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Erinnerungen an Heiner Köppschall
von Marianne Wright
Sonntag, 31. August 2014
Heiner Köppschall war die meiste Zeit seines Lebens ein Schafhirte, zuerst in England und Wales, und dann wieder in England in East Sussex. Hier sorgte er die letzten Jahre für eine Herde mit mehreren Hundert Mutterschafen und ihren Lämmern. Täglich konnte man ihn durch seine Herde gehen sehen, wenn er bestimmte Schafe zur Seite nahm um zu sehen, was das jeweilige Problem war. Er hat dabei gern mit jedermann, der vorbeikam und die Lämmer beobachten wollte oder seinen beeindruckenden Gemüsegarten bewunderte, ein paar Worte gewechselt.
Heiner war auch ein Sänger. Obwohl er kaum jemals eine musikalische Ausbildung bekam, hatte er doch einen beeindruckenden Tenor und sang gern: Volkslieder, Arien großer Oratorien und was besonders in Erinnerung bleibt, Lieder von Schubert. Seine außergewöhnliche Stimme hat ihm schon früh im Leben weitergeholfen:
Ich wurde vor dem II. Weltkrieg in Stettin geboren und wuchs mit den Sirenen auf, die uns immer wieder in die Bunker rennen ließen, während die Bomben überall um uns herum einschlugen. Wenn wir wieder aus dem Bunker herauskamen, dann stand kein Haus mehr, alles war zerbombt. Irgendwann habe ich dabei meine Mutter verloren. Ich weiß nicht mehr wann oder wie – es geschah einfach während eines Bombenalarms. Danach war ich allein auf mich gestellt, lebte auf der Straße und schlief jede Nacht in einem anderen Haus. Ich sang und die Leute ließen mich rein.
Nach zwei Jahren Leben auf der Straße und zwischen den Ruinen wurde er in ein Waisenhaus gebracht.
Diese Waisenhäuser würde ich keinem empfehlen. Sie waren die Hölle auf Erden. Das bleibt mit einem – man konnte niemandem vertrauen. Ich erinnere mich aber auch an einen bestimmten Moment, als eine Heimleiterin ihren 50. Geburtstag hatte und der Hausarzt mich aufforderte für sie zu singen. Ich sang „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius. Und das war das erste Mal, dass ich erlebte, wie eine Frau weinte.
1949 war Heiner einer der Kinder, die als deutsche Kriegswaisen in einem Heim in Nord-England aufgenommen wurden. Das Projekt wurde von einer christlichen Gemeinschaft getragen.
Einige Jahre später war die deutsche Regierung bemüht uns wieder ins Land zu holen. Wir waren allerdings entschlossen wegzurennen, falls sie wirklich versuchen würden uns wieder nach Deutschland zu bringen. Wie dem auch sei, am Ende stimmten sie einer Vereinbarung zu, dass wir bleiben konnten, bis wir 18 Jahre alt sind, unter der Voraussetzung, dass wir eine Ausbildung erhalten würden. Danach wollten sie, dass wir unseren Militärdienst leisten würden. Wir wollten auf keinen Fall zurückkehren und blieben einfach in England.
Ich habe es in der Schule nur bis zur dritten Klasse geschafft. Ich kann allerdings lesen und auch ein wenig schreiben. Deswegen denkt nur nicht, dass ich Lieder vom Blatt ablesen kann, das geht einfach nicht. Musik dagegen ist etwas das liegt mir einfach im Blut, so denke ich jedenfalls.
Nachdem ich mit der Schule aufgehört habe, begann ich als Melker. Aber es gab etwas, da war ich fast fanatisch drüber und das waren Schafe. Nachdem ich die Schule verlassen hatte, lebte ich sechs Jahre lang auf einem Bauernhof. Die ersten drei Jahre habe ich nichts anderes gemacht als arbeiten, essen und schlafen. Ich war völlig deprimiert. Da kam ein neuer Arbeiter auf den Bauernhof, der hörte mich singen. Ich sang oft bei der Arbeit Lieder und auch Arien von Oratorien, die ich im Radio oder sonst wo gehört hatte. Er sagte, ich sollte versuchen, mich einem Chor anzuschließen.
Ich erzähle das nur, weil Singen eine große Rolle in meinem Leben gespielt hat. Das fing schon an bevor ich als kleiner Junge auf der Straße landete. Und irgendwie hat die Musik mich mein ganzes Leben von einem zum anderen geführt.
Heiner lernte Judith kennen, mit der er nun seit 47 Jahren verheiratet war und mit der er im Chor sang.
Ohne Judith wäre ich jetzt nicht hier in dieser Gemeinde. Aber eigentlich ist das auch nicht ganz richtig, denn Gott hat wunderbare Wege seine widerspenstigsten Kreaturen dahin zu kriegen, ihm zu folgen. So sehe ich das einfach. Ich weiß, dass ich wie ein störrischer Esel war, aber Gott hatte einfach andere Pläne mit mir.
Heiners Charakterstärke hat man sein ganzes Leben lang gespürt, und er hat immer seine Meinung klar und deutlich gesagt. Seine letzten Lebensjahre waren von einer tiefen Freude an seinen Mitmenschen und besonders an den Kindern um ihn herum geprägt. Noch vor kurzem sagte er zu seiner Familie: „Ich weiß, dass nichts in dieser Welt perfekt sein wird bis Jesus wiederkommt, aber ich bin überzeugt davon, dass Gott will, dass wir jetzt schon hier auf Erden seinem Reich entsprechend leben und dafür will ich mich ganz einsetzen und nicht locker lassen.“
Am Sonntag dem 10. August waren Heiner und Judith bei einer Gemeindefeier und sangen mit anderen das alte Volkslied “Wer recht in Freuden wandern will”, als Heiner darauf aufmerksam machte, dass der wichtigste Vers im Liederbuch fehlte:
Da zieht die Andacht wie ein Hauch
durch alle Sinnen leise,
da pocht ans Herz die Liebe auch
in ihrer stillen Weise,
pocht und pocht, bis sich's entschliesst
und die Lippe überfliesst
von lautem, jubelndem Preise
vom Preise.
Kurz danach entschuldigte er sich, weil er sich plötzlich nicht wohl fühlte und starb nur wenige Minuten danach.
Das Lied, das wir für diesen Artikel ausgesucht haben hat Heiner im letzten Jahr im Alter von 75 Jahren gesungen. Schuberts Vertonung von Goethes „“Wanderers Nachtlied“ wird von Vielen als Schuberts beste Vertonung angesehen.
Wandrers Nachtlied (MP3)
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
Jürgen Friedrich
FREUDE ist des Pudels Kern für alle Leute nah und fern; sie ist der Schöpfung Hauptgewinn und gibt dem Leben (s)einen Sinn.