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Nur dein Handwerker
Manche Menschen bauen Wolkenkratzer. Ich kümmere mich um den feuchten Fleck an deiner Küchendecke.
von Kurt Armstrong
Donnerstag, 11. April 2024
Verfügbare Sprachen: English
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Von meinem Fenster aus verfolgte ich den Bau eines zehnstöckigen Gebäudes in der Nachbarschaft. Nach einem Jahr Abriss, Aushub und Rammarbeiten versperrte ein riesiger Kran die gesamte Straße und ragte in den Himmel.
Meine Erfahrung mit dieser Art von Bau ist wahrscheinlich die gleiche wie die der meisten Menschen: Ich beobachte aus sicherer Entfernung, wie ein Hochhaus langsam Gestalt annimmt. Was hält diese unzähligen Stockwerke davon ab, unter ihrem eigenen Gewicht zusammenzubrechen? Wie kann eine Konstruktion aus Stahl, Beton und Glas, die sich alle unterschiedlich ausdehnen und zusammenziehen, den enormen Temperaturunterschied zwischen Sommerhitze und Winterfrost aushalten? Welche Systeme sorgen für einen ausreichenden Wasserdruck, um die Wasserhähne im zehnten Stockwerk zu betreiben und genügend Frischluft ins Gebäude zu leiten?
Kein einzelner Mensch könnte so etwas jemals bauen. Es braucht Designer, Architekten, Ingenieure, Bauunternehmer, Bauarbeiter, Handwerker und Projektmanager, die sich um jedes Detail kümmern. Nur wenige Personen, die an einem Bauprojekt dieser Größenordnung beteiligt sind, wissen tatsächlich, wie alles zusammenhängt, und selbst sie zählen auf die vielen Arbeiter, die unzählige Stunden damit verbringen, das Ganze auf die Beine zu stellen.
Es gibt Leute, die wissen, wie man Wolkenkratzer baut. Ist es das, wonach ich streben sollte? Mein Leben und meine Arbeit sind so unbedeutend. Ich fühle einen ständigen Druck, der fast ausschließlich von mir selbst ausgeht, mich mehr anzustrengen, nach etwas Größerem, Lebensveränderndem, Wichtigerem zu streben. Wenn ich sehe, wozu andere fähig sind, habe ich das Gefühl, dass ich mehr tun sollte: mein Geschäft vergrößern, ganze Häuser bauen, anstatt sie nur zu reparieren. Ich sollte mehr schreiben, mich stärker in die Kultur einbringen, mehr Einfluss auf die Gestaltung der Welt haben. Mehr bauen, mehr verdienen, mehr schreiben, mehr tun, mehr sein. Geblendet von den Dingen, zu denen andere fähig sind, verliere ich den Überblick darüber, was ich tatsächlich tun kann und getan habe.
Mache ich genug? Sollte ich mehr tun? Und was sollte ich mir für meinen Sohn wünschen? Wie sehr würde ich mich freuen, wenn er all das übertreffen würde, was ich bin und was ich tun kann. Ist es meine Aufgabe, ihn zu höheren Zielen zu drängen?
Ich bin ein Handwerker. Die Leute beauftragen mich, Dinge zu reparieren. Meine Arbeit beginnt, wenn mir jemand sagt, was ich für ihn bauen oder welches Problem ich lösen soll: Wir brauchen ein Fenster in dieser Wand; wir wollen eine geflieste Wanneneinfassung; das Waschbecken ist undicht; unser alter Zaun ist morsch und muss ersetzt werden.
Jeder Anruf, jede E-Mail ist ein Einblick in eine komplexe Situation. Wenn zum Beispiel ein feuchter Fleck an der Küchendecke auftaucht, sehe ich mich erst einmal im Haus um: Gleich über der Küche befindet sich ein Badezimmer. Gibt es ein undichtes Ventil oder eine lockere Armatur? Im Badezimmer gibt es keine Zugangsplatte zu den Rohrleitungen, also gehe ich zurück in die Küche und schneide den feuchten Teil der Decke aus, ein paar Zentimeter über den feuchten Teil hinaus, damit ich besser an das Problem herankomme. Ich kann die Rohrleitungen zwischen den Balken sehen, und – aha! – es liegt nicht am Abfluss oder am Wasserhahn, sondern an der Zuleitung. Eine lockere Mutter am Versorgungsschlauch oder eine undichte Rohrverbindung?
Wie kompliziert die Diagnose auch sein mag, die Lösung des Problems ist ein eigenes Rätsel. Und dann ist da noch die spezielle Intimität der Arbeit. Ich muss mir der Tatsache bewusst sein, dass ich mich in der Wohnung eines anderen Menschen befinde, in seiner Privatsphäre, vielleicht sogar auf dem Küchentisch stehend, mit einer Trockenbausäge ein Loch in die Decke schneidend. Diese Kunden mussten sich eine Schwachstelle eingestehen und haben mich um Hilfe gebeten. Das Problem ist mechanischer, baulicher oder technischer Natur, aber meine Arbeit hat genauso viel mit Beziehungen zu tun, wie sie physisch ist. Es sind Menschen, für die ich arbeite. Ich kann das Leck reparieren, da bin ich mir sicher. Aber wie schnell muss es erledigt werden? Können sie ihrer Arbeit nachgehen, während ich in der Küche meine Arbeit erledige? Mache ich mehr Schmutz, als sie erwartet haben? Und wie perfekt soll die Reparatur der Trockenbauwand aussehen, wenn ich fertig bin?
Ich mache diese Art von Arbeit schon so lange, dass ich ein gewisses Gespür für die Dinge habe, die in älteren Häusern schief laufen, und was mir an Erfahrung fehlt, kann ich meist durch Entschlossenheit und Vertrauen wettmachen. Ich weiß nicht immer genau, wie ich die Aufgabe, zu der ich „Ja“ gesagt habe, erledigen soll, aber ich übernehme die Verantwortung, das Problem so gut wie möglich einzuschätzen, und stelle eine faire und ehrliche Rechnung aus, wenn die Arbeit erledigt ist.
Seit vierzehn Jahren mache ich das nun schon. Meine Geschäftsstrategie beruht auf Mund-zu-Mund-Propaganda, ich habe nie Werbung gemacht. Es hat sich zu einem bescheidenen, jedoch florierenden Geschäft entwickelt. Es wurde aus Verzweiflung und Notwendigkeit geboren, als ich zwischen zwei Jobs Geld verdienen musste. Ich klopfte an die Tür unserer Nachbarn und fragte, ob sie etwas – irgendetwas – in ihrem Haus gebaut haben wollen. „Eine Fensterbank und ein Spielhaus für die Jungs wären schön.“ Seitdem repariere und baue ich Dinge.
Ich bezeichne mich als autodidaktischen Handwerker. Ich habe eine Ausbildung in Theologie und Literatur, aber keinerlei offizielle Qualifikation, um eine Terrasse zu bauen, einen Abfluss zu reparieren oder einen Eingangsbereich zu beleuchten. Autodidakt ist allerdings nicht ganz richtig, denn jahrelang arbeitete ich als Hilfsarbeiter neben erfahrenen, qualifizierten und zertifizierten Handwerkern: Zimmerleuten, Maurern, einem Klempner, einem Elektriker und einem Glaser, die mir eine praktische Ausbildung in den allgemeinen Grundlagen des Baugewerbes angedeihen ließen. Von diesen Profis habe ich ein gutes Gespür dafür bekommen, wie man gute Arbeit leistet: die Auswahl von Qualitäts-materialien und anständigen Werkzeugen; die Einrichtung einer ordentlichen Baustelle; die Professionalität im Umgang mit Kollegen und eine gute und ehrliche Kommunikation mit den Kunden; das Wissen, wann man sich um Details kümmern muss und wann die Arbeit gut genug ist; das Verständnis, wann man durchhalten und eine Arbeit fertigstellen muss und wann es Zeit ist die Werkzeuge einzupacken und Feierabend zu machen.
Es macht mir immer noch nichts aus, Freunde um Hilfe zu bitten, die ausgebildete Elektriker, Klempner, Ingenieure und Architekten sind. Aber das meiste Wissen, habe ich dadurch erworben, dass ich immer wieder „Ja“ zu Aufträgen gesagt habe, die ich noch nie zuvor gemacht habe. Für große Bauaufträge braucht man große Teams, schweres Gerät, höhere Mathematik und riesige Budgets; bei meiner Art von Arbeit kommt man mit einfachen Werkzeugen, Grundschul-Mathematik, Ehrlichkeit, gesundem Menschen-verstand, Mut und vor allem Sorgfalt aus. Bei meiner Art von Arbeit zerlegt man die Dinge besser vorsichtig, denn man muss sie ja auch wieder zusammensetzen.
Das meiste, was ich somit über das Bauen weiß, habe ich durch vorsichtiges Abreißen, aufmerksames Zuhören und gesunden Menschenverstand gelernt, durchsetzt mit mittlerer bis großer Angst, wenn ich mich an den Häusern anderer Menschen zu schaffen mache.
Ich habe ein Dutzend Badezimmer renoviert und Kinderbetten gebaut, Kellerwände, dekorative Wandstrukturen, Öffnungen für neue Türen in alten Häusern, aufwendige Bücherregale, Terrassen, Verandastufen, Holzschuppen, Gartenzäune, Pflanzgefäße aus Zedernholz und Bilderrahmen. Ich habe eine Wäscheleine für einen umweltbewussten Politiker, ein Baumhaus für die vier Kinder einer alleinerziehenden Mutter, einen Sarg für meinen Schwiegervater und einen für ein Kleinkind gebaut.
Meine Projekte sind bescheiden – das Größte, was ich mache, ist die Renovierung von Badezimmern –, aber sobald ich über die Schwelle trete, um an einem Haus zu arbeiten, liegt es an mir, gute Arbeit zu leisten und nichts kaputt zu machen. Es ist einfacher als ein zehnstöckiges Hochhaus zu bauen, aber ich trage die volle Verantwortung.
Ich habe eine winzige Werkstatt im Keller unseres Hauses, in der ich meine Werkzeuge aufbewahre, und ich gebe zu, dass es mühsam ist, die Werkzeuge und Materialien zu Beginn eines jeden Tages die Treppe hinaufzuschleppen. Ich habe mir diesen Beruf nicht ausgesucht, weil es mein Traumjob ist. Handwerker zu sein ist bei weitem nicht meine Leidenschaft. Ich hasse meine Arbeit nicht, aber ich mache sie nicht, weil ich sie liebe. Ich mache sie, weil ich meine Frau und meine Kinder liebe und für sie sorgen möchte.
Meine Kinder bekommen in der Schule regelmäßig zu hören: „Es gibt keine Grenzen“ und „Du kannst alles sein, was du willst!“, und ich ärgere mich darüber, weil es einfach nicht stimmt. Man kann nicht wirklich alles sein, was man will. Das ist schädlicher Unsinn. Es ist eine Tatsache, dass die reale Welt voller Grenzen ist. Das Problem dieser Versprechen: Bei dem Versuch alles zu sein, vergisst man nur allzu leicht, dass man schon längst etwas ist.
Ich bin ein kleiner Mann; ich lebe ein kleines Leben, in dem ich vorsichtige, bescheidene Entscheidungen treffe. Ich bin kein Unternehmer, kein Abenteurer, kein Risikoträger. Ich habe nicht die freilaufende Phantasie eines Künstlers. Außerdem weiß ich nur zu gut, dass ich aus einer Familie sensibler Seelen stamme, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, die von chronischer Alltagsmelancholie bis hin zu katastrophalen Zuständen reichen. Mit meiner geistigen Gesundheit ist es wie mit einem Fahrrad, dessen Reifen nicht voll aufgeblasen sind. Ich kann in die Pedale treten und komme in der Regel ans Ziel, aber ich verbrauche viel mehr emotionale Energie als nötig. Ich bin nicht die Art von Mann, der seine Kinder zu Großem führen kann.
Ich weiß nicht, wie meine Kinder sein werden – ehrgeizig, zielstrebig, kämpferisch und eigenwillig oder glücklich, zufrieden und friedlich. Vielleicht werden sie große Dinge tun. Dazu kann ich ihnen nicht viel sagen. Was ich zu sagen habe, ist klein, aber ich glaube, es zählt mehr: „Wenn ich prophetische Kräfte habe und alle Geheimnisse und alles Wissen verstehe … aber die Liebe nicht habe, bin ich nichts.“ Seit sie klein waren, betete ich nachts für sie: „Mögen sie zu starken, klugen und freundlichen Menschen heranwachsen, die Gott kennen und lieben.“Ich weiß nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen werden, wohin sie gehen werden, was sie lernen und studieren werden, welche Art von Arbeit sie verrichten werden. Ich war fünf-unddreißig, bevor sich meine Berufung herauskristallisierte und ich eine Arbeit fand, die gut zu mir passte. Ich werde ihnen also nicht vorschreiben, was sie zu tun haben, oder Pläne machen, was sie werden sollen.
In seinem Buch The Master and His Emissary (Der Meister und sein Abgesandter) vertritt der schottische Psychiater Iain McGilchrist die Ansicht, dass wir in den letzten fünf Jahrhunderten eine Welt der Ordnung, der Beherrschung und der Objekte haben. Unsere Welt sei zu einer von der linken Gehirnhälfte dominierten Realität geworden, die gerade Linien, Vorhersehbarkeit und Macht bevorzugt. Dies habe katastrophale Auswirkungen, weil es die menschlichen
Beziehungen unterbewerte. Unsere geordnete Beherrschung von Materialien ist zwar mächtig, aber zweitrangig – McGilchrist glaubt, dass wir Jahrhunderte damit verbracht haben, fälschlicherweise auf unser technisiertes, modernes, manipuliertes Dasein zu vertrauen, als ob wir die Macht hätten, etwas Festes und Vorhersehbares zu konstruieren, und das alles zum Nachteil der unauflösbaren Verbundenheit von allem.
Gott segne die Moderne und ihre vielen Annehmlichkeiten – Penicillin, Anästhetika, dreifach verglaste Fenster, Stromnetz, Siliziumchips, Netflix. Ohne die Moderne hätte ich keine Bananen, schnurlose Werkzeuge oder E-Mails von Freunden in Australien. Aber es wird immer deutlicher, wie kostspielig das alles ist: leuchtende Bildschirme fesseln und zersplittern unsere Aufmerksamkeit; unsere Fähigkeit, die Kraft des gespeicherten Kohlenstoffs zu nutzen, hat eine langsam voranschreitende Katastrophe ausgelöst; unser Wasser ist verschmutzt; moderne Waffen haben Millionen von Menschen getötet.
Hausreparaturen helfen mir dabei,, mich wieder auf das Primat der menschlichen Beziehung zu besinnen. Ich beginne mit Aufmerksamkeit: Ich tauche auf, nehme teil, beobachte und höre zu. Manchmal braucht der Kunde jemanden, mit dem er reden kann, genauso sehr wie er einen neuen Fußboden braucht.
Ich mag das Wort „Integrität.“ Ich wuchs in dem Glauben auf, dass es dabei um moralisches Verhalten geht und dass ich mich bemühen sollte, ein integrer Mensch zu sein. Nun als Handwerker verstehe ich es als eine Beschreibung der richtigen Beziehung, dass eine Sache dann integer ist, wenn ihre Teile zusammenarbeiten und dem Ganzen dienen. Die Integrität eines schönen alten Hauses bedeutet, dass seine Systeme und Tausende von Teile als Ganzes funktionieren, vom Giebel bis zum Fundament und allem, was dazwischen liegt. Dachstühle, Balken, Schindeln, Rohrleitungen, Fenster, Fußböden, Wasserhähne, Schalter. Ein Haus funktioniert nur dann als Haus und Heim, wenn es gut gebaut und instand gehalten wird, wenn Form und Funktion, Schönheit und Nutzbarkeit in Einklang stehen. Ist es schlecht gebaut oder beginnt es zu zerfallen, leidet die Integrität. Ein einfaches Leck, das lange genug besteht, kann ein ganzes Haus ruinieren.
In der Kirche hören wir: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit ganzem Gemüt. Das ist das erste Gebot. Und ein zweites ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Von diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten ab.“ Gott lieben; meinen Nächsten lieben. Wer ist mein Nächster? Ich bin dankbar für die Philosophen und Theologen, die komplexe, wortgewaltige Argumente verfasst haben. Aber ich lebe und arbeite für meine Nächsten, nicht für Philosophien.
Jeden Tag, wenn ich zur Arbeit gehe, denke ich an meine Kinder. Ich bete um gerade genug Mut, Hartnäckigkeit und Demut für die Arbeit dieses Tages. Ich bete um die Bereitschaft, mich dem Problem zu stellen, und dann stürze ich mich hinein. Ich schließe die Augen, atme tief durch und danke Gott für Muskeln, die stark genug sind, und für Hände, die willig sind, für das Geschenk einer Arbeit, die anderen nützt. Und ich gehe zur Tür hinaus, um für meine geliebten Kinder und ihre einfachen, schönen, täglichen Bedürfnisse zu sorgen.
Kerstin Busch
Mein Freund ist Tischler. Ich habe ihm den Artikel zu lesen gegeben und er hat sich so gefreut, weil er ihm aus der Seele geschrieben war. Auch mir hat er sehr gut gefallen. Mit so viel Aufmerksamkeit und Sensibilität geschrieben. Einfach danke.