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CheckoutStephen Yoon ist ein koreanisch-amerikanischer Arzt, der seit zehn Jahren im nordkoreanischen Pjöngjang Kinder mit Behinderung betreut hat. Bis zum vergangenen Jahr lebte er dort mit seiner Frau Joy und ihren drei Kindern als Mitglieder der IGNIS-Gemeinschaft. Die von der US-Regierung verhängten Reisebeschränkungen machen es der Familie derzeit unmöglich, nach Pjöngjang zurückzukehren.
Pflug: Was hat Dich anfänglich dazu inspiriert, nach Nordkorea zu gehen?
Stephen Yoon: Im Jahr 2006 besuchte ich ein Kirchentreffen, auf dem ein Mann über seinen Einsatz in Nordkorea sprach. Er hatte die Folgen der Hungersnot von 1994 miterlebt, die drei Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Obwohl aus der ganzen Welt Hilfslieferungen eintrafen, fragte sich dieser Mann: „Würde Jesus Lebensmittel nach Nordkorea schicken, oder würde er vielmehr selbst dort hingehen?“ Er hatte das Gefühl, dass Jesus dort hingehen würde, um bei den Menschen zu sein und ihr Leid zu teilen und ihnen seine Liebe zu zeigen.
Ich war inspiriert und später erzählte ich meiner Frau von seiner Geschichte. Zu jener Zeit führten wir in Kalifornien ein ganz normales Leben. Joy sagte: „Lass uns packen und dort hingehen!“
Und so gingt Ihr dorthin …
Ja. 2007 zogen wir in die Provinz Rasŏn, eine experimentelle Freihandelszone an der Grenze zu China und Russland. Ich arbeitete in einer Klinik. Da Nordkorea ein sozialistisches Land ist, steht fast jeder Aspekt des Lebens mit der Regierung in Verbindung. In der uns zugewiesenen Abteilung hatten wir täglich Umgang mit Regierungsbeamten.
Vor welchen täglichen Herausforderungen standet Ihr?
Als Ausländer und US-Bürger galten für uns größere Einschränkungen hinsichtlich dessen, was wir ohne Regierungsbegleitung tun durften. Die Organisation unseres Zeitplans war schwierig, da sich das achtköpfige Team der IGNIS-Gemeinschaft ein Fahrzeug und einen Beamten teilte, der für den Arbeitszeitplan verantwortlich war. Außerdem wohnte unser Team aufgrund des Mangels an Wohnraum für Ausländer zusammen in einem Haus. Diese Dynamik kann sehr schwierig sein.
Trotz der Einschränkungen waren wir erstaunt, wie viele Freiheiten wir hatten. Zu unserer täglichen Arbeit gehörte der Umgang mit ganz normalen Menschen in einem örtlichen Krankenhaus. Wir behandelten Patienten und unterrichteten Ärzte. Solange wir genügend Zeit bis zum Erhalt der entsprechenden Genehmigungen einräumten, gab es, wie wir feststellten, wenig, was wir nicht tun durften.
Wie ist Eure Gemeinschaft in Nordkorea entstanden?
Als Joy und ich Jesus Abbey, eine Gemeinschaft in den Bergen im Nordosten Südkoreas, besuchten, waren wir schockiert, so viele verschiedene Menschen zusammenleben zu sehen und all die Probleme, die sie mitbrachten. Die Erfahrung, wie all diese Probleme gelöst werden konnten, gab uns Hoffnung und bildete das Modell für unser entstehendes Missionswerk mit dem Namen IGNIS-Gemeinschaft.
Gegenwärtig gehören zu unserer Gemeinschaft mehr als vierzig Personen, die in einer Vielzahl von Projekten in Nordkorea arbeiten. Einige von ihnen sind Vollmitglieder; andere kommen für einjährige oder sechsmonatige Praktika und unterstützen die Projekte. Die Mitglieder stammen aus zahlreichen Ländern. Einige arbeiten im medizinischen Bereich, einige in Kindergärten, andere sind Entwicklungshelfer.
Wir haben der nordkoreanischen Regierung deutlich gemacht, dass wir als Christen kommen, um Nordkorea zu helfen, und das wurde gestattet und anerkannt. Aber es ist uns nicht erlaubt, religiöses Material zu verteilen und über unseren Glauben zu sprechen.
Vor einigen Jahren erlebten mehrere meiner Mitarbeiter innerhalb einer relativen kurzen Zeitspanne lebensbedrohliche Ereignisse. Dann wurde bei Joy Nierenkrebs diagnostiziert, und sie kehrte nach einer großen Operation in die Vereinigten Staaten zurück. Zum Glück wurde sie wieder gesund, aber ich war erschüttert. Bis dahin war ich sehr auf meine Arbeit fokussiert, aber schließlich verstand ich, dass die Arbeit nicht das Wichtigste ist.
Ich las in Johannes 13: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ Zu lernen, wie man in Liebe und Sorge füreinander wie Brüder und Schwestern zusammenlebt, wurde zu etwas Zentralem in meinem Leben. Jetzt sehe ich darin – und nicht in der Arbeit – meine wichtigste Berufung.
Wie prägt Dein Glaube Deine Berufung?
In Südkorea war ich als Schüler schlecht in Mathe. Ich fühlte mich berufen, in der Medizin zu arbeiten, aber Arzt zu werden schien unmöglich. Trotzdem dachte ich: „Gott macht unmögliche Dinge möglich.“ Ich wusste, wozu ich berufen war, und mir wurde der Glaube gegeben, dass das geschehen konnte.
Eine meiner Patientinnen in Rasŏn konnte ihre Hände nicht bewegen. Ich legte ihr meine Hände auf, und erstaunlicherweise ging es ihr besser. Danach begannen „unheilbare“ Patienten, in meine Klinik zu strömen. Diese Erfahrung ließ mich verstehen, dass ich mich nicht auf meine eigene Stärke sondern auf die Macht Gottes verlassen sollte.
Wie kamst Du mit Patienten mit Zerebralparese und Autismus-Spektrum-Störung in Berührung?
Die Kunde von meiner Arbeit in Rasŏn verbreitete sich bis nach Pjöngjang, und die medizinische Fakultät trat an mich heran. Sie sagten mir, dass, wenn ich einen Abschluss von der Kim-Il-sung-Universität hätte, meine Arbeit besser akzeptiert würde. So wurde ich 2011 der erste Ausländer, der an der Medizinischen Fakultät von Pjöngjang einen Doktor in Rehabilitation erwarb.
Im Januar 2012 lernte ich dann in Rasŏn ein fünfjähriges Mädchen mit Zerebralparese kennen. Bok Shin war querschnittsgelähmt und konnte nicht schlucken, weshalb ihre Großmutter das Essen für sie kaute und es ihr in den Mund steckte. Ich versuchte, mich mit Liebe um Bok Shin zu kümmern. Schon bald begann sie, ihre Finger zu bewegen.
Im gleichen Jahr lud mich die Medizinische Fakultät von Pjöngjang ein zu unterrichten, aber ich machte mir Sorgen, dass Bok Shin sterben würde, wenn ich fortginge. Ich fragte, ob sie von Rasŏn in das Kinderkrankenhaus von Pjöngjang verlegt werden könnte. Der Leiter des Krankenhauses war überrascht, als ich ihm mitteilte, an welcher Erkrankung Bok Shin litt. Er sagte, es gäbe in Nordkorea keine Patienten mit Zerebralparese. Ich bat nur darum, Bok Shin ein Bett zu Verfügung zu stellen, und das bekam sie auch.
Als ich in Pjöngjang begann, mich um Bok Shin zu kümmern, erinnerten sich die Eltern anderer Patienten an Kinder in ihrer Nachbarschaft mit ähnlichen Symptomen. Es sprach sich herum. Aus ganz Nordkorea brachten Eltern ihre Kinder mit Behinderungen nach Pjöngjang. Die Krankenhausmitarbeiter wussten nicht, was sie mit all diesen kleinen Patienten machen sollten. Ich fing an, dort in Zusammenarbeit mit der medizinischen Fakultät Behandlungen anzubieten.
Dann begann ich im Oktober, mit einem anderen, an Zerebralparese leidenden Kind mit dem Namen Oo-Ein zu arbeiten. Als ich sie fragte, was sie sich am meisten wünschte, sagte sie: „Mit meinen Freunden zur Schule zu gehen.“ Ihre Lehrerin hatte sie stets auf dem Rücken zur Schule getragen. Nach einem Jahr intensiver Therapie verließ Oo-Ein das Krankenhaus zu Fuß. Ich fragte sie: „Welchen Traum hast du jetzt?“
Sie antwortete: „Wie du Arzt zu werden, wenn ich groß bin, damit ich Kindern wie mir helfen kann.” Das Krankenhauspersonal war zu Tränen gerührt.
Die Regierung reagierte sehr positiv auf diese Geschichte, und der Vorsitzende Kim Jong-un entschied, dass Ärzte darin ausgebildet werden sollten, Menschen mit Behinderungen zu behandeln, und dass sie in alle Teile Nordkoreas geschickt werden sollten, um Kinder zu behandeln. So begann ich, mit der Medizinischen Fakultät von Pjöngjang einen Lehrplan zu entwickeln, um nordkoreanische Ärzte darin zu unterrichten, wie Zerebralparese und Autismus behandelt werden. Drei Ärzte wurden ausgebildet und an andere Krankenhäuser geschickt, und unlängst habe ich vier Assistenzärzte in Kinderrehabilitation unterrichtet.
Nachdem wir die Genehmigung erhielten, Ärzte in Kinderrehabilitation auszubilden, wurde uns ein amerikanischer Physiotherapeut vorgestellt, der begann, Nordkorea zu besuchen und Kinder mit Autismus zu behandeln. Vor Juni 2015 gab es in Nordkorea keinerlei Diagnose oder Therapie für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung. Kinder mit Autismus und ihre Eltern hatten es schwer, die Schwierigkeiten zu bewältigen, vor denen sie standen. Inzwischen haben über dreißig Ärzte des Krankenhauses der Medizinischen Fakultät von Pjöngjang, des Kinderkrankenhauses von Pjöngjang und des Behindertenverbandes der Demokratischen Volksrepublik Korea an einer Vortragsreihe über Autismus teilgenommen, und Familien mit Kindern, die an Autismus leiden, erhalten zum ersten Mal eine Behandlung.
Was hat sich im letzten Jahr für Ihr Missionswerk verändert, seit die US-Reisebeschränkung verhängt wurde?
Im Juli 2017 hat das Außenministerium der USA für Nordkorea eine Reisebeschränkung erlassen, die sich sowohl auf unsere Familie als auch auf unsere Arbeit stark auswirkt. Diese Veränderung kam als direkte Antwort auf die Haft und den Tod von Otto Warmbier.
Ottos Fall ist in Bezug auf das Leben als Ausländer in Nordkorea jedoch die Ausnahme. Rund zweihundert US-Bürger haben in den letzten Jahrzehnten in Nordkorea gelebt und gearbeitet. In all diesen Jahren kam es nur zu einer Handvoll von Festnahmen.
Aufgrund der politischen Spannungen ist unsere private, familiäre Situation derzeit zwar nicht tragisch, aber enttäuschend. Seit September 2018 reisen wir ständig von Land zu Land, weil wir für die asiatischen Länder, mit Ausnahme von Nordkorea, keine Aufenthaltsvisa und gegenwärtig in den Vereinigten Staaten auch kein Zuhause haben.
Unser Wunsch ist es, als Familie nach Pjöngjang zurückzukehren. Leider hat das US-Außenministerium nur den Erwachsenen unseres Projektes Reisepässe mit Sondergenehmigung für Reisen nach Nordkorea gewährt. Uns wurde mitgeteilt, dass für Minderjährige keine speziellen Reisepässe für Reisen nach Nordkorea ausgestellt werden.
Unsere Kinder leiden unter dieser Situation. Wir haben viele Jahre in unsere Arbeit und unser Leben in Nordkorea investiert. Es ist schade, all das, wofür wir so hart gearbeitet haben, zu verlieren. Bis das Reiseverbot aufgehoben wird, werden wir nicht vollzeitlich nach Nordkorea zurückkehren können.
Wo wird zukünftig der Schwerpunkt der IGNIS-Gemeinschaft liegen?
Die Ausrichtung der IGNIS-Gemeinschaft hat sich nicht verändert. Wir sind unbeirrt darin, mit den Menschen Nordkoreas unsere Liebe zu teilen. Es ist unsere Berufung, unter den Menschen zu leben, unsere Liebe zu ihnen zu zeigen, indem wir Beziehungen zu ihnen aufbauen, sowie nachhaltige Lösungen für soziale Bedürfnisse zu entwickeln.
Da US-Bürger gegenwärtig nur in extrem eingeschränkter Form nach Nordkorea reisen können, konzentrieren sich unsere amerikanischen Teammitglieder darauf, Führungskräfte aus anderen Ländern aufzubauen und von außerhalb Nordkoreas die Arbeit zu unterstützen, die im Inland fortgesetzt wird.
Welchen Rat gibst Du all jenen, die den Menschen in Nordkorea helfen wollen?
Wir glauben, dass sinnvolles Engagement in Nordkorea Positives bewirken kann. Unsere medizinische, humanitäre und Entwicklungsarbeit hilft nicht nur den Schwächsten der Gesellschaft und verändert die Lebensperspektiven der Menschen, sondern baut auch Brücken zwischen unseren Ländern.
Gebet und Fürsprache sind nötig, um der koreanischen Halbinsel Frieden zu bringen. Bitte betet mit uns für Frieden zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea. Unsere Arbeit ist unglaublich kompliziert, da wir es jetzt mit US- und UN-Sanktionen zu tun haben, der US-Reisebeschränkung und Visa-Schwierigkeiten für Reisen in alle beteiligten Länder.
Bitte betet für die ausländischen Christen, die in Nordkorea leben und arbeiten. Es ist nicht leicht, in einer isolierten und eingeschränkten Umgebung zu leben, weshalb wir uns oft überfordert und entmutig fühlen. Betet, dass wir die Ausdauer und Stärke haben, unsere Berufung zu Ende zu führen.
Bitte betet schließlich für die Behandlung und Akzeptanz von Kindern mit Behinderungen in Nordkorea. Wir setzen uns dafür ein, das allererste Behandlungszentrum für Kinder mit Zerebralparese und Autismus aufzubauen, aber unsere Arbeit ist noch lange nicht beendet.
Dieses Interview führte Sung Hoon Park im April 2016 und Oktober 2018. Joys Buch „Discovering Joy: Ten Years in North Korea” (Klug, 2018) schildert die Erfahrungen ihrer Familie. joyinnorthkorea.com. Mehr Informationen zur IGNIS-Gemeinschaft finden Sie unter igniscommunity.org. Aus dem Englischen übersetzt von Natalie Krugiolka.
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Stephen Yoon und der IGNIS-Gemeinschaft