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CheckoutJeder Mensch verdient eine sinnvolle Arbeit
von Justin Peters
Montag, 20. September 2021
Verfügbare Sprachen: English
In seinem Essay denkt Plough-Autor und Bruderhof-Mitglied Justin Peters (1950-2004) über die Hassliebe nach, die uns mit unserer Arbeit verbindet.
Wir lieben unsere Arbeit - und wir hassen sie. Wir brauchen unsere Arbeit um zu überleben. Aber sie erniedrigt uns und versperrt uns den Weg zum Glück. Wir kämpfen uns durch verstopfte Straßen, taktieren im Büro, schwitzen auf der Baustelle und lassen die Zeit unseres Lebens verfließen, während wir Dinge tun, die uns nicht gefallen, zu denen wir aber gezwungen sind.
Mein Vater war Drehbuchautor und Regisseur für das National Film Board of Canada, als er 1953 begann, mehr über unser Verhältnis zur Arbeit nachzudenken. Ein Professor der McGill University in Montreal hatte eine Untersuchung in einer Waschmaschinenfabrik im US-Staat New York durchgeführt. Der Fabrikbesitzer hatte ein Fließband installiert, um die Geschwindigkeit zu steuern (und zu erhöhen), mit der die Maschinen zusammengebaut wurden. Dadurch wollte er Kosten sparen. Der Professor aus Montreal hatte davon gehört und um die Erlaubnis gebeten, die Auswirkungen der Fließbandarbeit auf das Leben der Arbeiter zu untersuchen. Der Besitzer war der Sache gegenüber aufgeschlossen und erlaubte ihm, die Untersuchung durchzuführen.
Als mein Vater den Bericht las, erblickte er darin das Grundgerüst für ein Drehbuch. Also nahm auch er Kontakt zu dem Fabrikbesitzer auf. „Klar”, meinte der, „wir arbeiten nur in zwei Schichten. Zwischen 10 Uhr abends und 6 Uhr morgens gehört die Fabrik dir. Bring deine Schauspieler her!”
Es war der Höhepunkt der antikommunistischen Angstkampagnen in den USA und mein Vater war ein bekennender Sozialist. Es wurden Schauspieler engagiert, der Film wurde gedreht, der Soundtrack aufgenommen und der Film Men at Work näherte sich der Vollendung. Dann wurde mein Vater plötzlich zu einem Gespräch mit den Managern gebeten. „Herr Peters, Sie müssen sich nach einer neuen Arbeit umsehen...”
Mein Vater hat sich nie die Mühe gemacht herauszufinden, was später mit Men at Work geschehen ist. Jahrzehnte später, gegen Ende seines Lebens, äußerte er mir gegenüber seine Vermutung, dass die Filmgesellschaft wahrscheinlich damals die Aussage des Films manipuliert und ihn dann veröffentlicht hat. Neulich habe ich aus dem Archiv der Filmgesellschaft eine Kopie des Filmes bestellt, um ihn mir anzusehen. Ich glaube, die Vermutung meines Vaters war richtig. Die Manipulation beschränkt sich auf die letzten beiden Minuten des Filmes, wo es plötzlich ein Happy End gibt - ungeschickt an die kritische Erzählung meines Vaters angehängt.
Im dem Film geht es um Art Banks, der ein gewissenhafter Arbeiter ist, stolz auf die hervorragenden Waschmaschinen, die die Trojan Company herstellt. Aber dann kommt das Fließband. Alles wird auf Zahlen reduziert. Plötzlich zählt nur noch Geschwindigkeit. Arbeiter, die sich einen Dreck um die Qualität der Produkte scheren, sind jetzt die Erfolgreichen. Erst gibt es Streit, dann Schlägereien. Der ursprüngliche Film meines Vaters hört hier auf: Art Banks Welt zerbricht. Überall sind Fragen, aber keine Antworten.
Was jeder von uns braucht, um in seiner Arbeit Erfüllung zu finden, ist, mehr zu sein als nur ein Werkzeug zur Profitmaximierung – wir müssen einem höheren Zweck dienen.
Die Funktion der Arbeit [ist] mindestens dreifach: einem Menschen die Gelegenheit zu geben, seine Fähigkeiten einzusetzen, es ihm zu ermöglichen, seine Selbstzentriertheit zu überwinden, indem er gemeinsam mit anderen eine gemeinsame Aufgabe angeht und um Güter und Dienstleistungen zu schaffen.
Auch die Welt meines Vater zerbrach, aber dann formte sich aus den Bruchstücken etwas Neues: Ein Freund meiner Eltern besuchte eine Versammlung des Versöhnungsbundes in Seattle, wo zwei Teilnehmer über einen Ort sprachen, wo Menschen für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiteten, wo es kein Privateigentum gäbe und wo „Belegschaft” und „Management” ein und dasselbe sei.
Meine Eltern verbrachten das folgende Jahr damit, einen Besuch auf dem Bruderhof in England oder Paraguay zu arrangieren (damals gab es noch keine Bruderhöfe in den USA). Dann wurde der Woodcrest-Bruderhof in Rifton, New York, gegründet, und meine Eltern waren unter den ersten Besuchern. Innerhalb von sechs Monaten zogen sie mit ihren drei kleinen Kindern (ich war eines davon) dorthin um. Einige Jahre später waren sie Mitglieder auf Lebenszeit. Mein Vater musste an Men at Work zurückdenken. Jetzt war er selbst ein Fabrikarbeiter geworden, und zwar in den Community Playthings Werkstätten des Bruderhofs. 1956 schrieb er:
Art Banks und die anderen hätten uns sicherlich nicht erzählt, dass ihre Arbeit bei der Trojan Company der Sinn ihres Leben sei. Aber indem sie Jahr für Jahr dort blieben, haben sie genau diese Aussage implizit bestätigt. Ihr Tun spricht klarer als Worte, wie sie da stehen und dem Fließband dienen...
Die Organisation des Bruderhofs würde niemand bemerkenswert finden – außer dass sie widerspiegelt, dass Menschen hier mit all ihren Schwächen akzeptiert werden, in der Gewissheit, dass jeder außerhalb seiner selbst eine Kraft zum Guten finden kann, die seinem Leben einen Sinn verleiht. Die Organisation selbst erscheint eher lose und informell, weil unser Vertrauen nicht der Organisation gilt, sondern nur dem Geist, der uns vereint. Ich kann darauf vertrauen, dass andere eher wissen als ich, was die passendste Arbeit für mich ist.
Was ist mit meiner Rolle als Künstler? Momentan drehe ich keine Filme und ich habe keine Ahnung, ob ich je wieder darum gebeten werde. Aber das Leben hier ist erfüllt und ganz. Es ist kreativ – es lebt ganz davon, das wir es mit unserer Inspiration füllen. Ich bin dazu berufen, in den kommenden Jahren kreativ als Künstler zu leben, wenn auch vermutlich nicht als Künstler im engeren Wortsinn.
Genau wie Art Banks braucht jeder von uns einen Sinn bei der Arbeit, der über die Profitmaximierung hinausgeht, wenn wir Erfüllung finden wollen. Irgendwie ist es meinem Vater gelungen, uns Kindern genau das zu vermitteln. 1966 schrieb meine Schwester Rilla:
Der Mann steht gestiefelt, breitbeinig
Auf schwankendem Boden, herumgeworfen,
Doch unberührt durch neon-grellen Lärm
herausgeschrienen Vergnügens. Unbewegte Miene,
Die Augen blicken fern und kühl auf eine Wüste
Wo außer ihm keiner lebt. Als ich keinen Platz finde
Fragt er, Hey, was ist los –
Willst mitkommen, was? Kein Geschmack in seinem Mund
von lieben oder bösen Worten. Nur kalter Rauch.
Sie treiben dahin – ein junger Mann in seiner Blüte:
Rücken, Hände, Kopf sind stark und könnten
Anteil haben an liebevollem Werk mit Brüdern. Er hat keine Lust
den Ruf zu hören, der uns alle einmal ruft. Doch die Zeit
Ist knapp. Bitte! Starr nicht nur ins Leere! Tu etwas!
In jenen Jahren dachten auch andere über die Arbeit und das Leben nach. Studs Terkel veröffentlichte 1972 sein hervorragendes Buch Working, das aus Interviews mit 100 Arbeitern aus allen Gegenden der USA bestand. Einige Auszüge:
Jean Stanley, eine Kosmetikverkäuferin: „Ich hätte gerne etwas gemacht, was mehr Bedeutung hat, wo man das Gefühl hat, zu etwas beizutragen.”
Fred Roman, ein Rechnungsprüfer: „Meine Arbeit ist nicht sehr aufregend. Wenn ich Leuten sage, dass ich Buchhalter bin, dann wissen sie nicht genau, was sie antworten sollen. Wass sollen sie denn auch sagen? Ich könnte sagen: „Wow, gestern war ich in der und der Firma und ihr Kassenbericht, wow!” (Langsam, jedes Wort betonend) Es gibt einfach nicht viel, was man dazu sagen könnte.”
Ray Wax, ein Börsenhändler: „Ach, ich schaff das schon. Ich mache einfach weiter mit meiner persönlichen Enttäuschung. (Lacht.) Klar, ich würde gerne eines Morgens aufwachen und zu einer Arbeit gehen, die mir Freude bringt.”
Steve Carmichael, ein Regierungsbeamter: „Was mich am meisten frustriert ist das Wissen, dass das, was ich mache, keinerlei positive Auswirkungen auf andere hat. Soweit ich sehen kann, ist meine Arbeit vollkommen bedeutungslos.”
Bill Talcott, Organisator einer Bürgerinitiative: „Ich bin einer der Wenigen, die herausgefunden haben, was sie wirklich tun wollen. Ich habe total viel Spaß, die beste Zeit meines Lebens. Mir tun die ganzen Leute leid, mit denen ich dauernd zu tun habe und die nicht das machen, was sie wirklich machen wollen. Ihr Leben ist die Hölle. Man hat doch nur ein Leben. So etwa 65 Jahre. Wie in aller Welt kann man 45 davon mit etwas verbringen, was man hasst?”
Nick Lindsay, ein Zimmermann: „Aber hin und wieder, da gibt es einfach Dinge, die so passieren. Plötzlich hat alles einen tiefen Sinn. Sagen wir mal du hämmerst gerade so einen 6 cm langen Nagel in eine Wandverkleidung. Das gesamte Universum ist dann in dem Kopf dieses Nagels zusammengerollt. Jeder Schlag ist ausreichend, um dem ganzen Leben Sinn zu geben.”
Nora Watson, eine Redakteurin: „Die meisten von uns wollen eine Berufung, keinen Job. Die meisten von uns, wie die Fließbandarbeiter, haben Jobs, die zu klein für ihre Seele sind. Jobs sind zu klein für Leute.”
Ein Jahr später schrieb E. F. Schumacher in Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Alternativen für Wirtschaft und Technik:
Der moderne Geschäftsmann wurde in dem Glauben erzogen, dass „Arbeit” wenig mehr als ein notwendiges Übel ist. ... Aus der Perspektive des Arbeiters ist es „negativer Nutzen”. Zu arbeiten bedeutet, die eigene Freizeit und den eigenen Komfort zu opfern. Der Lohn ist eine Art Entschädigung für dieses Opfer. Daher ist das Ideal aus der Perspektive des Arbeitgebers, Leistung ohne Arbeitnehmer erbringen zu können. Das Ideal aus der Perspektive des Arbeitnehmers ist, Einkommen ohne Arbeit zu haben. Die Konsequenzen dieser Einstellungen sind natürlich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis äußerst weitreichend. Wenn das Ideal der Arbeit ist, sich ihrer ganz zu entledigen, dann ist jede Methode zur „Reduzierung des Arbeitsaufwandes” eine gute Sache.
In einem späteren Kapitel stellt Schumacher eine positivere (und produktivere) Einstellung zur Arbeit vor:
Arbeit hat mindestens drei Funktionen: einem Menschen die Gelegenheit zu geben, seine Fähigkeiten einzusetzen und weiter zu entwickeln, es ihm zu ermöglichen, seinen Selbstzentriertheit zu überwinden, indem er gemeinsam mit anderen eine gemeinsame Aufgabe angeht und um Güter und Dienstleistungen für eine nachhaltige Lebensweise zu schaffen. Wiederum sind die Konsequenzen, die aus dieser Sicht der Dinge folgen, nahezu endlos. ... Hier geht es vor allem um Freiheit. ... Das Hauptaugenmerk ist daher Einfachheit und Gewaltlosigkeit. Aus Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers liegt das Wunder dieser Lebensweise in der äußersten Rationalität ihrer Methode – verblüffend kleine Mittel führen zu außerordentlich befriedigenden Ergebnissen.
Auch ich hatte es begriffen. 1974 wurde ich Mitglied des Bruderhofs. Hier ist Arbeit nicht sinnlos und auch keine seelische Belastung. Arbeit ist hier Teil der Erfüllung, nach der die Seele strebt.
Mir geht es wie Bill Talcott – ich habe einen Riesenspaß. Für mich ist das Leben Arbeit und Sinn in einem. Es ist befreiend, wenn man mit den Leuten, mit denen man zusammen arbeitet, auch alles teilt, sowohl materielle Güter als auch Ziele, Hoffnungen und Sinn. Es gibt kein erniedrigendes Taktieren am Arbeitsplatz. Man verschwendet seine Jahre nicht in einem Konflikt zwischen Arbeit und Seele.
Ich habe schon alles mögliche gemacht, vom Beladen von Lastwagen und Holzstapeln bis hin zu Produktdesign und Nähmaschinenreparatur. Es ist egal, was für eine Aufgabe heute auf mich zukommt – wichtig ist, dass alles demselben Zweck dient. Dieser Zweck ist zu zeigen, dass Leben und Arbeit für alle Menschen sinnerfüllt sein können – für alle 7 Milliarden von uns. Jeder Tag, an dem meine Arbeit das zeigt, ist ein Tag, der seine Mühe wert ist!