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    ink drawing of a small yellow boat on a stormy sea

    Die Furcht – der Urfeind des Menschen

    So sieht Gottes Geschöpf nicht aus

    von Dietrich Bonhoeffer

    Mittwoch, 17. Januar 2024
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    Und er trat in das Schiff, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer, also dass auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward; und er schlief. Und die Jünger traten zu ihm und weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf uns, wir verderben! Da sagte er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer; da ward es ganz stille. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam ist? Matthäus 8, 23-27

    Die Bibel, das Evangelium, Christus, die Kirche, der Glaube - sie sind das Kriegsgeschrei gegen die Furcht. Die Furcht - das ist der Urfeind. Die Furcht sitzt dem Menschen im Herzen, sie höhlt ihn aus, bis er plötzlich widerstandslos und machtlos zusammenbricht. Sie zernagt heimlich alle Fäden, die den Menschen mit Gott und den anderen verbinden, und wenn der Mensch in seiner Not sich an sie klammern will, dann zerreißen sie, und hilflos sinkt er unter dem Gelächter der Hölle in sich selbst zurück. Und nun grinst ihn die Furcht unverhohlen an und sagt: Jetzt sind wir beide allein, du und ich, nun zeige ich dir mein wahres Gesicht. Wem sich die nackte Furcht enthüllt hat, wer ihr in schauriger Einsamkeit verfallen war der Furcht vor großer Entscheidung, der Furcht vor einem schweren Schicksal, einer Krankheit, der Furcht vor einem Laster, dem er keinen Widerstand mehr leisten kann, das ihn knechtet, der Furcht vor Schande, der Furcht vor einem andern Menschen, der Furcht vorm Sterben - der weiß, dass die Furcht nur eine Larve des Bösen ist, in der die gott- feindliche Welt nach ihm greift. Nichts vermag dem Menschen die Wirklichkeit gottfeindlicher Mächte so spürbar zu machen wie diese Einsamkeit, diese Hilflosigkeit, dieser Nebel, der sich über alles verbreitet. Habt ihr einmal einen Menschen gesehen, den die Furcht gepackt hat? Grauenvoll beim Kind, grauenhafter beim Erwachsenen: das tierische Erbeben, die flehentliche Abwehr. So sieht nicht das Geschöpf Gottes aus, so sieht die geknechtete, zerstörte, kranke Kreatur aus.

    Aber der Mensch soll sich nicht fürchten! Das ist der Unterschied des Menschen von aller Kreatur, dass er in der Ausweglosigkeit, Unklarheit und Schuld eine Hoffnung weiß. Und fragst du: Woher weißt du das?, so nennen wir den Namen dessen, vor dem das Böse zusammenzuckt, vor dem Furcht und Angst sich fürchten müssen, den Namen dessen, der allein die Furcht überwand und sie im Triumphzug gefangenführte und ans Kreuz schlug und der Nichtigkeit anheimgab, den Namen dessen, der das Siegesgeschrei der von der Furcht erlösten Menschheit ist - Jesus Christus, der Gekreuzigte und Lebendige.


    Auszug aus dem 1973 im Chr. Kaiser Verlag München erschienenen Bonhoeffer Brevier.

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