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CheckoutNach den Tieren kamen die Hirten der Tiere. Auch wenn ihnen nicht ein Engel die große Geburt verkündigt hätte, wären sie zum Stall gekommen, um den Sohn der fremden Frau zu sehen.
Die Hirten leben fast immer wie Einsiedler, fern von Menschen. Sie wissen nichts von der weiten Welt und von den Festtagen der Erde. Was in ihrer Nähe geschieht, sei es noch so unbedeutend, ist für sie Ereignis. Sie wachten eben bei ihren Herden in der langen Nacht der Wintersonnenwende, als der Lichtstrom und die Anrede des Engels sie überschüttete.
Die Geburt eines Menschen, die eben geschehene Fleischwerdung einer Seele, einer Seele, die kommt, die Leiden anderer Seelen zu teilen, das ist immer ein schmerzliches Wunder.
Und kaum hatten sie im schwachen Licht des Stalles die junge, schöne Frau erblickt, die schweigend auf ihren Sohn schaute, und kaum hatten sie das Kind erblickt mit seinen großen, offenen Augen, eben zum ersten Mal aufgetan, und das rosig zarte Fleisch, das Mündchen, das noch nie gegessen, da wurde ihnen das Herz weich. Eine Geburt, die Geburt eines Menschen, die eben geschehene Fleischwerdung einer Seele, einer Seele, die kommt, die Leiden anderer Seelen zu teilen, das ist immer ein schmerzliches Wunder; da kommt Rührung auch über die Einfachen, die nicht zu sagen wüssten, was sie rührt. Und dieser Neugeborene war für die Hirten, nachdem sie einen Hinweis erhalten, nicht ein unbekanntes Kind wie alle andern, sondern das Kind, das ihr gequältes Volk seit tausend Jahren erwartet hatte.
Die Hirten boten das wenige was sie selber hatten, dar; das wenige, das viel ist, wenn es mit Liebe gegeben wird. Sie brachten die weißen Gaben der Hirtenwirtschaft: Milch, Käse, Wolle, ein Lamm. Auch heute geschieht so etwas noch in unseren Bergen, wo eben die letzten Reste von Gastlichkeit und Brüderlichkeit im Verschwinden sind; wenn dort eine junge Frau niederkommt, dann eilen die Schwestern zu ihr, die Frauen und Töchter der Hirten. Und keine Hand ist leer; die eine hält vier Eier, noch warm vom Nest; die andere, eine Schale Milch, eben gemolken; die dritte ein Käselaibchen mit der frischesten Rinde der Welt; und die letzte bringt ein Hühnchen zu einer Suppe für die Wöchnerin. Ein neues Geschöpflein ist in der Welt erschienen und hat sein Weinen begonnen; da bringen die Nachbarn der Mutter etwas, wie um sie zu trösten.
Es war ein Armer unter ihnen geboren worden.
Die Hirten jener alten Zeit waren arm und kannten keine Verachtung des Armen; sie waren einfach wie Kinder und schauten Kinder gerne an. Sie waren Sprösslinge des Volkes, das vom Hirten aus dem Lande Ur stammte, das der Hirt von Madian aus Ägypten geführt hatte. Hirten waren seine ersten Könige gewesen, Saul und David; erst Hirten von Herden und dann Hirten des Volkes. Darauf stolz waren die Hirten von Bethlehem nicht. Es war ein Armer unter ihnen geboren worden, und sie blickten mit Liebe auf ihn; und mit Liebe reichten sie ihm ihre armen Schätze. Sie wussten, dass dies Kind, Kind von Armen in seiner Armut, Kind von Einfältigen in seiner Einfalt, Kind des Volkes mitten im Volk – sie wussten, es wird die Kleinen hinaufkaufen, die Menschen, die guten Willens sind, über die die Engel den Frieden gerufen hatten.
Jesus hingegen ist gekommen, die Rache Sünde zu nennen, das Verzeihen zur Pflicht zu machen.
Auch der unerkannte König, der weit umirrende Odysseus, ist von keinem andern mit so viel Freude aufgenommen worden wie vom Hirten Eumaios in seinem Viehhof. Aber Odysseus kam gen Ithaka, um Rache zu üben; er kam heim, um Feinde zu töten. Jesus hingegen ist gekommen, die Rache Sünde zu nennen, das Verzeihen zur Pflicht zu machen. Die gütige Gastfreundschaft des Sauhirten von Ithaka liegt vergessen hinter der Liebe der Hirten von Bethlehem.