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    Papst Benedikt XVI.: Keine diplomatischen Manöver, sondern Jesus

    Reflexionen des verstorbenen Papst Benedikt XVI. über das Streben nach Versöhnung zwischen Täufern und Katholiken.

    von Papst Benedikt XVI.

    Sonntag, 1. Januar 2023

    Verfügbare Sprachen: English

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    Im Juni 1995 traf sich der Prior der Bruderhöfe, Johann Christoph Arnold, mit Kardinal Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., zu einem Gespräch mit einer Gruppe deutscher Katholiken. Das Treffen begann damit, die Berichte über das Martyrium zweier Täufer, Georg Wagner und Klaus Felbinger, vorzulesen, die im 16. Jahrhundert von der katholischen Obrigkeit hingerichtet worden waren. Es folgen Auszüge aus dem anschließenden Gespräch.

    Kardinal Ratzinger: Ja, was einen wirklich bewegt bei diesen Geschichten, ist die Tiefe dieses Glaubens, die wirkliche innere Verankerung in unserem Herrn Jesus Christus und die Freude auch, dies zu sein, die stärker ist als der Tod. Was uns erschüttert, ist natürlich, dass die Kirche so stark mit den weltlichen Mächten verflochten war, dass sie selbst andere Christen ihres Glaubens wegen der Hinrichtung preisgegeben hat, was uns nur eine tiefe Mahnung sein kann, wie sehr wir alle immer der Bekehrung bedürfen und wie sehr die Kirche von den weltlichen Maßstäben sich lösen muss, um wirklich die Wahrheit als den einzigen Maßstab zu nehmen, auf Christus hinschauen, nicht andere zu martern, sondern selber den Weg des Zeugnisses zu gehen, der immer auch von der Welt Widerspruch finden wird und immer auch zum Martyrium in verschiedenen Formen führen wird. Ich glaube, das ist für uns sehr wichtig, dass wir uns nicht den weltlichen Maßstäben angleichen, sondern dass Christus der Maßstab ist und dass wir bereit sind, von da aus auch den Widerspruch der Welt auf uns zu nehmen und umgekehrt zu lernen, dass seine Wahrheit sich vor allen Dingen in der Liebe und in der Vergebung ausdrückt und dies ihr verlässlichstes Zeichen ist. Ich glaube, das ist der Punkt, wo wir alle wieder neu lernen müssen und nur durch den er uns auch wirklich zusammenführen kann.

    Ich denke auch, dass es ganz wichtig ist, dass wir nicht Einheit der Kirche durch diplomatische Manöver zustande bringen können. Was dann herauskommt, ist ja nur wieder ein diplomatisches Gebilde nach menschlichen Maßstäben, sondern dass wir uns einfach ihm immer mehr öffnen müssen, denn nur die Einheit, die er schafft, ist eine wirkliche. Alles andere sind politische Konstruktionen, die so vergänglich sind wie alle politischen Konstruktionen. Der Weg ist natürlich schwieriger, denn bei politischen Manövern sind die Menschen selbst aktiv und glauben, was erreichen zu können. Auf den Herrn müssen wir warten, daß er uns die Einheit schenkt und freilich ihm auch entgegengehen mit der Reinigung des Herzens.

    Aber für mich ist Saul das Beispiel dieser falschen Ungeduld: Er opfert selbst, weil Samuel nicht kommt. Immer meint er, ja, wenn Gott es nicht tut, dann muss ich es selber einrichten. Auch die Nacht, wo er dann die Hexe von Endor beschwört, weil ihm andere Gesichte nicht zuteil werden. Ich glaube, wir sind alle in dieser Versuchung, dass wir sagen, ja, wir müssen doch selber was machen. Und in dieser Ungeduld, in der wir dann nur selbst agieren tun wir uns auch vor dem Herrn verschließen, der der eigentlich Handelnde ist.

    So würde ich auch eine solche Zusammenkunft verstehen, dass wir jetzt nicht aushandeln, wie [Katholiken und Wiedertäufer] eins werden können in der katholischen Kirche, sondern dass wir miteinander uns vom Herrn reinigen lassen und von ihm her die Wahrheit lernen, die dann Liebe ist, und dann ihn handeln lassen, dass er uns zueinander bringt.

    Christoph Arnold: So fühle ich auch. Genau so.

    Kardinal Ratzinger: Ja, das ist schon erschütternd, dass also irgendwie das Zutrauen, dass der Glaube selbst eine Kraft ist, dann einfach nicht mehr da ist, dass dann die Manager lernen unter diesen Gesichtspunkten die Kirche regieren lernen.

    Wenn man nicht auf den Herrn vertraut eigentlich, sondern das aus dem eigenen Können irgendwie machen will und dann eben auch die Kirche nicht als eine von Ihm geschaffene, gelebte Gemeinschaft versteht, sondern etwas, was wir managen. Und dann geht sie ganz sicher unter, nicht? Denn wenn wir sie dann selber machen, hat sie auch gar keinen Grund zur Existenz mehr. Insofern muss immer wieder durch neue Aufbrüche, die der Heilige Geist schafft, in der Kirche aus der Asche wieder der Funke neu gezündet werden.

    Es wäre ja interessant, wenn wir es irgendwann im Laufe des Gespräches vielleicht schaffen werden, diese Frage noch einmal aufnehmen würden, was diese Bilder vom Sauerteig, vom Salz und vom Licht bedeuten. Denn sie bedeuten ja nicht, dass die andern dann alle nichts sind, im Gegenteil, das ist ja der Dienst für die anderen. Durch das Licht sehen auch die anderen. Das Licht ist auf dem Berg eben nicht, damit es für sich selbst da ist, sondern damit es den anderen leuchtet. So sagt uns ja der Herr ausdrücklich, das Licht stellt man nicht unter den Eimer, dass es nur für sich selbst da ist, dann hätte es seinen ganzen Sinn verloren. Das ist für die anderen, für alle. Das Gleiche mit dem Salz. Das muss in den Teig eindringen. Einerseits gilt: nicht alle können, nicht alle dürfen Salz sein. Wenn es nur das Salz gäbe, wäre ja auch der Sinn der Schöpfung verfehlt, der Sinn der Erlösung verfehlt. Aber auch umgekehrt: wenn das Salz nur für sich bliebe, tut es auch seinen Dienst nicht. Ich glaube, diese Beziehung zwischen der Erweckung, die im Kleinen geschieht und der Funktion, die darin liegt mit dem Ganzen und den andern, wie sie zueinander stehen, das ist etwas ganz Wichtiges. Dass also der besondere Dienst – Salz, Licht, Sauerteig – nicht ein Verwerfen der andern bedeutet, sondern ein Auftrag für alle ins Ganze hinein, dass nicht alle diesen Dienst haben, aber dass doch alle von diesem Dienst irgendwie leben, also insofern die Frage von Universalität, Katholizität, wenn man so will, nicht wahr; und besonderer Berufung von Brüdergemeinden, wo beides ineinander geht und sich nicht widerspricht, das ist glaube ich ein ganz wichtiger Punkt, den man gerade von den Gleichnissen Jesu her lernen und mehr noch durchdringen müsste als bisher.

    Johann Christoph Arnold und Joseph Ratzinger

    Johann Christoph Arnold und Kardinal Ratzinger, Rom 1995

    Christoph Arnold: Mein Großvater Eberhard Arnold hatte einen wunderbaren Weg, jeden Menschen, den er traf, ob er ein Katholik war oder ein Protestant, den hat er aufgerufen: Sei ein treuerer Katholik! Finde wirklich heraus, was die Katholische Kirche ist. Wenn du ein treuerer Katholik wirst und ich ein treuerer Hutterer [Wiedertäufer], dann werden wir uns schon mehr finden und nicht sagen: Du musst ein Hutterer werden. Sondern: Tue was du tust, und suche es tiefer! Er hat das sogar zu den Kommunisten gesagt. Bei Karl Marx war der Glaube nicht da, aber da war trotzdem etwas von Gott, wenn man seine Schriften liest. …

    Traudl Wallbrecher: Ich glaube auch, Gott kann immer Neues machen, mit den Bemühungen. Es ist ja in der ganzen Kirchengeschichte so gewesen, dass in jedem Jahrhundert immer etwas Neues wieder beigetragen hat, das positiv Neue zu erkennen. Auch im Marxismus, der Versuch, das Gesetz der Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit muss man immer noch respektieren. Aber ohne Gott wird es dann eine Zwangsgesellschaft. Wenn ich das erzwingen will – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – dann habe ich weder Freiheit, noch Gleichheit, noch Brüderlichkeit. Diese Gefahren sind ja nicht gebannt. Der Versuch heute, hier im Westen, den Menschen zu formen ohne den Glauben, der ist ja nicht weg, sondern der ist ja viel stärker. Wohin man schaut, wird versucht, dass der Mensch zum Heil durchaus ohne Gott findet. …

    Kardinal Ratzinger: Ich finde es gut, dass Sie das aufgegriffen haben, ich wollte auch noch darauf zurückkommen. Man kann als Katholik ja wünschen, dass ein Hutterer ein besserer Hutterer wird und umgekehrt, dass Hutterer wünschen, dass ein Katholik ein besserer wird, wenn man überzeugt ist, dass in beiden Fällen das Zentrum eigentlich anvisiert ist. Ganz katholisch zu werden, heißt, ganz in die Gemeinschaft mit Christus eintreten. Wenn ganz hutterisch zu werden das Gleiche heißt, infolgedessen eben nicht ein Relativismus damit kanonisiert ist – jedem das seine – sondern im Gegenteil die tiefste Einheit der Wahrheit, die Christus selber ist. Von ihm aus entsteht dann auch die Einheit, die aus ihm heraus sich dann auch in die Welt hinein ausdrückt.

    Es gibt ja allenthalben einerseits eine Theologiemüdigkeit bis hin zur Feindschaft auch, weil das Gefühl unter vielen Gläubigen entsteht, das auch nicht ganz unbegründet ist, Theologie zerstöre Glauben. Aber andererseits genügt ein Glaube, der nicht mehr den ganzen Menschen durchtränkt, der mit seinem Wahrheitsanspruch nicht mehr in den Verstand hineinredet und gedacht wird, nicht mehr der Größe dessen, was Glaube ist. Weil Glaube, wenn er Wahrheit ist, Erkenntnis umsetzen muss. Da wieder eine Theologie zu lernen, die nicht irgendwo sich in einem falschen akademischen Neutralismus ergeht und sich darin irgendwie akademisch zu rechtfertigen versucht, sondern diesen Mut hat, das Abenteuer der Wahrheit ganz ernst zu nehmen, in der inkarnatorischen Dimension des Glaubens, das ist etwas sehr Schwieriges, sehr Ausgesetztes, aber etwas wirklich ganz Notwendiges. Darum müssen wir immer wieder gemeinsam ringen, denke ich.


    Auszüge aus der Niederschrift eines Treffens, das am 24. Juni 1995 in Rom stattfand. Das Treffen wurde von Traudl Wallbrecher, der Leiterin einer katholischen Gemeinschaft in Deutschland, initiiert. Der Text wurde gekürzt, um den Schwerpunkt auf die Beiträge von Kardinal Ratzinger zu legen, und aus Gründen der Klarheit und Länge überarbeitet.

    Von Pope Benedict XVI Papst Benedikt XVI.

    Papst Benedikt XVI. (1927-2022), ehemals Joseph Kardinal Ratzinger, war von 2005 bis zu seinem Rücktritt im Jahr 2013 Papst.

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