Subtotal: $
Checkout-
Drei Säulen der Erziehung
-
Die Kunst des Flickens
-
Leere Bänke
-
Kunst, Kultur, Reparatur
-
Erneuerte Beziehungen
-
Gefängnis als Reparatur
-
Leserreaktionen
-
Bildung im Gefängnis
-
Eine Gemeinde für einen Gefangenen
-
Reparatur leicht gemacht
-
Mit Hammer und Zange
-
Die süße Kraft grüner Energie
-
Ein Lob dem Reparieren
-
Nur dein Handwerker
-
Der geheilte Boden
-
Die Heimat, die du in dir trägst
Aug’ in Aug’
Tears of Gold, ein neues Kunstbuch des Plough-Verlags, lässt Frauen zu Wort kommen, die in Krisengebieten Gewalt überlebt haben.
von Hannah Rose Thomas
Donnerstag, 2. Mai 2024
Verfügbare Sprachen: English
Nächster Artikel:
Entdecken Sie andere Artikel:
Die fähigkeit einem Leidenden seine Aufmerksamkeit zu schenken, ist ein sehr seltenes und schwieriges Ding; es ist fast ein Wunder; nein, eigentlich ist es ein Wunder“, schreibt Simone Weil, denn es stellt die Menschlichkeit des Leidenden wieder her. Die Aufmerksamkeit, von der Weil spricht, ist kein falsches Mitleid. Sie ist eine Art, den anderen wahrzunehmen und ihm zuzuhören, eine Art, ihm Anerkennung zu schenken. Sie erfordert eine Offenheit oder Empfänglichkeit, eine Bereitschaft, der Realität des Leidens des anderen zu begegnen.
Tears of Gold (Tränen aus Gold) beinhaltet meine Porträts von jesidischen Frauen, die der Sklaverei der ISIS entkommen sind, von Rohingya-Frauen, die vor der Gewalt in Myanmar geflohen sind, von nigerianischen Frauen, die die Gefangenschaft von Boko Haram überlebt haben, sowie von afghanischen, ukrainischen, palästinensischen und uigurischen Frauen.
Im Irak und in Nigeria lehrte ich Frauen Selbstporträts zu malen. Ich hoffte, dadurch einen sicheren Ort für sie zu schaffen, an dem sie ihre Geschichten erzählen, traumatische Erinnerungen verarbeiten und ihre Stimme und Würde zurückgewinnen konnten. Als Frauen aus religiösen Minderheiten, hatten sie unter Verfolgung und Vertreibung zu leiden, und viele waren sexueller Gewalt ausgesetzt. Aufgrund des Stigmas, das diese Gewalt umgibt, waren sie in ihren Gemeinschaften mit Scham und Isolation konfrontiert.
Während des Projekts in Nigeria erzählte ich zum ersten Mal von meinen eigenen traumatischen Erlebnissen. Ihre zärtlichen Reaktionen, obwohl mein Schmerz keineswegs mit dem ihren vergleichbar war, waren zutiefst heilsam. Die Frauen erzählten, dass meine Verletzlichkeit ihnen half, sich verstanden zu fühlen. Sie erkannten, dass sie keine Schuld trugen und sich nicht schämen mussten. Die Kultur des Schweigens, die so oft in Gemeinschaften mit kollektivem Trauma vorherrscht, wurde durchbrochen.
Der Philosoph Emmanuel Levinas spricht davon, dass die Begegnung mit dem Gesicht eines anderen Menschen eine Begegnung mit dem „Unendlichen“ ist. Kann ein Porträtbild uns helfen, das Unendliche im Gesicht des anderen zu sehen?
Mutter Teresa lädt uns ein, „das Antlitz Gottes in allem, jedem, überall, zu jeder Zeit zu suchen … besonders in der erschütternden Verkleidung der Armen.“ Wie anders wäre unsere Welt, wenn wir jeden Menschen als Abbild Gottes und als gleichwertig in Gottes Augen behandeln würden. Das Blattgold in meinen Porträts symbolisiert diese Heiligkeit, unabhängig davon, was jemand erlitten hat. Die Technik erinnert absichtlich an Ikonenbilder.
Mutter Maria Skobtsova, die 1945 im Konzentrationslager Ravensbrück starb, nachdem sie vielen Juden in Paris Unterschlupf gewährt hatte, sprach von der Notwendigkeit, Menschen als „lebende Ikonen“ zu erkennen. Diese Frauen sind Überlebende, dennoch lässt sich ihr Leben nicht auf eine einzige Gewalttat reduzieren. Meine Bilder sind ein Versuch, diese „lebenden Ikonen“ zu ehren und ihre außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit und ihre Würde zu vermitteln.
Leila (31)
Sie raubten meine neun und elf Jahre alten Söhne. Sie raubten meine zehnjährige Tochter. Sie haben meinen Mann geraubt. Ich weiß nicht, ob meine Familie noch lebt. Ich bete, dass ich sie noch einmal sehen und in meinen Armen halten darf, bevor ich sterbe.
Leila beschreibt den Moment der Trennung von ihren Kindern und ihrem Mann als den Tod selbst. Manchmal durchlebt sie diesen Moment des tiefen Schmerzes und der Hilflosigkeit in Albträumen wieder, aus denen sie schreiend erwacht.
Leila wurde zwei Jahre lang im Untergrund in Raqqa, Syrien, gefangen gehalten. Dort brachte sie ihre Tochter Ghariba zur Welt. Der Name bedeutet auf Kurdisch „fremd“ und soll zum Ausdruck bringen, dass sie in eine fremde Welt mit fremden Menschen hineingeboren wurde.
am 3.august 2014 griff der Islamische Staat (ISIS/Daesh) die jesidische Gemeinschaft in Sinjar an. Tausende Jesiden wurden getötet oder entführt und Zehntausende zur Flucht gezwungen. Eine UN-Menschenrechtskommission stellte fest, dass „innerhalb weniger Tage nach dem Angriff Berichte auftauchten, wonach ISIS fast unvorstellbare Gräueltaten gegen die jesidische Gemeinschaft verübte: sie töteten Männern oder zwangen sie zur Konvertierung; sie verkauften Frauen und Mädchen, manche erst neun Jahre alt, auf dem Markt und hielten sie in sexueller Sklaverei; sie zwangen Jungen in ISIS-Ausbildungslager.“ (Die Jesiden gehören einer alten Religion an, die sich vom Christentum und dem Islam unterscheidet; die Völkermordkampagne des ISIS richtete sich auch gegen Christen und andere religiöse Minderheiten). Einem Bericht des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2022 zufolge lebten fast ein Jahrzehnt später immer noch 200.000 Jesiden als Vertriebene in Lagern, waren 2.800 jesidische Frauen und Kinder immer noch in Gefangenschaft, und wurden jesidische Frauen immer noch online verkauft.
Lalu (45)
Ich sehe viel älter aus, als ich bin
wegen des Kummers und des Leid,
das ich gesehen habe.
Das Militär von Myanmar nahm Lalus Familie gefangen und pferchte sie in ein Haus, das verbrannt werden sollte. Während die Armee weitere Menschen im Dorf zusammentrieb, konnte die Familie fliehen. Einer ihrer Neffen wurde jedoch getötet, als seine Kleidung Feuer fing, und eines ihrer Enkelkinder wurde auf der Flucht vom Militär erschossen.
Die verbliebene Familie erreichte die Grenze zu Bangladesch und überquerte den Fluss mit einem Boot. Das Militär verfolgte sie und das Boot sank, wobei ein weiteres Enkelkind von Lalu ums Leben kam. Ihr Ehemann wurde vor dem Ertrinken gerettet, erkrankte aber so schwer, dass er kurz nach ihrer Ankunft im Flüchtlingslager starb.
Lalu leidet unsagbar unter dem Verlust ihrer Angehörigen. Ihr Lebenswille ist versiegt. Ihre geistige und körperliche Gesundheit wird zunehmend schwächer.
Im august 2017 flohen mehr als 650.000 Rohingya-Muslime vor Gewalt und Verfolgung in Myanmar. Auf dem Höhepunkt der Angriffe überquerten an einem Tag hunderttausend Rohingya den Fluss nach Bangladesch. Geschätzt eine Million Rohingya fanden in der Nähe der südöstlichen Küstenstadt Cox’s Bazar in Bangladesch eine provisorische Unterkunft. Die UNO hat das gewaltsame Vorgehen des Militärs als „Musterbeispiel für ethnische Säuberung“ bezeichnet. Die meisten Menschen entkamen nur schwer traumatisiert, nachdem sie Zeugen unsäglicher Gräueltaten geworden waren: ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, Familien getrennt und getötet, Frauen und Mädchen brutal vergewaltigt.
Charity
Ich kann mich an drei verschiedene Male erinnern, an denen mein Mann mich schlug, weil ich mit einem Kind zurück kam.
Charity wurde von Boko Haram entführt, als sie mit ihrem Mann unterwegs war. Ihm gelang die Flucht, Charity aber nicht. Sie wurde drei Jahre lang gefangen gehalten und gezwungen, einen Kämpfer zu „heiraten“ und zum Islam zu konvertieren. Charity wurde vergewaltigt und brachte anschließend ein kleines Mädchen namens Rahila zur Welt.
Das nigerianische Militär rettete Charity. In einem Flüchtlingslager traf sie ihren Mann wieder. Ihr Schmerz wurde noch größer, als ihr Mann sie schlug und ihr Baby ablehnte. In dem Lager ist sie Missbrauch, Ablehnung und Isolation ausgesetzt. Der Zugang zu Nahrung und Wasser ist ein täglicher Kampf.
Seit dem beginn des Boko-Haram-Aufstands im Nordosten Nigerias im Jahr 2009 wurden Millionen von Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Boko Haram entführte Tausende von Frauen, hielt sie gefangen und setzte sie sexueller Gewalt und Zwangsheirat aus. Nach der Entführung von 276 Schülerinnen in Chibok im April 2014 ging der Hashtag #bringbackourgirls viral und wurde von Prominenten wie Kim Kardashian und Michelle Obama geteilt. Seitdem hat sich die Sicherheitslage im Norden Nigerias durch den eskalierenden Konflikt zwischen überwiegend muslimischen nomadischen Fulani-Hirten und christlichen Bauern weiter verschärft.
Zainab (22)
Der Sonnenaufgang beunruhigt mich jeden Morgen. Ich hoffe immer noch, meine Augen zu öffnen und das Lächeln meiner Mutter zu sehen. Ich sehne mich immer noch nach der Umarmung von Hana. Früher bin ich lange wach geblieben mit Ahmed, der mit seinem ansteckenden Lachen die Sorgen des Lebens vertrieb. Sein Lachen hallt immer noch in meinen Ohren wider. Wohin ich auch blicke, erinnere ich mich an einen von ihnen.
Am 16. Mai 2021 verlor Zainab al-Qolaq zweiundzwanzig Mitglieder ihrer Familie, darunter ihre Mutter Amal, ihre einzige Schwester Hana und zwei Brüder, als ein israelischer Luftangriff ihr Haus in Gaza traf. Zainab war zwölf Stunden lang unter den Trümmern gefangen.
Im Jahr danach widmete sich Zainab der Verarbeitung ihrer Trauer durch Kunst. Ihre Ausstellung in Gaza trug den Titel: „Ich bin 22, ich habe 22 Menschen verloren.“ Ihre kraftvollen Gemälde zeigen ihren Schmerz und ihr Trauma, das sich nicht in Worten ausdrücken lässt. Zainab sagt, dass sie die universelle Sprache der Kunst benutzt hat, um ihre Gefühle zu vermitteln, damit andere den Kummer verstehen, den sie jeden Tag mit sich trägt. „Sie mögen die Trümmer über mir beseitigt haben, aber wer wird die Trümmer in meinem Herzen beseitigen?“
Da es nicht möglich war nach Gaza zu reisen, traf ich mich im Jahr 2022 mit Zainab via Zoom. Ihre Geschichte steht stellvertretend für die vielen zivilen Opfer auf beiden Seiten des Konflikts zwischen der Hamas und Israel.
Tursunay (44)
Ihr Ziel ist es uns vollständig zu zerstören – physisch und psychisch. Sie wollen uns unsere Würde nehmen, unsere Menschlichkeit. Die Narben dessen, was sie mir angetan haben, trage ich für den Rest meines Lebens.
Tursunay Ziyawudun verbrachte neun Monate in einem Internierungslager in der uigurischen Region im Nordwesten Chinas. Sie schildert mehrere Fälle von Folter, öffentlicher Demütigung und brutaler sexueller Gewalt, einschließlich Gruppenvergewaltigung durch die Lagerwachen. Sie
erinnert sich daran, wie die Frauen, mit denen sie zusammen inhaftiert war, durch ihre Erlebnisse traumatisiert waren. Einige schrien, andere schluchzten und wieder andere wiegten sich schweigend hin und her, nachdem sie aus den „schwarzen Räumen“, in denen die Übergriffe stattfanden, zurückgekehrt waren.
Tursunay konnte in die Vereinigten Staaten fliehen. Von dort setzt sie sich für die Frauen ein, die in ihrer Heimat immer noch leiden. Auf ihrem Porträt trägt sie einen wunderschönen traditionellen Atlas-Seidenschal.
Seit der kommunistischen revolution im Jahr 1949 hat die chinesische Regierung die Freiheit der uigurischen Muslime zunehmend beschnitten, ihre Sprache, Religion und Kultur systematisch unterdrückt und Moscheen und andere religiöse Stätten zerstört. Seit 2018 gibt es Berichte über ein repressives System aus High-Tech-Massenüberwachung, Sklavenarbeit, Masseninhaftierung, Organraub und Frauen, die sterilisiert oder zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden.
Maria and Nadiia
Der Krieg ist endlos und Tausende von Menschen warten auf die Erhörung ihrer Gebete. Meine Mutter und ich waren unter ihnen. Es ist eine traumatische Erfahrung, wenn man ohne Plan von zu Hause weg muss.
Maria und ihre Mutter Nadiia lebten in Kiew, als der Krieg am 24. Februar 2022 begann. Maria schreckte auf, als ihre Mutter schrie: „Mascha, wach auf! Der Krieg hat begonnen.“ Zunächst wollten sie den Krieg nicht wahr haben, doch nach zwölf schlaflosen Tagen und Nächten, die sie wegen der Bombenangriffe im Keller verbrachten, beschlossen sie, in Großbritannien Zuflucht zu suchen.
Seit dem beginn der russischen Invasion wurde ein Drittel der Ukrainer aus ihren Häusern vertrieben. Mit fast acht Millionen Flüchtlingen handelt es sich um die größte Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Eine Welle der Unterstützung ließ viele hoffen, dies könnte ein Präzedenzfall für eine humanere Behandlung aller Flüchtlinge sein. Zumindest zeigte es den politisierten und oft diskriminierenden Charakter des Flüchtlingsschutzes auf. Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Asien und Afrika sind mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit Gewalt an den Grenzen, Inhaftierung und langwierigen Asylverfahren ausgesetzt. Wer sind wir, um zu entscheiden, welche Flüchtlinge unser Mitgefühl verdienen? Wie Maria es selbst ausdrückt: „Es ist nicht wichtig, welche Nationalität du hast, sondern was du in diesem Augenblick tust. Denn Menschlichkeit kennt keine Geographie, und Freundlichkeit hat keine Nationalität.“