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Gegen den Strich | Roman | Joris-Karl Huysmans | (dtv, 270 Seiten)
Der Autor des eigentlich nur entfernt an einen Roman erinnernden Werkes Gegen den Strich vermutete, wenn auch ohne Reue, mit dieser 1884 erfolgten Veröffentlichung einen Misserfolg zu landen, wurde allerdings vom Gegenteil belehrt. Das Buch avancierte rasch zum Kultbuch der décadence und fand seitdem gleichsam bei denen Beliebtheit, die die Dekadenz zelebrieren, als auch bei denen, die sie und die Abgründe des Fin de Siècle kritisch sehen. Es ist bis heute sein bekanntestes Buch und markiert in der Vita des Autors den Übergang vom eher okkultistischen Gottesfernen zum frommen Beter. Dies ist das wohl einschneidendste autobiographische Element in dieser Persiflage auf die Dekadenz. Es lohnt auch heute, den geistigen und geistlichen Weg des Protagonisten durch alle originellen Genüsse, einsame Gedanken und tiefe Einsichten mitzuvollziehen.
Das Buch ist eigentlich geradezu nüchtern. Es hält Distanz zum Leser, ohne dabei an Faszination einzubüßen. Die umfangreiche Recherche, die Huysmans dafür anfertigte, verleiht dem Buch einen enzyklopädischen Charakter.
Ein französischer Adliger, anfällig für allerlei physische und psychische Zustände, die man zum Teil als pathologisch beschreiben könnte, zieht sich in seinem für Pariser Verhältnisse recht abgelegenen Refugium vor aller Welt zurück und umgibt sich nur noch mit Schönheit. Er erschafft sich in seiner Einrichtung, der Wahl der Kunstwerke und Bücher, die er besitzt bis hin zur Kleidung seiner Hausangestellten eine künstliche verfeinerte Welt, die er als alleiniger Herrscher und Einsiedler bewohnt und in immer wieder neuen Höhepunkten genießt.
Es gibt in der gesamten Literatur wohl keine umfassendere, beeindruckendere Bibliothek, die jemals beschrieben wurde als in diesem handlungsarmen Werk über den zurückgezogen lebenden Duc Jean Floressas Des Esseintes. Er versammelt um sich bisweilen auch allerlei Schönes, das dann wieder stirbt, wie etwa seltene exotische Blumen, die nach und nach eingehen. Dass solche Genüsse so schnell wieder ihren Reiz verlieren, verweist auf einen Vollkommenheitsanspruch im Protagonisten, dem nichts in diesem Leben gerecht werden kann. Mancher Leser wird sich darin wiedererkennen.
Im später vom Autor verfassten Vorwort rekapituliert dieser den Geisteszustand, in welchem er sich beim Abfassen des Romans befand und schätzt diesen schon als den eines Gläubigen ein. Der Glaube findet den, der das Schöne wider allen Mechanismen des irdischen Daseins erhalten will, der sich ausgestoßen fühlt, kurzum: den Verzweifelten. Die Empfindsamkeit und die Absonderung Des Esseintes’ in Bezug auf Reichtum, Geschmack und Interessen, sowie als letzter Abkömmling eines Adelsgeschlechtes ohne Aussicht auf Nachkommen, Kränklichkeit, die fast zum Tode führt, all dies macht einsam. „Seul“ („Allein“) war ein Arbeitstitel des Romans, den Huysmans an seinen Freund Francis Poictevin als Titel für dessen eigenen Roman abtrat. Die Sehnsucht nach einer Vollkommenheit, zu der das Irdische nicht fähig ist in einer von Sünde verwundeten Welt, führt in angedeuteten Kontemplationen zu einer Beantwortung dieser mit dem Glauben an den Gott der Christenheit. Huysmans’ Schriftsteller-Freund Barbey d’Aurevilly äußerte sich zu dem Werk seines Freundes daher auch, indem er feststellte, dass man sich als Verfasser eines solchen Romans hernach „eine Kugel vor den Kopf schießen oder zu Kreuze kriechen“ müsse.
Und so endet das Buch auch mit einem Gebet des rekonvaleszenten Helden: „Herr, hab Mitleid mit dem Christen, der zweifelt, mit dem Ungläubigen, der glauben will (. . .)!“