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    Painting of Curios: Beer can, dice, shell, harmonica, brown leaf

    Die nicht gewählte Berufung

    Deine Berufung kannst du dir nicht aussuchen – genauso wenig wie deinen Vater.

    von William H. Willimon

    Dienstag, 2. November 2021

    Verfügbare Sprachen: 한국어, français, English

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    Eines der wichtigen Dinge, die bei den Willimons sonntags bei Tisch nie erwähnt wurden, war die peinliche Sache mit meinem Vater.

    „Was soll ich sagen, wenn sie mich fragen: ‚Wo ist dein Vater?‘“, fragte ich.

    Die ausführlichste Antwort meiner Mutter: „Sag einfach, dein Vater wohnt hier nicht mehr.“ Da bin ich aber erleichtert. Wenigstens hatte ich irgendwann einmal einen Vater. Ich grub in meinem Gedächtnis nach irgendeinem Fetzen einer Erinnerung. Ich sah mich auf den Schoß eines Mannes klettern und ihm dabei zusehen, wie er Tabak in seine Pfeife stopfte. Da war auch das Kratzen von Barthaaren. Dann war da eine Erinnerung, wie ich mit einem Mann mit einer Pfeife in Skeltons Lebensmittelladen stand und er eine kalte Getränkedose aus dem Kühlschrank holte und sie mir reichte. Daraufhin fragte jemand im Laden: „Eine Coca-Cola für deinen Enkel, was, Bob?“

    Der Mann, der mir die Dose gegeben hatte, erwiderte: „Fahr zur Hölle. Das ist mein Sohn!

    Ansonsten nichts.

    Im Regal im Wohnzimmer stand ein Tabak-Humidor mit Pfeifen. „War das Papas?“, fragte ich.

    „Ja“, mehr kam nicht als Antwort. Das Schnuppern an dem bernsteinfarbenen Krug verschaffte mir die einzige greifbare Bestätigung, dass es meinen Vater einmal gegeben hatte.

    Als ich eines Tages allein war und in dem Schreibtisch herumwühlte, den ich eigentlich nicht öffnen durfte, fand ich einen Brief vom Direktor des US-Gefängnisses in Atlanta. „Sehr geehrte Damen und Herren, Robert C. Willimon hat sich im Gefängnis vorbildlich geführt.“ Würde ich je so erfolgreich sein, wie Papa es als Häftling war?

    Als Schulsprecher an der Hughes Junior High hielt ich eines Abends eine Rede vor dem Lehrer-Eltern-Ausschuss. Hinterher kam der Redakteur von der Greenville News auf mich zu und sagte: „Die Willimonsche Redebegabung hast du jedenfalls geerbt. Wer ist dein Vater, Charles oder Gene?“

    Ich schluckte. „Robert war mein Vater.“

    „Kein Witz? Ich hatte keine Ahnung, dass Bob einen so jungen Sohn hatte wie dich.“

    Gemälde von Kuriositäten: Bierdose, Würfel, Muschel, Mundharmonika, braunes Blatt

    Timothy Jones, Studio Curios.

    Dann beugte er sich zu mir herab und flüsterte: „Bob hätte einen Prediger dazu überreden können, die Zehn Gebote zu brechen. Mir hat der Schweinehund zehntausend Dollar abgeschwatzt. Dann verschwand er aus der Stadt. Hat nie einen Cent zurückgezahlt.“ Bei der Bank konnte ich also auch nichts werden. Wieder ein Beruf, der mir für immer verschlossen bleiben würde.

    „Aber ich sage dir Folgendes“, fuhr er fort. „Wenn dein Papa jetzt durch diese Tür käme und sagen würde: ‚Bill, gib mir zehntausend Dollar. Ich habe eine großartige Idee, die dich reich machen wird‘, dann würde ich sofort mein Scheckbuch zücken. Allmächtiger, konnte der Mann mit Worten umgehen!“

    „Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk …“ (Jes 6,8–9).

    Methodisten lieben diese Bibelstelle. Auf ihr beruht das Lied „Here I Am, Lord“ – 1981 geschrieben von dem Jesuiten Dan Schutte und seither zu einer Art Nationalhymne der Methodisten geworden. Nur wenige Methodisten schaffen es, zwei Strophen dieses Chorals zu überstehen, ohne sich freiwillig zur Evangelisation unter den Zulus zu verpflichten oder wenigstens eine gefühlvolle Träne zu verdrücken. Im Refrain heißt es: „Ich bin hier, Herr. Meinst du mich, Herr? Deinen Ruf vernahm ich in der Nacht. Ich will gehen, Herr. Führe du mich … Ich …“

    Man beachte die Häufigkeit des Personalpronomens in der ersten Person. Mittlerweile degeneriert Berufung zum Freiwilligendienst. Ich frage mich, wie viele Sänger, gepackt von dieser zuckersüßen Melodie, wahrhaftig durch die Begegnung mit einem berufenden Gott herausgefordert werden. Wie viele sind wirklich bereit, das Risiko auf sich zu nehmen, aus unserer Subjektivität befreit zu werden, die wir so gern pflegen?

    Noch nie hatten so viele Menschen so viel Freiheit, so viel von dem zu bekommen, was sie wollen, und dennoch so wenig Vorstellung von einem Leben, das unseres Wollens wert ist.

    Berufung – von Gott gerufen sein – ist ein Begriff, den kaum noch jemand verwendet. Die Kraft der Berufung, sagte Hermann Hesse, zeigt sich, wenn „die Seele dadurch erweckt“ wird, dass „statt der Träume und Ahnungen von innen plötzlich ein Anruf von außen, ein Stück Wirklichkeit dasteht und eingreift.“ Der Gedanke einer ungewählten Berufung erscheint uns merkwürdig, weil wir uns an die Illusion gewöhnt haben, unser Leben sei unser exklusiver Besitz, von dem wir nach unserem Belieben Gebrauch machen können.

    Fragen wie „Wer bin ich?“ oder „Warum bin ich hier?“ rufen im Einklang das verbreitete individualistische Bekenntnis hervor: Ich bin selbst gemacht, autonom, mein persönliches Eigentum, die Summe meiner klugen Entscheidungen und meiner heldenhaften Akte der Loslösung von jedem, der wichtiger ist als ich. Ich beuge mich keinem Anspruch, es sei denn, ich habe ihm freiwillig zugestimmt. Ich bin der Kapitän meines Geschicks, der Meister meiner Seele, der Autor der Geschichte, die ich bin.

    Christen stehen auf dem unamerikanischen Standpunkt, dass unser Leben weniger interessant sei als der Gott, der uns beauftragt. Wir sind abhängige Geschöpfe, um es mit Thomas von Aquin auszudrücken. Wir sind der Mond, nicht die Sonne; wir leuchten nicht aus eigener Kraft, sondern reflektieren das Licht der Welt. Der Gott, der die geniale Idee hatte, dem Staub Leben einzuhauchen (1 Mose 2,7), verleiht uns Atem, aber nur so lange, wie Gott es will.

    Alle möglichen Lügen halten uns davon ab, die Wahrheit unserer Bedingtheit und Abhängigkeit zu erkennen. Der Mythos der Selbsterfindung befeuert den Markt, der uns fünfzig Sorten Pizza und vierhundert Fernsehkanäle verschafft, und nennt das daraus entstehende Ödland „Freiheit“. Noch nie hatten so viele Menschen so viel Freiheit, so viel von dem zu bekommen, was sie wollen, und dennoch so wenig Vorstellung von einem Leben, das unseres Wollens wert ist, und das macht es unmöglich, das gute Leben selbst zu wählen.

    Augustinus beklagte, die prometheische menschliche Wahlfreiheit sei nichts als ein Rasseln mit unseren Ketten, ein Versäumnis, wahrheitsgemäß anzuerkennen, wer unsere Herren sind. In diesem Supermarkt des Verlangens ist es unser Schicksal, endlos zu konsumieren und nie wirklich zufrieden zu sein. Ich rede mir ein, ich sei frei von äußerlich auferlegten Herren, gestehe mir aber meine Knechtschaft unter dem strengsten Herrn von allen nicht ein: mir selbst.

    Die Moderne zwingt uns, die Geschichte zu schreiben, die definiert, wer wir sind, und heldenmütig aus einer Vielzahl möglicher Handlungsverläufe auszuwählen. Christen dagegen glauben, dass die meisten wichtigen Dinge, die uns definieren, uns zufallen und äußerlich auferlegt werden. Die Frage ist nicht: „Was will ich mit mir anfangen?“, sondern eher: „Welchen Gott bete ich an, und wie macht dieser Gott mit mir, was er will?“

    Nun kommen wir zu meiner Entdeckung des Gottes, der mich entdeckte.

    Meine College-Traumreise nach Europa (die ich mir als eine einzige, drei Monate lang rund um die Uhr andauernde Orgie vorstellte) wurde von Gott gekapert und zu einer Berufungskomödie gemacht. Im Hochsommer 1966 setzte uns ein blauer VW-Käfer (gekauft in der von den Nazis erbauten Fabrik in Wolfsburg) in Amsterdam ab. Während meine Kumpels die Stadt erkundeten, die keine Sünde kennt, stand ich im Rijksmuseum den Gemälden gegenüber, die ich nur von Abbildungen aus Lehrbüchern über Kunstgeschichte kannte. Nachdenklich betrachtete ich ein melancholisches Selbstportrait von Rembrandt, das so real wirkte, dass ich wegschauen musste. Zu meiner Rechten studierte ein älterer Mann eingehend ein Gemälde von van Ruisdael. Er kam mir bekannt vor, aber wen sollte ich so weit von zu Hause denn kennen?

    Dr. Marney! Sein grauer Bart war eine Woche alt, aber er war es eindeutig – Carlyle Marney. Sechs Monate zuvor war Marney (wie er sich am liebsten nennen ließ) zur jährlichen Religionswoche ans Wofford College gekommen. Er sprach mit einer tiefen Stimme, die sich anhörte wie Gott, wäre Jahwe ein Baptist aus Tennessee gewesen. Er fluchte, sogar beim Predigen, und gab ungeheuerliche Sprüche von sich, die Studenten wie mich begeistern sollten. Vom Inhalt seiner Predigten hatte ich nichts behalten, außer irgendetwas von Marneys Pferd auf der Weide, das ihm seinen Kopf zudrehte, wenn Marney pfiff. Eine undurchdringliche Metapher für Gott?

    Ich trat zögerlich auf ihn zu. „Dr. Marney?“

    „Wer zum Teufel sind Sie?“, erwiderte er und betrachtete mich argwöhnisch von Kopf bis Fuß.

    Ich kam mir vor, als säße ich plötzlich in einem Examen, für das ich nicht gelernt hatte.

    „Ach, nur ein Student vom Wofford College, wo Sie letztes Frühjahr gesprochen haben.“

    Marney stand da und musterte mich.

    „Sind Sie zum Predigen in Europa?“, fragte ich ihn.

    „Ich bin hier, um den Juden in mir wiederzuentdecken“, sagte er und stach mir seinen Finger auf die Brust. „Acht Synagogen in fünf Tagen. “

    Eine äußerst peinliche Pause.

    „Und Sie? Warum sind Sie hier?“, erkundigte er sich.

    „Ich? Ich reise nur so mit ein paar Freunden in Europa herum, suche nach Mädchen und mache mir eine schöne Zeit.“

    „Halten Sie mich für einen Trottel oder so etwas, mein Junge? Ich bin schon lange genug Prediger, um zu wissen, wenn jemand mich anlügt.“

    „Äh, dann weiß ich wohl gar nicht, warum ich hier bin“, stammelte ich.

    „Gut! Dann kommen wir vielleicht weiter. Unamuno sagt, zu wissen, dass man etwas nicht weiß, ist der Anfang des Wissens. Kann ich helfen?“

    Er packte mich am Arm. „Diese Holländer haben mich mehr Wahrheit gelehrt, als ich an einem Nachmittag verkraften kann. Gott, ich brauche was zu trinken. Wie ist es mit Ihnen?“

    Marney führte mich die Treppe hinab, zum Haupteingang hinaus und in die erste Kneipe in der Nähe des Museums.

    „Haben Sie Bourbon?“, rief er quer durch die düstere, verrauchte Gaststube einem Kellner zu. „Es braucht kein guter Bourbon zu sein. Der Junge hier kennt den Unterschied nicht, und ich erwarte so weit von zu Hause keinen guten Stoff. Zwei. Pur.“

    Aufgeregt beobachtete ich Marney, wie er mit seiner Pfeife hantierte. Endlich wurde es ein bisschen gefährlich.

    „So, nachdem Sie jetzt ein bisschen Alkohol in sich haben“, sagte er nach seinem ersten Schluck, „sind Sie bereit zu reden? Aber keine Scheiße, bitte. Was führt Sie hierher? Was ist der Grund, den Sie nicht zugeben wollen?“

    Marney begann, einen süß duftenden Tabak in seine Pfeife zu stopfen.

    „Äh, ich dachte, ich wäre nur hier, um mir Europa anzuschauen. Mein erstes Mal, wissen Sie. Ich interessiere mich wirklich für Kunstgeschichte …“

    „Sie haben damit angefangen, indem Sie mich angequatscht haben, als ich gerade dabei war, mich mit Abraham anzufreunden“, murmelte Marney vorwurfsvoll, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schloss die Augen, als hätte er nichts Bemerkenswertes gehört.

    „Als Sie damals am Wofford College gesprochen haben, kam mir der Gedanke, oder besser gesagt, ich gestand mir endlich ein, dass ich schon länger dachte, ich sollte vielleicht mal darüber nachdenken, mich um eins dieser Rockefeller-Stipendien für ein Probejahr auf dem theologischen Seminar zu bewerben, aber …“

    Marney grinste, als hätte er mich endlich durchschaut. „Mein Junge, das Leben ist weniger ein Monolog als vielmehr ein Dialog.“ Ich kam mir vor, als säße ich plötzlich in einem Examen, für das ich nicht gelernt hatte.

    „Es ist nur so, dass es mich richtig nervt, dass ich übers Seminar nachdenke. Es kommt mir irgendwie verrückt vor“, sagte ich nervös.

    „Warum verrückt?“, fragte Marney, ließ seinen Blick mit gespieltem Desinteresse durch die Kneipe wandern und paffte an seiner Pfeife.

    Ich begann mit einer weitschweifigen Erzählung. „Ich bin ohne Vater aufgewachsen, wissen Sie. Mein Vater hat uns verlassen, als …“

    Marney schüttelte den Kopf. „Nein. Ihr Papa kann sich verkrümeln, sterben, Sie verstoßen, aber irgendeinen Papa hat jeder. Ich wette, Sie sind losgegangen und haben sich einen gesucht, nicht wahr? Außerdem, was zum Teufel hat die Tatsache, dass Sie keinen Papa hatten, damit zu tun, dass Sie jetzt hier sind? Gott ist der Gott der Lebenden, nicht der Toten.“

    Timothy Jones, Die Muse schwieg

    Timothy Jones, Die Muse schwieg, Ausschnitt

    Ich war dankbar, dass ein Tisch zwischen uns stand. „Wissen Sie“, platzte ich heraus, „seit ich auf dem College war, habe ich angefangen, Freud zu lesen, und ich denke, vielleicht kompensiere ich durch meine Fixierung auf Gott nur das Fehlen eines Vaters, als ich heranwuchs. Eine Wunscherfüllung vielleicht.“

    „Höchstwahrscheinlich“, feixte Marney.

    „Dann ist mein Nachdenken über Gott nur meine psychologische Reaktion darauf, dass mein Vater im Gefängnis war und so?“

    „Schauen Sie, Junge“, sagte Marney, legte seine Pfeife zur Seite und lehnte sich über den Tisch in meine Richtung, als wollte er mich packen, weil es ihm auf die Nerven ging, das Offensichtliche erklären zu müssen. „Gott nutzt jeden Hebel, den er zu fassen kriegt.“

    Das Schweigen dauerte zu lange. Dann fragte ich: „Aber wie kriege ich heraus, was Gott ist und was mein eigener verkorkster Hintergrund?“

    Marney blies eine Rauchwolke aus und verkündete: „Mein Junge, Gott wird sich jeden verkorksten Hintergrund, jeden kriminellen Papa und jede manipulative Mama zu Nutze machen. Lesen Sie doch um Gottes willen mal die Bibel! Ich schwöre Ihnen, ich habe noch nie einen Prediger getroffen, der auch nur einen Schuss Pulver taugte und kein übles Mama- oder Papa-Problem hatte. Gott kann mit beidem arbeiten. Seien Sie froh, dass sie nur einen Verlust haben, den Gott sich zu Nutze machen kann.

    Ja, ich bin ziemlich sicher, dass Gott sich Ihren Namen notiert hat. Die Geschichte höre ich nicht zum ersten Mal. Sie sind nichts Besonderes. Da ist alles voll mit Gottes Fingerabdrücken. Haben Sie genug Zeit, dass ich mir noch einen genehmigen kann?“, sagte er und deutete auf sein leeres Glas. „Guter Mann!“, rief er dem Kellner zu. „Diese Runde verderben Sie nicht mit Eis. Mein Schützling mag ihn pur. Garçon, encore bourbon!

    Irgendwann in den frühen Morgenstunden wälzte ich mich auf der schmutzigen Matratze in der flohverseuchten Mönchszelle hin und her, die wir uns zu dritt für acht Dollar pro Nacht gemietet hatten, während in der Gemeinschaftstoilette am Ende des Flurs ein Student deutlich hörbar seinen Mageninhalt von sich gab, und sprach die Worte, die sicher auch Paulus betete, als Gott ihn blendete: Warum nicht jemand anders? Was für ein Gott sollte jemanden wie mich berufen? Aber ich will kein Methodistenprediger werden.

    In jener Nacht in Amsterdam wurde das unbeabsichtigte, anfangs demütigende, aber letzten Endes glückliche Leben geboren, das nicht mein eigenes ist, in die Pflicht genommen von einem anderen als mir selbst, verantwortlich gegenüber einem von außen auferlegten Anspruch. Wie Kurt Vonnegut gerne sagte: „Behalte den Hut auf, wir landen vielleicht meilenweit von hier entfernt.“

    Eines Tages in der Highschool bat ich eine Tante, das Familiengesetz zu übertreten und „mir von Papa zu erzählen“.

    Sie berichtete mir Folgendes: Als meine ältere Schwester und mein älterer Bruder klein waren, verübte mein Vater einen Bankbetrug oder Bankraub oder vielleicht beides; ganz genau weiß ich es nicht mehr. Zu der Zeit stand Papa in dem Ruf, mehr Pfändungen wegen unbezahlter Rechnungen auferlegt bekommen zu haben als irgendjemand sonst in der Geschichte von Greenville. Seine Straßenbaufirma „Greenville Pickens Speedway“ und ein Dutzend weiterer großartiger Ideen scheiterten. Irgendwann wurde er dann ins Bundesgefängnis in Atlanta gesteckt, oder vielleicht auch in das von Indiana; ich erinnere mich nicht mehr genau.

    In alledem stand meine Mutter an seiner Seite und wartete auf seine Rückkehr. Papa wurde aus dem Gefängnis entlassen und kehrte zu den Willimons zurück. Neun Monate später wurde ich geboren, obwohl er und meine Mutter schon in ihren Vierzigern waren. Leider geriet mein Vater bald wieder in Schwierigkeiten, und nach irgendeiner Missetat, die das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte, hielt eines Sonntags die Familie eine Versammlung ab und kam zu dem Schluss, es sei für alle das Beste, wenn mein Vater weggehen würde.

    Weggehen?

    Mutter wurde konsultiert und stimmte zu, nachdem man ihr zugesichert hatte, die Familie werde sich um mich und meine Geschwister kümmern (beide waren über zehn Jahre älter als ich). Papa wurde aus dem Testament gestrichen, und mein Bruder Bud, meine Schwester Harriet und ich erhielten das 120 Hektar große Erbe, das sonst ihm zugefallen wäre. Die einzige Bedingung, die meine Mutter stellte, war, dass niemand je von meinem Vater sprechen dürfe, weil „dieser kleine Junge nicht mit so einer Bürde aufwachsen sollte“.

    An dieses Versprechen hielten sich alle.

    Timothy Jones, Holzkiste

    Timothy Jones, Holzkiste, Ausschnitt

    Natürlich ist das alles absurd, eine düstere und erhabene faulknersche Südstaaten-Gruselgeschichte, eines Carson McCullers, einer Toni Morrison oder vielleicht sogar einer Eudora Welty würdig. Aber damals gingen die Leute anders mit Dingen um. Die fiktive Würde, die einer Familie noch blieb, musste ohne Rücksicht auf Verluste bewahrt werden. Erwachsene, die so viel Durcheinander angerichtet hatten, waren stolz auf ihre Fähigkeit, ein paar Dinge nicht zu erwähnen, die sie für zu unerfreulich hielten, um sie einem Kind zuzumuten. Ihre Vernebelungstaktik erzeugte einen großen leeren Raum in meinem Garten Eden.

    Bei einer Hochzeit in der Verwandtschaft in Raleigh, ich war zweiundzwanzig, kam meine Tante Alice in das Motelzimmer, in dem wir zusammensaßen, und fragte mich: „Möchtest du gern deinen Vater treffen?“

    „Ja, ich denke schon.“

    Sie führte mich in ein angrenzendes Zimmer, wo mich ein älterer Mann, der Pfeife rauchte, begrüßte. Wir schüttelten uns die Hände. Alles, was ich sah, war ein Verwandter in fortgeschrittenem Alter, für den ich nicht mehr empfand als für einen entfernten Cousin.

    Wie gut, zu wissen, dass Gott gerne Dinge macht; man kann sich selbst nicht aus dem Nichts erschaffen.

    „Wie ich höre, hast du es zu etwas gebracht“, sagte er mit einem Funkeln in den Augen. „Es heißt, du weißt, wie man Geld verdient.“ Ich habe gehört, du hast es drauf, den Leuten ihr Geld abzuschwatzen! Mein Sohn, ich bin stolz auf dich.

    In meiner ersten Gemeinde in Clinton, South Carolina, besuchte ich als Pastor einmal Miss Agnes, die am Winthrop College die Zimmergenossin meiner Mutter gewesen war. „Willie, es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass du geboren wurdest!“, sagte sie, nachdem sie mir einen Eistee serviert hatte. „Ich weiß noch, wie ich Ruby besuchte, als sie mit dir schwanger war. Ein schreckliches Jahr war das. Sie wusste nicht, ob sie lieber leben oder sterben würde. Ihre Haare wurden schneeweiß während dieser neun Monate.“

    Meine Geburt ein „schreckliches Jahr“?

    „Du kannst nicht erwarten, dass sie darüber glücklich war. Als vierzigjährige Frau von einem Baby überrascht zu werden“, sagte sie mit einem abschätzigen Lachen, während sie mir ein Plätzchen anbot. „Aber wie ich höre, hast du ihr Glück gebracht. Das ist schön.“

    So war das also: ich, der Unfall, die Erstlingsfrucht nach dem Gefängnis. Das ist der Grund, warum mir bei dem Ausdruck „geplante Elternschaft“ unbehaglich ist und ich Gott danke, dass eine Abtreibung 1946 noch nicht so leicht verfügbar war. Gott sei Dank für die biblischen Geschichten von peinlichen Schwangerschaften von Sara und Hagar bis hin zu Maria.

    Hätte ich mich dazu aufraffen können, Groll gegen meinen Vater zu hegen, gegen die Familie, die ihn ausgestoßen hatte, oder gegen ihre große Verschwörung des Schweigens, so hätte ich meinen Gehorsam gegenüber dem Gebot Jesu, unseren Feinden zu vergeben, auf die Probe stellen können. Ich hätte das tapfere Opfer spielen können, das die Fäuste ballt und alles überwindet. Aber leider brachte meine mangelnde Bindung an meinen unbekannten Vater zu wenig Abneigung hervor, die ich hätte überwinden können. Allerdings glaube ich, dass ich durch meinen Vater ein besserer Bibelausleger geworden bin. Der Apostel Paulus saß im Gefängnis, ebenso wie unser Herr selbst.

    Ihr könnt Griechisch lernen, soviel ihr wollt, gebe ich vor meinen Studenten immer an, aber wenn euer alter Herr nicht eingesessen hat, werden euch weite Teile des Neuen Testamentes unverständlich bleiben.

    „Erkennet, dass der Herr Gott ist. Er hat uns gemacht und nicht wir selbst“ (Psalm 100,3). Auch so ein beliebter Vers zum Auswendiglernen in der Sonntagsschule. Wie gut, zu wissen, dass Gott gerne Dinge macht; man kann sich selbst nicht aus dem Nichts erschaffen.

    Dass wir nicht selbst gemacht sind, bedeutet, dass wir Gottes Eigentum sind und dass er über uns verfügen kann, wie es ihm beliebt. Wie John Alexander in seinem Buch Being Church von 2012 darlegt, bezieht sich der Begriff Berufung oder Beruf im Neuen Testament nicht auf so etwas wie eine Anstellung, sondern auf Jüngerschaft. Wir können berufen sein zum „ewigen Leben“ (1. Timotheus 6,12) oder in die Gemeinschaft mit Christus (1. Korinther 1,9), aus der Dunkelheit ins Licht (1. Petrus 2,9) und in die richtige Beziehung zu Gott (Römer 8,30), aber nicht zu einer Erwerbstätigkeit. Paulus war ein Zeltmacher (Apostelgeschichte 18,3), aber nirgends wird Paulus dazu „berufen“, ein Zeltmacher zu sein. Er verdiente seine Brötchen damit, dass er Zelte machte, und das reichte ihm als Rechtfertigung, sein Bestes dabei zu geben.

    Menschen haben Berufe; eine Berufung ist etwas, was Gott tut.

    Timothy Jones, Tradition

    Timothy Jones, Tradition, Ausschnitt

    Der Mythenforscher Joseph Campbell hat für die Berufung die berühmte Definition „dem folgen, was dich glücklich macht“ formuliert; ähnlich sagt der Theologe Frederick Buechner, Berufung sei der Punkt, „wo deine tiefe Freude und der tiefe Hunger der Welt sich treffen“. Aber bei Jesus Christus – der Feuer auf die Erde wirft (Lukas 12,49), den Vater gegen den Sohn wendet (Lukas 12,53) und nicht Frieden, sondern das Schwert bringt (Matthäus 10,34) – gerät das Glück ins Zwielicht. Jesus bringt eine Rekrutierung, eine aufwiegelnde Berufung in die Mission, die manchmal sogar Glück zerstört. Fragen Sie Paulus.

    „Ich arbeite gern mit Menschen, deshalb …“ oder „Ich kann gut mit Worten umgehen, also …“ ist nicht der Weg der Berufung. Wie wäre es mit der Pflege kranker Menschen? Nein? Das reizt Sie nicht? Hey, wie wäre es mit Werbung?

    Eine Berufung entsteht nicht aus Ihrem Bündel von Bedürfnissen und Wünschen. Berufung ist das, was Gott von Ihnen will, wodurch Ihr Leben in eine Konsequenz von Gottes Erlösung der Welt verwandelt wird. Schauen Sie nur die Jünger Jesu an – bemerkenswerte mittelmäßige, untalentierte, glanzlose Landburschen –, und Sie werden sehen, dass Berufung weniger mit angeborenem Talent oder innerer Sehnsucht zu tun hat als mit Gottes Streben, Leben zu retten, indem er uns etwas für ihn zu tun gibt.

    Ohne einen Christus, der beruft, ist unsere nette innere Stimme das Beste, was wir zustande bringen. Aber wer würde, wenn er oder sie aufmerksam auf die eigene Subjektivität hört, so aufopfernde und verrückte Dinge riskieren, wie Gott sie regelmäßig verlangt?

    „Maria, wie bist du, indem du auf dein eigenes Leben hörtest, zu dem Entschluss gekommen, unverheiratet schwanger zu werden, deine Seele von einem Schwert durchbohren zu lassen und den gekreuzigten Sohn Gottes auf die Welt zu bringen?“

    Verstehen Sie, was ich meine?

    Berufung ist keine innere Neigung, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden, indem wir in den entlegenen Winkeln unseres Ichs forschen. Wie Jesus so treffend sagt: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt“ (Johannes 15,16).

    Meine jugendliche Frage aus meiner langen Nacht in Amsterdam, „Was für ein Gott würde sich jemanden wie mich aussuchen?“ wird in der Bibel beantwortet. Der Gott, der Israel und die Gemeinde erwählt hat, erwählt Leute wie mich.

    Eine Berufung entsteht nicht aus Ihrem Bündel von Bedürfnissen und Wünschen. Berufung ist das, was Gott von Ihnen will.

    Gott hat für jeden Menschen irgendeine Form von Jüngerschaft im Sinn. Jeder kann mit einer Berufung rechnen – mit dieser eigenartigen Methode Gottes, Sie, ein Geschöpf Gottes, bei Gottes Errettung der Welt zu gebrauchen. Einer der schönsten Aspekte meines glücklichen Pastorenlebens ist, zu sehen, auf welch unterschiedliche Weisen Gott beruft – dazu, Briefe an Häftlinge zu schreiben, im Finanzausschuss der Gemeinde mitzuarbeiten, die Bettpfannen bedürftiger Menschen auszuleeren, gläubige Kinder großzuziehen, den Hungrigen einen reichlichen Tisch zu decken oder Lehrerin oder Lehrer zu werden.

    Beim Mittwochs-Gebetsfrühstück an der Northside UMC (Gott und ein Wurstbrötchen zu nachtschlafender Stunde) bat ich einmal die versammelten Gemeindeglieder salbungsvoll: „Betet für Mary. Johnny wurde letzte Nacht festgenommen. Alkohol am Steuer. Ich werde sehen, was ich tun kann, um ihn herauszuholen. Mary hat es nicht leicht mit diesem Jungen.“

    „Was wissen Sie über Alkoholismus?“, erwiderte einer der Männer, wenig beeindruckt von meiner pastoralen Fürsorglichkeit.

    „Wo wollen Sie das Geld für die Kaution hernehmen?“, fragte ein anderer. „Wir gehen mit Ihnen. Streichen Sie das von der Gebetsliste. Wir können das regeln.“

    Also marschierten wir zu dritt ins Gefängnis, wo wir einen verängstigten Jugendlichen weinend in der Ecke seiner Zelle hocken sahen.

    „Junge, wie lange hast du schon ein Problem mit Alkohol?“, fragte einer der Männer durch die Gitterstäbe.

    „Äh, ich würde nicht sagen dass ich ‚ein Problem‘ habe“, erwiderte Johnny.

    „Lass mich das noch mal anders formulieren. Wie lange lügst du schon über dein Problem? Junge, ich habe auf die harte Tour eine Menge über Alkohol gelernt. Das Biest saß mir im Nacken, seit ich in der Armee war. Ich kann dir zeigen, wie du da herauskommst.“

    „Wir holen dich hier heraus“, sagt ein anderer, der Anwalt war. „Und dann kommst du mit zu mir nach Hause. Unsere Kinder sind aus dem Haus. Deine Mama hat schon genug, was auf ihr lastet. Und ich hätte gerne jemanden, mit dem ich zu den Football-Spielen an der Uni gehen kann.

    Da zeigte ein berufender Gott mal, was er kann.

    Es war Heiligabend 1981. Die Northside United Methodist Church hatte eine schwere Zeit gehabt in den Jahren vor meiner Ankunft als ihr neuer Pastor. Es stand so schlimm, dass sie im Vorjahr sogar weder genug Geld noch genug Begeisterung für einen Weihnachtsgottesdienst aufgebracht hatten. Die entmutigte Gemeinde brauchte einen Sieg. Und wenn ich eigenhändig die Kerzen gießen, die Weihnachtssterne eintopfen und im Falsett „Stille Nacht“ krähen musste, bei Gott, mein erstes Weihnachten in Northside sollte ein extravagantes Spektakel voller Kerzenlicht und weihnachtlicher Gefühle werden.

    Als ich gerade letzte Hand an meine Predigt für den Gottesdienst an diesem Abend legte, rief mein Bruder an.

    „Papa ist gerade gestorben.“

    Der Vater, den ich kaum kannte, suchte sich ausgerechnet diesen Abend – meinen wichtigsten Abend in meiner neuen Gemeinde – für seinen Abgang aus, diesmal den endgültigen. Auf der Fahrt zum Gemeindehaus an diesem Abend schämte ich mich dafür, wie wenig mich das berührte. Ich versuchte zwar, die Tragik des Ganzen zu beklagen, aber meine Trauer war nicht größer, als wenn es ein entfernter Verwandter gewesen wäre. Eilig betraten wir das Gemeindehaus. Ich schlüpfte in meinen Talar, zog den Gurt straff, gab die Anweisung, die Kerzen anzuzünden und stellte den Chor für das Eingangslied auf – „Herbei, o ihr Gläubigen“ statt „Mitten im kalten Winter“, nach dem mir eher gewesen wäre.

    So ist Gemeinde. Gemeinde zwingt uns, hereinzumarschieren und zu singen, auch wenn wir gar nicht in Stimmung zum Singen sind, uns nicht besonders gläubig fühlen und auch nicht „fröhlich triumphieren“. Die Gemeinde wartet nicht darauf, dass Sie die richtige Motivation zum Gottesdienst haben, ehe sie Sie zum Gottesdienst ruft. Und wenn Sie berufen sind, Pastor zu sein, dann gibt es unzählige Tage, an denen Ihnen überhaupt nicht danach ist, Pastor zu sein, und dennoch müssen Sie so tun, als ob. Sie haben vielleicht Schmerzen, sind vielleicht emotional und theologisch überfordert. Eigentlich sollten Sie ein Experte darin sein, anderen beim Trauern zu helfen, dabei wissen Sie vielleicht selbst nicht, wie Sie ihren eigenen Verlust öffentlich machen sollen. Als Pastor sind Ihre persönlichen Probleme nachrangig gegenüber den Bedürfnissen anderer. Sie sind der einzige Pastor, den die Leute haben, und Weihnachten ist nur einmal im Jahr. Also ziehen Sie den Gurt straff und beten: „Gott, der du mir das eingebrockt hast, gib mir die hartnäckige Entschlossenheit, es durchzuziehen.“ Dann gehen Sie hinaus zu den Leuten und benehmen sich wie ihr Pastor, auch wenn Sie keine Lust dazu haben.

    Also ziehen Sie den Gurt straff und beten: „Gott, der du mir das eingebrockt hast, gib mir die hartnäckige Entschlossenheit, es durchzuziehen.“

    An jenem Heiligabend im traurigen Northside, ebenso wie in vielen anderen Zeiten und Gemeinden, übte ich mich im Dienst meiner Berufung in der Kunst der pastoralen Repression. Ich stand auf und spielte den Prediger. Werfen Sie mir nicht Täuschung oder Verleugnung vor – an jenem Abend war ich fast dankbar dafür, etwas anderes außer mir selbst zu haben, wofür ich beten konnte. Ich freute mich, dass die Taufe mir eine Gemeindefamilie verschafft hatte, die noch chaotischer war als meine eigene, war froh, dass eine schwangere Jungfrau einen höheren Nachrichtenwert hat als ein Sohn, dem es nicht gelingt, den Tod eines gescheiterten Vaters richtig zu betrauern.

    Ich war kein unglückliches Opfer einer unüberlegten Vaterschaft. Ich hatte das Vorrecht, berufen zu sein, durch meine Berufung dazu gezwungen, mich zusammenzureißen, tief Luft zu holen, aufzustehen und zu predigen, den Leuten einen Bibelvers aufs Herz zu legen, der ihnen helfen würde, durch die Nacht zu kommen. Ich war der Einzige, der ihnen die göttlichen Worte sagen konnte, die sie sich selbst nicht sagen konnten. Jemand musste die Nachricht ausrichten, die gute Nachricht für alle, die im Land der Finsternis wohnen, sei es östlich von Eden oder auf der nördlichen Seite von Greenville. Obwohl wir die Finsternis mehr lieben als das Licht (Johannes 3,19), wird Gott dennoch Mensch: Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns …

    Wir alle haben in unseren Lebensgeschichten Dinge, die wir bedauern und mit denen wir noch nicht fertig sind. Die Welt, so schön sie ist, ist niemals genug. Es gibt nicht genug Zeit, nicht genug Raum für die vollständige Erlösung oder volle Wiederherstellung. Selbst der allmächtige Gott hat eine Einschränkung mit uns begrenzten Menschen gemeinsam, sagte Thomas von Aquin: Selbst Gott kann nicht machen, dass unsere Vergangenheit nicht gewesen ist. Die verlorenen Tage holt niemand zurück, nichts lässt sich ungeschehen machen, indem uns genau der richtige Bibelvers einfällt, ein gedankenloses Wort können wir nicht zurücknehmen.

    Sie können es nicht. Das ist der Moment, wo Sie Dank sagen dafür, dass das Wort, der ewige Logos, Fleisch geworden ist, unser Fleisch, und bei uns eingezogen ist. Gott weigerte sich, geistlich zu bleiben. Das Wort mischt sich ein mit Worten, die wir uns selbst nicht sagen können, Licht scheint in unserer Finsternis. Denn also hat Gott die Welt geliebt in all ihrer Verkorkstheit und ihrem Schmerz. Nur wir sind da, um die Geschichte zu erzählen. Also stellen wir uns irgendwie dorthin. Wir singen. Herbei, o ihr Gläubigen. Herbei, o ihr Ungläubigen. Lasset uns ihn trotzdem anbeten.

    Und Wunder über Wunder, in einer deprimierten kleinen Gemeinde, von der noch niemand gehört hat, in einer Straße in Greenville im verdammten South Carolina, die ironischerweise auch noch Summit Drive heißt, mit einem emotional unbeholfenen Prediger, der nicht einmal die Barmherzigkeit hat, um einen verstorbenen Dieb, seinen eigenen Vater, zu betrauern, ist Gott bei uns. Alpha und Omega treten ein in unsere Endlichkeit, verkörpern sich in unsere schiefgelaufenen Geschichten hinein.

    Eine unzeitige Geburt, ein abwesender Vater, Gott kommt zu denen mit unreinen Lippen, die nicht kommen konnten zu Gott. Nur zu, Herr, lebe gefährlich: sende mich.


    Dr. William H. Willimon war Dekan an der Chapel of Duke University und ist Verfasser vieler Bücher, darunter Accidental Preacher: A Memoir (Eerdmans, 2019), dem dieser Artikel in bearbeiteter Form entnommen ist. Verwendet mit Genehmigung des Verlags.

    Quelle aller Bilder: https://timothyjonesfineart.com

    Von WillWillimon William H. Willimon

    Will Willimon ist Professor an der Duke Divinity School und pensionierter Bischof der United Methodist Church.

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