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CheckoutDie Leidensverkündigung des Herrn wirkte wie ein betäubender Donnerschlag auf die Seelen der Zuhörer. „Die Zwölf verstanden kein Wort. Was Jesus sagte, blieb ihnen verborgen; sie wussten nicht, wovon er sprach.“ Mit hörenden Ohren hörten sie nicht, mit sehenden Augen sahen sie nicht. Sie begriffen nichts von den Gedanken des Herrn, weil sie voll waren von ihren eigenen Gedanken. Sie wollten nichts wissen von Leiden und Sterben, weil sie nur von Glück und Herrlichkeit träumten. Sie sahen im Geiste die Morgenröte des ersehnten Messiasreiches heilverkündend aufgehen und meinten, was der Meister von Schmach, Leiden und Tod sage, sei alles nur eine bildliche Redeweise, die einen ganz anderen Sinn, als den buchstäblichen haben müsse. Nur das Eine fühlten sie, das etwas unsäglich Schweres in den Worten des Herrn liege und so zogen sie halb bewusstlos mit ihm weiter.
Mit hörenden Ohren hörten sie nicht, mit sehenden Augen sahen sie nicht. Sie begriffen nichts von den Gedanken des Herrn, weil sie voll waren von ihren eigenen Gedanken. Sie wollten nichts wissen von Leiden und Sterben, weil sie nur von Glück und Herrlichkeit träumten.
Der Herr aber wusste genau, was ihm bevorstand. Er sah im Geiste die Schatten von Gethsemane und empfand die Kreuzesschauer auf Golgatha. Er hatte die Macht, auf jedem Schritte umzuwenden, in seines Vaters Herrlichkeit zurückzukehren, — und dennoch ging er vorwärts. Was war es denn, das ihn drängte diesen Weg zu vollenden? Es war der Gehorsam gegen seines Vaters Willen, die erbarmende Liebe gegen die verlorene Welt. So schritt er dahin zum blutigen Tod, aber im Herzen trug er den Trost der siegreichen Auferstehung. Und wo er ging, wo er sich aufhielt, da erblühte seinem Wirken himmlischer Segen, wie der Glaube des geheilten Blinden und das Heil des begnadigten Zachäus.
Aber der Herr sagt nicht: „Ich gehe nach Jerusalem“, — sondern: „Wir gehen hinauf.“ Auf dieses „Wir“ haben wir den Nachdruck zu legen. Denn es gilt nicht nur jenen ersten Jüngern, sondern auch uns, insoweit wir seine Nachfolger sein wollen. Auch mit uns geht es nur durch Leiden und Sterben zur Herrlichkeit. Mit Christus um der Sünde Willen in gläubigem Gehorsam leiden, im Aufblick zu ihm allen törichten Wünschen und eitlen Hoffnungen absagen, mit ihm und in der Liebe zu ihm täglich den alten Menschen in den Tod versenken, mit ihm in der Zuversicht auf eine selige Auferstehung in der letzten Stunde still erblassen, um dann im himmlischen Jerusalem bei ihm zu sein allezeit, — das ist unsere Aufgabe. Wenn auf unserer Pilgerstraße ein Fremder uns fragt: Wohin des Weges? — so soll unser ganzes Sein und Wesen ihm die Antwort geben: „ Wir gehen hinauf nach Jerusalem.“ … In diesem Sinn bleibt es für diese Passionszeit, in der wir unseren Herrn auf seinem Kreuzeswege begleiten, ja, für unsere ganze Wanderung durch dieses Erdental, wie im Frühling, so im Winter des Lebens, unsere Losung: „Wir gehen hinauf nach Jerusalem.“
Johannes Ernst von Holst (1828-1898) war evangelischer Pfarrer und Stadtprediger in Riga und veröffentlichte diese Andachten 1895