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Die Handy-Garage
Warum sich die Bruderhof Gemeinschaft bewusst mit neuen Technologien auseinandersetzt.
von Andrew Zimmerman
Dienstag, 8. Oktober 2024
Verfügbare Sprachen: English
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Der korb bekam schnell die Bezeichnung „Handy-Garage“. Es war eigentlich nicht besonders praktisch, dass keiner von uns auf Google oder Wikipedia zurückgreifen konnte, um einen Streit am Esstisch zu schlichten. Einige Tage lang merkte ich, wie unangenehm es allen war, wenn ein Benachrichtigungston auf der anderen Seite des Raums ertönte. An manchen Tagen fiel einem von uns auf, dass der Korb seltsam leer aussah, und wir reichten ihn wieder herum, um die vergessenen Handys abzusammeln. Aber schon bald war es ganz normal unsere Telefone in der Garage zu parken, wenn wir das Haus betraten, und die Gespräche schienen länger zu dauern und mehr Substanz zu haben.
Auf dem Gutshof, einer von etwa 25 Bruderhof-Gemeinschaften, die von der ersten Versammlung von Gläubigen inspiriert sind, die in der Apostelgeschichte beschrieben wird, haben wir kein Privateigentum, sondern teilen unser Geld und unser Leben. In einigen Gemeinschaften leben mehrere hundert Menschen, andere sind kleiner, wie unsere. Immer teilen wir Arbeit, Mahlzeiten und Gebet. Die Mitglieder kochen, bauen Lebensmittel an, waschen Wäsche, mähen den Rasen oder arbeiten in der Möbelfabrik – und erhalten dafür keinen Gehalt. In den größeren Gemeinden betreiben wir Schulen für die Kinder der Mitglieder und der Nachbarn. Kliniken vor Ort bieten kostenlose medizinische Versorgung. Älteren Mitgliedern ermöglichen wir, sich sinnvoll an der Arbeit zu beteiligen, bis sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Dann werden sie in der Gemeinschaft betreut.
Jesus fordert seine Jünger auf, „in der Welt zu sein, aber nicht von der Welt“ (Johannes 17). Als Teil unseres gemeinsamen Bemühens zu erkennen, wie wir diesem Gebot heute entsprechen können, nehmen wir eine vorsichtige Haltung gegenüber neuen Technologien ein, ebenso wie gegenüber anderen Normen der heutigen Gesellschaft: Geld (wir haben keine privaten Bankkonten oder Kreditkarten), Karriere (wir arbeiten dort, wo man uns darum bittet, nicht wo wir wollen), Mode (einfacher ist besser) und Sex (Keuschheit und Treue in der Ehe).
Eine solche Vorsicht gegenüber neueren Tech-nologien wie etwa den Smartphones ist nicht mit Feindseligkeit gleichzusetzen. Und sie ist kein Pauschalverbot. Wir sind der Ansicht, dass Hilfsmittel, ob einfach oder Hightech, dazu eingesetzt werden sollen, die Gemeinschaft aufzubauen, unseren Auftrag als Kirche voranzubringen und Einzelpersonen und Familien zu helfen, sich zu entfalten: Wir nutzen seit langem Elektrizität, Autos, Schweißroboter, automatisierte Logistiksysteme und medizinische Technologie wie Diabetesmonitore.
Gleichzeitig mit dieser Offenheit für den positiven Einsatz von Technologie haben wir auch Grenzen für jene Technologie definiert, die wir nicht nutzen wollen. Bei diesen Richtlinien handelt es sich nicht um moralische Urteile, sondern sie entspringen dem gemeinsamen Gefühl, dass bestimmte Technologien ein erfülltes Leben eher verhindern als fördern. Als das Fernsehen aufkam, haben wir beschlossen, in unseren Familienwohnungen keine Fernseher aufzustellen. Wir nutzen die sozialen Medien nur für geschäftliche Zwecke oder Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Kinder bekommen Smartphones erst, wenn sie die Schule abgeschlossen haben. Da sich unsere Mitglieder bewußt für ein Leben in Armut entschieden haben, sind sie kaum von der technologischen Konsumhaltung betroffen, die in der Gesellschaft weit verbreitet ist, von Online-Werbung bis hin zu Glücksspielseiten. Es ist schwer, online Impuls-Käufe zu tätigen, wenn man kein eigenes Geld hat. Aus ähnlichen Gründen sind wir in der Regel auch keine Vorreiter in Sachen Technik, da wir uns unsere Geräte nicht selbst aussuchen (also keine Chance, das neueste Apple-Gerät zu kaufen, es sei denn, Sie können Ihren Mitbrüdern beweisen, dass Sie es wirklich brauchen).
Die Sirene in unseren Taschen wirkte sich negativ auf viele Formen des kreativen Engagements für die Gemeinschaft und die Gesellschaft aus.
Selbst dort, wo wir die Technologie wegen ihrer Effizienz begrüßen, lernten wir, dass es gesund ist, ihr ab und zu eine Pause zu gönnen. Nach einer gemeinsamen Mahlzeit für zwei- bis dreihundert Personen benutzen wir Geschirrspüler, aber wir füllen auch ein großes Waschbecken, stellen vier, fünf Männern dazu und nehmen die Krüge und Servierschüsseln in Angriff. (Beim Schrubben von Pfannen kann man unvergessliche Gespräche führen.) Manchmal nutzen wir Schaufeln und Schubkarren anstelle eines Traktors. Es tut gut, sich die Hände schmutzig und die Muskeln müde zu machen, während man mit anderen arbeitet.
Wir dachten einen ziemlich soliden und effektiven Ansatz zu haben – bis die Pandemie zuschlug. Wie viele andere Kirchen auch haben wir während der verschiedenen Lockdowns in den Jahren 2020 und 2021 Infrastruktur und Ausrüstung bereitgestellt, damit Gottesdienste und Mitgliederversammlungen online abgehalten werden und viele von zu Hause aus arbeiten konnten. Die älteren Schüler bekamen Tablets für das virtuelle Lernen. Davor gab es nur in wenigen Wohnungen Wi-Fi, und weniger als ein Viertel der Erwachsenen besaß ein Smartphone. Die Technologie hatte viele Vorteile – sie ermöglichte es uns, durch einige schwierige Monate hindurch im Gebet und in gegenseitiger Unterstützung verbunden zu bleiben. Aber als die Pandemie vorbei war und die gemeinsamen Mahlzeiten, Treffen und die Arbeit wieder aufgenommen wurden, blieben die Telefone, Tablets, Laptops und das Wi-Fi.
Wie groß der Einfluß war, wurde erst einige Jahre später deutlich. In unseren eng verbundenen Gemeinschaften stellten wir fest, dass es immer schwieriger wurde, Gespräche ohne Unterbrechung zu führen. Gemeinsame Mahlzeiten und Treffen wurden durch nicht abgeschaltete Telefone unterbrochen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schien in vielen Familien aus dem Gleichgewicht zu geraten, da immer mehr Eltern zu unüblichen Zeiten von zu Hause aus arbeiteten. Den Kindern standen mehr Technologien zur Verfügung, und Familien sahen sich mehr Filme an und spielten weniger Gesellschaftsspiele. Obwohl die Pandemie ein erneutes Interesse an Bastelarbeiten, Hobbys, Backen und Musik mit sich brachte, schien diese Begeisterung wieder zu verblassen – ein besorgniserregender Trend in einer Kirchengemeinschaft, die praktische Kreativität immer hoch geschätzt hatte.
Wir erkannten, dass wir Gefahr liefen, einen wertvollen Teil der persönlichen Begegnungen zu verlieren, die für die Lebensweise des Bruderhofs so wichtig sind. Wir wurden daran erinnert, dass die Technik nicht wirklich neutral ist: Sie kann ein passives Hindernis für die Gemeinschaft sein, indem sie uns die Zeit stiehlt. Und sie kann auch eine aktiv zerstörerische Kraft sein – nicht nur unter Teenagern, sondern unter Menschen jeden Alters.
Dies ist natürlich kein Problem, das es nur auf dem Bruderhof gibt. In den letzten zehn Jahren haben Untersuchungen von Autoren wie Jean Twenge, Nicholas Carr, Cal Newport und zuletzt Jonathan Haidt die gravierenden Auswirkungen der Einführung von Smartphones und sozialen Medien aufgezeigt, und diese scheinen bei Kindern und Jugendlichen am größten zu sein. In Haidts Buch The Anxious Generation (März 2024) werden äußerst beunruhigende Trends aufgezeigt: drastische Zunahme von Angstzuständen, Depressionen und Selbstmord. „Die Mitglieder der Generation Z (geboren 1996 und danach) leiden unter Angst, Depressionen, Selbstverletzungen und ähnlichen Störungen, und zwar in einem Ausmaß, das höher ist als bei jeder anderen Generation, für die wir Daten haben“, stellt er fest. Wir sahen einfach den Beweis für das, was solche Autoren schon lange behauptet haben: Telefone sind schlecht für unsere geistige und körperliche Gesundheit. Die Sirene in unseren Taschen wirkte sich negativ auf viele Formen des kreativen Engagements für die Gemeinschaft und die Gesellschaft aus. Darüber hinaus hatten immer mehr Mitglieder mit den Versuchungen der Pornografie und des exzessiven Spielens zu kämpfen, die durch persönliche technische Geräte leichter zugänglich sind.
Viele von uns spürten, dass wir als Späteinsteiger schlechter als andere in der Lage waren, Grenzen für die Techniknutzung zu setzen, und erkannten, dass wir auf die Bremse treten mussten.
In unseren Gemeinschaften herrschte ein breiter (wenn auch nicht absoluter) Konsens darüber, dass die Zunahme der privaten Geräte zu einem ernsten Problem geworden war. Nach unseren Regeln war es Sache der Mitglieder, eine Lösung zu finden. Eine mögliche Lösung wäre die Entwicklung strenger neuer Regeln gewesen, die für jede unserer Gemeinschaften gelten sollten. Da wir unsere Entscheidungen einstimmig treffen, hätte dies bedeutet, dass sich die Mitglieder auf Beschränkungen einigen, die jeder akzeptieren und einhalten müsste.
Wir haben uns gegen diesen Weg entschieden, der unweigerlich ein gewisses Maß an Legalismus und Starrheit mit sich bringen würde. Dies passt nicht zu unserer Identität als Gemeinschaft, die auf vertrauensvollen und ehrlichen Beziehungen und nicht auf erzwungener Konformität beruht. Stattdessen setzte sich ein Team aus Pastoren (darunter auch ich) und IT-Fachleuten zusammen. Wir wussten, dass wir die Uhr nicht zurückdrehen konnten, aber wir waren bereit zu prüfen, wie wir disziplinierter und bewusster mit unserer privaten Geräten umgehen konnten.
Wir sollten zu beschäftigt damit sein, uns um unsere Nächsten zu kümmern, um viel Zeit im Internet verbringen zu können.
Wir berichteten unseren Gemeinden regelmäßig über die Probleme, die wir sahen, und baten sie, ebenfalls Diskussionen zu führen und uns bei der Ausarbeitung praktischer Vorschläge zu helfen. Bei diesen Treffen konzentrierten wir uns nicht auf die „Übel“ von Smartphones und sozialen Medien, sondern suchten nach konkreten, realisierbaren Lösungen für Probleme wie mangelnde Kontakte oder zunehmende Einsamkeit. Die Mitglieder erarbeiteten Richtlinien für die angemessene Nutzung von Handys in verschiedenen Gemeinschaftssituationen, um einige grundlegende soziale Normen wiederherzustellen. Unser Schwerpunkt lag nicht auf der gegenseitigen Kontrolle, sondern auf der gegenseitigen Verantwortlichkeit, auf der Förderung einer positiven Vision dessen, was Gemeinschaft ausmacht, und darauf, dass die persönliche Nutzung moderner Technik ihren Platz in dieser Vision findet.
Wir bekräftigten unsere Haltung, Kindern vor dem Schulabschluss keine Smartphones zur Verfügung zu stellen und die persönliche Nutzung sozialer Medien zu vermeiden.
Mehrere Gemeinschaftsschulen beschlossen, dass es für die Sicherheit der Kinder wichtig ist, dass Lehrer ihre Telefone während des Unterrichts ausschalten. Damit sind wir nicht alleine. Kürzlich besuchte ich eine Kirche in Spanien. An der Tür des Zimmers für die Kinderkirche hing ein auffälliges Schild: „Absolut keine Benutzung von Mobilgeräten während der Betreuung unserer Kinder!“
Unser Team befasste sich eingehend mit den gefährlichen Aspekten der Technologie, wie den Auswirkungen sozialer Medien auf das psychische Wohlbefinden von Teenagern. Wir stellen Eltern Informationen zur Verfügung, die diese Diskussionen mit ihren Kindern im Schul- oder Universitätsalter führen möchten, sich aber nicht ausreichend informiert fühlen. Wir haben erneut den Schwerpunkt darauf gelegt, jungen Erwachsenen den richtigen Umgang mit der Technik beizubringen, denn es ist unvermeidlich, dass sie sie nutzen werden. Wie bei vielen Dingen im Leben ist auch unsere Einstellung zur Technologie ein Balanceakt; wie so viele Menschen heutzutage versuchen wir, den richtigen Platz dafür zu finden.
Wir fragen uns weiterhin, was es bedeutet, alternativ zu leben. Seit der frühen Kirche haben sich die Anhänger Christi von der Welt abgewandt; das Evangelium verlangt dies sogar. Ja, es kann schwierig sein, aber vielleicht ist das der Punkt. „Wir leben inmitten eines Rummelplatzes voller Ablenkungen und müssen täglich gegen die Sünde in unseren Herzen kämpfen, die uns von den Zielen des Reiches Gottes, die wir in unserem Glauben finden, abbringen will“, schreibt Chris Martin in seinem ausgezeichneten Buch The Wolf in Their Pockets. „Deshalb brauchen wir die Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern in Christus, die uns helfen, den schmalen Pfad zu gehen, wenn wir lieber unseren eigenen Weg gehen würden.“
So oft wir vom schmalen Pfad abkommen, versuchen wir, wieder auf ihn zurückzukehren. Das Experiment der „Handy-Garage“ meiner kleinen Gemeinschaft wurde, soweit ich weiß, von keinem anderen Bruderhof übernommen. Da es als Ergebnis unserer Diskussionen entstanden ist, war es für uns sinnvoll. Es hat unsere Gewohnheiten soweit verändert, dass es nun nicht mehr nötig ist, dass wir unsere Handys parken müssen.
Da neue Entwicklungen in der Technik immer wieder neue Herausforderungen mit sich bringen, sind wir bestrebt, gemeinsam einen gesunden Ansatz zu finden. Die meisten von uns wissen heute besser als vor zwei Jahren, dass wir zu sehr damit beschäftigt sein sollten, uns um unsere Nächsten zu kümmern, um übermäßig viel Zeit im Internet verbringen zu können.
„Gleicht euch nicht dieser Welt an“, sagt Paulus den Römern – und uns – „sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung eures Denkens“. Die Ablenkungen durch virale Trends, Nachrichten und gezielte Werbung neigen dazu, uns an das anzupassen, was der Rest der Gesellschaft will. Unseren Geist zu verändern, ist viel schwieriger. Und selbst eine legitime Nutzung der Technik am Arbeitsplatz kann unsere Aufmerksamkeit von unseren Brüdern und Schwestern und von Gott ablenken. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam diese Sogwirkung überwinden können.
Zu den Grafiken: Inspiriert von verlorenen (und gefundenen) Fotos ist die Kunstserie Lost and Found eine Kontemplation über Verlust und Wiedererlangung unserer individuellen Erinnerungen, unserer kollektiven Bezugspunkte und unseres kulturellen Erbes.
Die Kunstwerke, die die analoge und die digitale Welt, die Vergangenheit und die Gegenwart umspannen, wurden aus ausrangierten Industriefliesen geschaffen. Diese wurden zu einzigartigen Kompositionen arrangiert, die dem Prinzip der Pixel oder des fotografischen Korns folgen.
Pedrita ist ein Designstudio, das 2005 von Pedro Ferreira und Rita João in Lissabon gegründet wurde.