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    A background slice from Odilon Redon's painting, Silence.

    Ein ganzes Leben in einem Tag

    von Chris Zimmerman

    Mittwoch, 28. Oktober 2015

    Verfügbare Sprachen: español

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    "Warum die Tage zählen? Ein Tag genügt dem Menschen, um alles Glück zu erfahren." - Fjodor Dostojewski

    Am Morgen des 14. Oktober, einem Mittwoch, empfingen Derek und Sara Zimmerman vom Maple Ridge Bruderhof ihr erstes Kind. Luke Milton Zimmerman lebte weniger als einen Tag, aber sein Leben veränderte die Gemeinschaft um ihn herum - Veränderungen, die weit über die wenigen Stunden hinaus fortwirken, die er auf dieser Erde gelebt hat. Dieser Artikel besteht aus Gedanken, die Lukes Großvater Chris Zimmerman bei dem Gedenkgottesdienst geäußert hat.

    Ich möchte mit einem Vers aus Psalm 30 beginnen: "Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude." Das haben wir am Mittwoch erlebt.

    Trotz der Prognosen einiger Spezialisten, die daran gezweifelt hatten, dass er lebend zur Welt kommen würde, wurde Luke höchst lebendig und munter geboren. Eine seiner Ärztinnen war so froh, dass sie anfing "Happy Birthday to you" zu singen und ihre Kollegen herbeirief, um ihnen von dem "Wunder" zu erzählen. Freude erfüllte den Raum. Wenig später befanden wir uns auf dem Weg nach Hause, wo jemand ein Schild aufgestellt hatte: "Willkommen Luke Milton Zimmerman" Die Gemeinschaft empfing ihn mit einem Dankgebet und einer Segnung des Pastors, der die Zimmermans vor 18 Monaten getraut hatte.

    Luke verbrachte den Morgen damit, gefüttert, gebadet, im Arm gehalten zu werden und Lieder vorgesungen zu bekommen. Viele Male öffnete er seine Augen und reagierte, wenn sein Name genannt wurde. Er winkte mit den Händen, lutschte am Daumen, kickte, weinte und machte Quak-Geräusche. Seine Urgroßmutter Marianne hielt ihn in ihren Armen - ihren ersten Urenkel.

    Am frühen Nachmittag fing Lukes kleines Herz an, seinen letzten Kampf zu kämpfen. Freunde und Familie, Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins kamen in den Raum, um zu singen und zu beten, während wir uns um Luke versammelten und uns darauf vorbereiteten, dass Gott ihn zu sich nehmen würde. Diese kostbaren Stunden werden wir nie vergessen. Am späten Nachmittag starb er in den Armen seiner Eltern. Er war zehneinhalb Stunden alt.

    In Wirklichkeit war Luke natürlich viel länger bei uns gewesen, weil er ja schon neun Monate alt war, als er uns die Freude seiner Ankunft bereitete. Im Mai wurde bei einer Routineuntersuchung eine seltene Chromosomenstörung und ein schwerer, komplexer Herzfehler diagnostiziert. In den darauf folgenden Tagen waren Derek und Sara verständlicherweise traurig und verängstigt. Sie suchten Rat bei Spezialisten und bei ihren Pastoren. Vor allem aber beteten sie wie noch nie zuvor. Was war Gottes Wille für den kleinen Jungen?

    Nachdem klar wurde, dass chirurgische Eingriffe nicht nur riskant sein würden, sondern auch wenig Aussicht hätten, sein Leben zu retten, entschieden sich die Eltern nach Beratung durch ihre Ärzte dazu, Lukes Zukunft allein in Gottes Hand zu legen. Sein Vater meinte dazu: "Wir glauben an die Heiligkeit jedes menschlichen Lebens." Egal wie beeinträchtigt oder behindert, jedes Neugeborene ist ein Geschenk des Schöpfers. Wir wollten Luke so willkommen heißen, wie Gott ihn geschaffen hatte.”

    Derek, Sara, and Luke Milton Zimmermann

    Ein wichtiger Anstoß waren die wunderschönen Verse aus dem 18ten Kapitel des Lukasevangeliums. "Man brachte auch kleine Kinder zu ihm, damit er ihnen die Hände auflegte. Als die Jünger das sahen, wiesen sie die Leute schroff ab. Jesus aber rief die Kinder zu sich und sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen."

    Den ganzen Sommer hindurch und während des herrlichen langen Herbstes wartete der gesamte Familienkreis auf das Baby. Währenddessen pumpte Lukes kleines tapferes Herz weiter und weiter, es schlug zum Rhythmus des gemeinschaftlichen Lebens und zum Rhythmus der Natur.

    Wieder und wieder kämpften wir darum, loslassen zu können: Die Angst loslassen, die Furcht, den Wunsch, die Dinge anders zu lenken oder alles übergenau zu planen und auch die Versuchung, Gott infrage zu stellen, zu fragen: Warum? Durch all dies haben wir, glaube ich, die Wahrheit des alten deutschen Sprichwortes erfahren: "Der Mensch denkt, Gott lenkt."

    Ist das nicht etwas, was wir alle immer wieder lernen müssen? In Derek und Saras Fall mussten sie zu einem Frieden finden: Sie mussten ihre Träume und ihre Vorstellungen vom Glück als junges Ehepaar loslassen, so dass Gottes Wille geschehen konnte. Ich habe mich gefragt, was ich bereit bin loszulassen - was ich loslassen muss, damit Gott in meinem Leben wirken kann?

    Jesus hat uns gesagt: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich gelangen." Hören wir auf das, was er sagt? Medizinisch gesehen wurde bei Luke ein Herzfehler diagnostiziert, aber in Wirklichkeit ist es der Rest von uns, der halbherzig und hartherzig ist, behindert durch unseren Stolz und unsere Sünde. Lukes Herz war perfekt wie das Herz jedes Babys: Rein, unschuldig und voller Liebe.

    In den vergangenen Wochen sind wir oft an Abenden und Wochenenden zum Hudson River gegangen, etwa drei Kilometer von unserem Haus entfernt. Es kann einen traurig machen, auf den Fluss zu schauen. Man denkt darüber nach, wie die Zeit vergeht, unerbittlich, unaufhaltsam. Darüber, wie Kinder aufwachsen und fortgehen. Wie alles Materielle, alles, was wir kennen und sehen, woran wir hängen und worauf wir vertrauen, irgendwann zerfallen muss. Es kann nicht ewig währen.

    Aber auf den Fluss zu schauen kann einen auch mit tiefer Dankbarkeit erfüllen. Auf den Hudson River zu schauen hat unsere Gedanken oft auf die reine Quelle all des Wassers gelenkt. Auf die Sonne, die Sterne, auf Gott, dessen Macht so gewaltig ist, dass sie Berge erschafft und versetzt - und dabei so liebevoll und zart, dass sie ein kleines Baby in die Welt rufen oder eine Seele sanft anstoßen und bewegen kann.

    Es ist ein Paradoxon, eines von vielen, mit denen wir in den vergangenen Tagen gelebt haben. Lukes Aufenthalt bei uns war sehr kurz, aber er hat uns genug Erinnerungen gebracht, dass es für das ganze Leben reichen wird. Seine Zeit bei uns war herzzerbrechend traurig, aber sie hat uns auch mit tiefster Freude erfüllt. Vom Morgen seiner Geburt bis zum Abend hatte sich alles gewandelt: Lächeln wurde zu Weinen und überwältigende Freude zu überwältigender Trauer. Wir haben alle Emotionen verspürt, die man innerhalb eines Tages verspüren kann.

    Rückblickend empfinden wir große Dankbarkeit. Nach vorne zu blicken ist schwer, viel schwerer, denn Lukes kleines Bettchen ist jetzt leer. Aber wir glauben, wir wissen, dass die Trennung durch den Tod nicht endgültig ist. Es ist nicht das Ende. Wir wissen, dass die Zukunft - Gottes Zukunft - eine freudige ist. Hören wir auf das Versprechen Jesu aus dem Johannesevangelium: "So seid auch ihr jetzt bekümmert, aber ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen und niemand nimmt euch eure Freude."

    Mit diesem Glauben ausgestattet haben wir uns heute hier versammelt, um uns von diesem wunderschönen kleinen Jungen zu verabschieden, von diesem Boten des Himmels, der zu perfekt und zu rein war, um bei uns zu bleiben. Mit dieser Zuversicht übergeben wir ihn an Gott - unseren Gott - der gibt, aber auch nimmt.

    Wir wissen, dass das Boot, das kam um Lukes Seele mit sich zu nehmen, sicher über die Wasser geleitet wurde, durch die Nacht unserer Trauer hindurch, zu dem ruhigsten, schönsten Hafen, den man sich vorstellen kann. Es ist der Ort der ewigen Ruhe, der jedem von uns verheißen ist, sobald unser Boot die Segel setzt und wir die andere Seite erreichen. Das Wasser dort ist, wie es in der Offenbarung des Johannes heißt, kristallklar und der Himmel heller als tausend Sonnen. Und vor allem wird es dort keine Tränen mehr geben.

    Luke Milton Zimmerman
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