; er habe auch einen Auftrag an die Brüder gegeben.

    sie hatte ihn selber gesehen

    Aber die Männer, aus dem Geleise geworfen durch den Schicksalsschlag, die wollten die sonderbare Neuigkeit nicht glauben. Einbildungen! sagten sie!

    In diesem Augenblick kam auch noch Maria von Magdala dazu, außer Atem vom Laufen und von der Aufregung. Sie bestätigte, was die andern erzählt hatten, alles. Aber sie hatte noch etwas: sie hatte ihn selber gesehen, mit diesen ihren Augen da; er hatte mit ihr gesprochen; zunächst war sie dessen gar nicht gewahr geworden; aber als er sie beim Namen rief, hatte sie ihn erkannt; sie hatte seine Füße mit ihren Händen berührt, hatte die Wunden darauf gesehen. Er war es gewiß, lebendig wie früher. Und er hatte ihr gerade wie der Unbekannte befohlen, zu den Brüdern zu gehen, damit die es auch erführen: daß er auferstanden ist, wie er es vorhergesagt.

    Er sah und glaubte

    Simon und Johannes rafften sich endlich auf, stürzten aus dem Haus und fingen zu laufen an, in den Garten des Joseph. Johannes, der jünger war als der andere, lief voraus und kam früher ans Grab.Er steckte den Kopf zur Öffnung hinein und sah die Linnentücher am Boden liegen, er sah und glaubte. Simon holte ihn schnaufend ein und trat ohne weiteres unter die Wölbung. Die Leinwandstreifen waren auf dem Boden umhergestreut; das Schweißtuch aber, das um den Kopf der Leiche gewickelt worden war, lag zusammengelegt eigens. Auch Johannes trat herein; Wortlos kehrten sie in aller Eile zum Hause zurück, immer noch laufend, als müßten sie den Auferstandenen inmitten der andern, die sie eben verlassen hatten, treffen.

    Detail from Jacob's Ladder by Rita Wegner
    Von

    Giovanni Papini (9. Januar 1881- 8. Juli 1956) war ein italienischer Schriftsteller. In „Das Leben des Herrn“ (Storia di Cristo - 1921) erzählt er das Leben Jesu, nach dem Vorbild der Evangelien.

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