Die geleugnete Natur | Sachbuch | Abigail Favale | (Herder Verlag, 272 Seiten)

In ihrem Buch Die geleugnete Natur zeigt Abigail Favale auf wunderbare Weise einen ausgewogenen Ansatz für das schwierige Thema der Geschlechtsdysphorie auf. Favale, Englischprofessorin und Dekanin an der George Fox University, hing zu Beginn ihrer Karriere der postmodernen feministischen Theorie an, bevor sie, fasziniert von der Lehre über die Inkarnation Christi, in die katholische Kirche eintrat. Indem sie persönliche Erzählungen, akademische Forschung und theologische Einsichten miteinander verwebt, legt Favale einen Leitfaden für die Gender-Debatte vor, der besonders für Christen hilfreich sein wird, unabhängig von ihren derzeitigen Ansichten zu diesem Thema.

Nachdem sie ihre eigene Geschichte erzählt hat, bietet Favale eine klare und detaillierte Darstellung der Schöpfungsgeschichte in Genesis, die sie nicht nur mit anderen antiken Schöpfungsmythen – vom babylonischen Enūma Eliš bis zu Platons Timaios – vergleicht, sondern auch mit dem „postmoderne Gender-Paradigma“. Im christlichen Kosmos, so Favale, ist „sexuelle Differenzierung kein Missgeschick, sondern ein Grund zum Feiern und Staunen“. Unsere Körper sind gut, fährt sie fort, denn „der Körper offenbart die Person. . . . Die Existenz eines jeden Menschen ist einzigartig, und unser einzigartiges Personsein kann anderen nur durch unsere Körperlichkeit bekannt gemacht werden.“

Der Unterschied zwischen der traditionellen christlichen Lehre und dem heute vorherrschenden Gender-Paradigma besteht vor allem in ihren Auffassungen von der Wirklichkeit und ihrer Beziehung zur Sprache. In der Genesis „schafft die göttliche Sprache die Wirklichkeit; die menschliche Sprache identifiziert die Wirklichkeit“. Im Gegensatz dazu „gehen die meisten Gender-Theorien davon aus, dass das, was wir als ‚Realität‘ betrachten, eine sprachliche und soziale Konstruktion ist“. Mit anderen Worten: Die menschliche Sprache schafft die Wirklichkeit, anstatt sie zu identifizieren. Aufbauend auf dieser zentralen Unterscheidung wird im Mittelteil des Buches die intellektuelle Genealogie verschiedener Formen feministischen Denkens vorgestellt, vom Existentialismus bis zur Intersektionalität. Diese werden nicht nur miteinander in Beziehung gesetzt und kontrastiert, sondern auch mit der christlichen Weltanschauung.

Der letzte Abschnitt des Buches ist besonders eindrucksvoll. Mit Sensibilität und Mitgefühl erzählt Favale die Geschichten von Männern und Frauen, die sagen, dass sie durch die Gender-Theorie Schaden genommen haben. Sie betont, dass „Transidentitäten eine Sehnsucht nach Ganzheit signalisieren, nach einem integrierten Selbstverständnis, bei dem der Körper die Persönlichkeit widerspiegelt. Dieser Wunsch ist grundsätzlich ein guter Wunsch“. Favale bekräftigt zwar das Gute an diesem Wunsch nach Integration, warnt aber auch: „Der Irrtum besteht darin, zu glauben, diese Integration müsse durch Kunstgriffe, durch Gewalt gegen den Körper, erreicht werden, anstatt anzuerkennen, dass wir von Natur aus integriert sind.“

Favale ruft Christen dazu auf, Menschen, die sich als Transgender identifizieren, als geliebte Kinder Gottes anzunehmen. Sie erzählt die Geschichten von Menschen wie Addy, deren katholische Mitbewohnerin geduldig zuhörte und fragte, wie Addy den Glauben an das orthodoxe Christentum mit ihrer Transgender-Identität in Einklang brachte, und dabei Liebe und Akzeptanz zeigte. In der Sicherheit solcher Beziehungen, so Favale, gibt es Raum für „keine Negation des Selbst, sondern eine Wiederentdeckung; keine Ablehnung der Identität, sondern eine Entfaltung“.

Da sich die Geschlechternormen in unserer Gesellschaft weiter verschieben, ist Favales Buch ein unverzichtbarer Leitfaden für Christen, die ihren transidenten Mitmenschen im Geiste der Wahrheit und der Liebe begegnen wollen.