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CheckoutIhren Namen verdankt diese Einrichtung dem deutschen Pädagogen Friedrich Wilhelm August Fröbel, doch den ersten Kindergarten gründete lange vor ihm Robert Owen. Das war der Robert Owen, an den sich die ältere Generation aus dem zwangsweisen Studium des wissenschaftlichen Kommunismus erinnert. Selbst diejenigen, die den Kommunismus zu Recht als antiwissenschaftlich bezeichneten, wussten, dass Marx von eben diesem Owen einige Dummheiten übernommen hat, die zur Grundlage der kommunistischen Theorie wurden.
Man könnte also, wie ein anderer unverbesserlicher Träumer, sagen, Begründer des Kindergartens sei der nämliche Owen.
Als ich mit drei Jahren in den Kindergarten kam, wusste ich, das gebe ich zu, nichts von Fröbel und von Owen, doch allein die Idee, die Bevölkerung auf einem geschlossenen Territorium einzupferchen, stieß mich schon damals ab. Lager – Pionierlager und andere, diverse militärische Lager – das alles weckte in mir keine Freude. Noch weniger gefiel mir die kollektive Arbeit – angefangen vom Bauen eines Schneemanns bis hin zu großangelegten Erwachsenenaufgaben.
Nicht, dass ich gegen großangelegte Aufgaben wäre – nein, aber ich glaubte (und glaube noch immer), dass sie durch persönliches Engagement gelöst werden. Man mag einwenden, dass es Aufgaben gibt, die nur im Kollektiv zu lösen sind – sagen wir, das Bauen eines großen Schneemanns. Dem stimme ich wohl zu. Ja, einen großen Schneemann kann man nicht allein bauen. Aber vielleicht braucht man den auch gar nicht?
Wir dachten unwillkürlich an Robinson Crusoe, der ein Boot gezimmert hatte, das er nicht bis zum Wasser schleppen konnte.
In früheren Jahren gab es mehr Schnee, und im Kindergarten taten wir nichts anderes, als riesige Kugeln zu rollen, zu dritt oder gar zu viert. Damals verstand ich die Bedeutung der Redewendung: anschwellen wie eine Schneelawine. Die von uns gerollte Kugel verschlang knirschend den gesamten gefallenen Schnee und hinterließ unebene Spuren, schwarz vom Vorjahreslaub. Das Problem war, dass wir es anschließend nicht schafften, die Kugeln aufeinanderzusetzen. Das war die Strafe für unsere Gigantomanie. Wir dachten unwillkürlich an Robinson Crusoe, der ein Boot gezimmert hatte, das er nicht bis zum Wasser schleppen konnte. Die ungeheuer wuchtigen Schneekugeln blieben bis zum Ende des Winters liegen und schmolzen von allem Schnee in unserem Garten als Letztes.
Genaugenommen gab es für mich nicht nur einen Kindergarten, sondern zwei. An den ersten erinnere ich mich wegen meines Alters nur dunkel. Von dieser Zeit in meinem Leben ist mir mit wenigen Ausnahmen nur dieser Vierzeiler im Gedächtnis geblieben:
Auf dem Bild hier seht ihr Lenin
Eingerahmt in dichtes Grün.
Seinen Namen preist ein jeder -
Er war gütig, klug und kühn.
Man könnte sich wundern, dass von all den „Im-Walde-wuchs-ein-Tannenbaum“ gerade diese Zeilen in meinem Kopf hängengeblieben sind, aber eigentlich ist das gar nicht verwunderlich: Die Vernebelung der Gehirne begann in der UdSSR schon im Mutterleib. In meinem Gedächtnis hakte sich der Text fest wegen der Zeile: „Eingerahmt von dichtem Grün.“ Meine unmittelbare kindliche Wahrnehmung sprach gegen diesen rätselhaften Rahmen, denn ich sah doch, dass unser Kindergarten-Lenin in einem ganz gewöhnlichen Holzrahmen steckte. Bis zu einem gewissen Alter versuchte ich noch, eine akzeptable Erklärung für die geheimnisvollen Zeilen zu finden, indem ich den Ort der Handlung zum Beispiel in den Dschungel verlegte, doch mit der Zeit wurde mir klar, dass die übrigen gereimten Behauptungen noch zweifelhafter waren.
Die beiden Kindergärten sind in meiner Erinnerung miteinander verschmolzen, und ich finde es nicht schlimm, sie in dieser Erzählung zu vereinigen. Der zweite Kindergarten hat hier sozusagen den ersten geschluckt, doch das mit vollem Recht. Dieser Kindergarten entsprach seinem Namen vollkommen, denn dort spielten wir Kinder in einem richtigen Garten.
Um hineinzugelangen, musste man von der Straße in den Hof einbiegen, einen der Hauseingänge nehmen und in den ersten Stock steigen. Der Eingang zum Kindergarten war eine gewöhnliche Wohnungstür. Das Haus stand auf einem kleinen Hügel, der durch die städtische Bebauung überhaupt nicht zu sehen war. Doch der Hügel, verborgen von den Häusern, war noch da und lebte ihm Geheimen weiter. Er offenbarte sich nur dem, der in den ersten Stock stieg und dann das Haus auf der Rückseite verließ. Auf dieser Seite wurde der erste Stock zum Erdgeschoss. Und dort lag der Ausgang zum Garten.
Es war, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, ein Obstgarten, umstanden von Akazien. Er stieg mit dem Hügel an, doch da er fast auf dessen Spitze lag, war der Anstieg kaum spürbar. Jedenfalls erinnere ich mich nicht, das Laufen durch den Garten als An- oder Abstieg wahrgenommen zu haben. Genau in diesem Garten bauten wir Schneemänner – im Winter, im Sommer gab es andere Beschäftigungen.
Zum Beispiel Duelle. Genauer gesagt, ein Duell, das wir unzählige Male durchspielten: das zwischen Onegin und Lenski. Die Besetzung war immer die gleiche: ich und ein anderer Junge, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere. Wir waren beide mit unseren Eltern im „Eugen Onegin“ gewesen, und das hatte uns zutiefst berührt. Der Liebeskonflikt war uns damals gleichgültig, doch das unheilschwangere: „An die Plätze!“ hatte auf uns einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. In der Duellszene spielte ich, meinem Namen entsprechend, den Onegin, mein Kamerad (hieß er vielleicht gar Wladimir?) den Lenski.
Der mutmaßliche Wladimir war dick und fiel nach meinem Schuss äußert ungeschickt. Ängstlich wählte er eine Stelle im Gras und schlug sich aus unerfindlichen Gründen auf den Schenkel. Ich zeigte ihm immer wieder, wie er spielen musste, sagte, in dieser Situation könne man sich nicht mehr aussuchen, wohin man fällt, aber es war alles vergebens. Er schwankte eine Weile auf halb eingeknickten Beinen, berührte den Boden zuerst mit der Hand und ließ sich dann unter dem Knacken trockener Zweige auf die Seite fallen.
Die Liebesgeschichte im „Eugen Onegin“ entdeckte ich erst nach dem Kindergarten – wie auch die wunderbare Musik dieser Oper. Meine Eltern kauften mir eine Schallplatte, und die hörte ich wohl noch öfter, als ich mich seinerzeit mit Lenski duelliert hatte. Ich lernte sämtliche Arien auswendig und sang sie im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten. Noch heute, da ich selten Musik höre (und mich schon gar nicht mehr duelliere), kann ich nach zwei, drei Gläschen in einer Freundesrunde durchaus noch etwas darbieten. Ich bin nicht sicher, ob mein Gesang meinen Freunden Freude bereitet, aber dafür sind sie schließlich Freunde, dass sie gewisse Opfer bringen. Die Wurzeln meines zweifelhaften Gesangs liegen zweifellos in meinen Opernduellen.
Die Duelle, das sei erwähnt, gehörten zu meiner späten Kindergartenzeit. Sie waren sozusagen das hohe F meiner Vorschulzeit. Begonnen hatte das Ganze weit bescheidener. In den ersten Jahren war der Kindergarten mein größter kindlicher Kummer. Mich hat dort niemand gekränkt, doch meine Unlust, dorthin zu gehen, lässt sich höchstens mit der Abneigung gegen einen Zahnarztbesuch vergleichen. Mehr noch, in der Rangfolge meiner Abneigungen lag der Zahnarzt wohl noch hinter dem Kindergarten, denn im ersten Fall war es die natürliche, überwindbare Angst vor Schmerzen (in meiner Kindheit gab es noch keine Betäubung), im zweiten dagegen – eine unüberwindliche Verzweiflung, die niemand verstand, auch ich nicht.
In den ersten Jahren war der Kindergarten mein größter kindlicher Kummer.
Übrigens verhielt ich mich auch irrational. Ich stand folgsam auf, wusch mich, ließ mir den Pullover und die formlose Pumphose anziehen (ich erinnere mich an die Wintervariante) und lief eigentlich ganz ruhig bis zur Tür des Kindergartens. Dort drehte ich mich abrupt um und bewegte mich in die entgegengesetzte Richtung. Wenn ich zurückgeholt wurde, fing ich an zu schluchzen, sträubte mich und bettelte darum, mich nicht an diesem traurigen Ort zu lassen.
Jeder, der mich in den Kindergarten bringen musste, staunte darüber, dass ich meinen Einspruch erst unmittelbar vor der Tür erhob. Niemand fragte mich direkt danach (eine solche Frage hätte die Zulässigkeit der Aktion angedeutet), doch indirekt forschte hin und wieder jemand, warum meine Hysterie erst im letzten Moment begann, nicht schon beim Waschen oder beim Anziehen besagter Pumphosen. Wohin es ging, wusste ich schließlich von vornherein.
Was hätte ich darauf antworten können? Ja, natürlich wusste ich, wohin wir gehen würden, und war bedrückt, sobald ich die Augen geöffnet hatte. Überhaupt war der Morgen für mich eine recht freudlose Zeit. Die Finsternis draußen, die Plastikstimme aus dem Radio – das alles hob nicht gerade meine Stimmung. Aber. Ich befand mich zu Hause, und aus Dankbarkeit dafür war ich bereit, in die verschneite Finsternis zu blicken, dem Radio zu lauschen, ach, zu allem Möglichen war ich bereit! Bis zum Kindergarten, dachte ich, kann noch viel passieren. Wie ein unheilbar Kranker, der sich die ihm verbliebene Zeit nicht mit Hysterie vergiften will.
Ich beherrschte mich sogar noch, wenn wir schon die Straße entlangliefen. Ich dehnte die verbliebenen Minuten endlos aus und sagte mir, dass wir bis zum Kindergarten noch weit laufen mussten, vorbei an der Apotheke, vorbei an einem bronzenen Kerl auf einem Pferd, vorbei an stachligen Sträuchern. Wenn wir die stachligen Sträucher passierten, dachte ich, dass wir noch in den Hof einbiegen mussten und in den ersten Stock steigen. Na, aber im ersten Stock, da ging es dann natürlich los.
Wenn ich gefragt wurde, warum ich so weine, wenn ich in den Kindergarten soll, antwortete ich, dort seien so grelle Lampen. Aus der Sicht der Erwachsenen konnte die Beleuchtung kein ernsthafter Grund zum Leiden sein, deshalb blieb alles in meinem Leben, wie es war. Hätte ich mir etwas anderes ausgedacht, vielleicht, dass ich mit den Kindern (den Erziehern) nicht auskam, wären meine Klagen wahrscheinlich auf größere Anteilnahme gestoßen. Aber ich sagte die reine, wenngleich aus Sicht des gesunden Menschenverstandes unwahrscheinliche Wahrheit: Nichts im Kindergarten brachte mich so sehr zur Verzweiflung wie das grelle Licht der Leuchtstofflampen. Diese giftigen Strahlen waren so ganz anders als das weiche Licht meines Zuhauses. Erbarmungslos beleuchteten sie jene Nachteile der Vorschuleinrichtung (vor allem die Anwesenheit bösartiger, lebhafter Kinder), die bei anderer Beleuchtung womöglich im Schatten geblieben wären.
Ein pädagogischer Einschub: Kleine Menschen mögen keine Veränderungen
Jede Veränderung im festgefügten Bild der Welt löste in mir einen neuen Anfall von Kummer aus. Eine wahre Erschütterung war für mich der Austausch der Esstische. Eines Morgens entdeckten wir Zöglinge des Kindergartens anstelle der bequemen, allerdings etwas altersschwachen Tische langbeinige Monster von unnatürlichem Gelb. Zu Hause sagte ich, wenn man an diesen Tischen sitze, komme man nicht an das Essen heran, und schlug vor, mich nicht in den Kindergarten zu schicken. Das klang noch unglaubwürdiger als die Sache mit den Lampen, und ich wurde in den Kindergarten gebracht.
Wie erstaunt war ich, als die Tischbeine am nächsten Tag gekürzt waren (die abgesägten Stücke lagen ordentlich gestapelt in der Ecke), die Tische die passende Höhe hatten und die Speisen der Kindergartenküche wieder erreichbar waren. Die Freude an diesen Speisen war gering, doch die Rückkehr zur gewohnten Größe der Tische wirkte auf mich beruhigend.
Ein pädagogischer Einschub: Kleine Menschen mögen keine Veränderungen. Sie möchten, dass heute alles genauso ist wie gestern und morgen wie heute. Darum sollte man mit ihnen zum Beispiel nicht übermäßig viel reisen: Häufige Reisen sind für sie anstrengend. Außerdem glaube ich, dass sie nicht so gern Neues lesen, sondern lieber etwas wiederlesen, denn das ist eine Rückkehr zu Vertrautem …
Diese Delikatessen im Magen zu behalten schafften nur wenige.
Ach ja, die erwähnten Speisen. Das ist ein Thema für sich, bei der Erinnerung daran bekomme ich noch heute einen Schluckauf. Grießbrei voller Klumpen, rote (von den Rüben) Stückchen im Borschtsch, nach Chlor riechende Makkaroni und gummiartige Birnen im Kompott – der Speisezettel war insgesamt karg. Diese Delikatessen im Magen zu behalten schafften nur wenige. Noch heute klingen mir die trostlosen Wortwechsel mit der Erzieherin im Ohr – wie viel aufgegessen werden muss und wie viel liegenbleiben darf.
In Erinnerung an all das zweifelte ich lange, ob ich meine Tochter in den Kindergarten schicken sollte. Und selbst als ich sie hingebracht hatte, wartete ich, ob der Kindergarten bei ihr die gleichen Leiden und Klagen auslösen würde. Ich war bereit, sie auf das erste Zeichen hin aus dem Kindergarten zu nehmen, beim Abgang alles zu sagen, was ich in meiner Kindheit nicht ausgesprochen hatte, und diese Einrichtung auf ewig zu verfluchen. Doch zu meinem Erstaunen ging meine Tochter gern in den Kindergarten und war sogar verärgert, wenn ich sie zu früh abholte. Das war nicht mein Kindergarten, aber sie sind sich schließlich alle ähnlich. Mir hätte keiner gepasst.
Übrigens endeten meine kindlichen Leiden mit der Zeit. Irgendetwas geschah mit mir (es hieß: hat sich verwachsen), und mit fünfeinhalb Jahren ging ich nicht ungern in den Kindergarten. Das Essen war natürlich nicht besser geworden, und ich aß dort wenig (frühstücken durfte ich zum Beispiel zu Hause), aber die schlimmste Qual an meinem Kindergartendasein war ja nicht das Essen gewesen. Ich fiel nicht mehr in Depressionen bei dem Gedanken, dass ich in den Kindergarten gehen musste, wo ich zwangsläufig mit verschiedenen Menschen Umgang hatte, auch mit solchen, die ich nicht mochte … In jeder zufälligen und meist nicht ganz freiwilligen Menschengruppe hat man Umgang mit Personen, denen man sich im freien Leben nie genähert hätte. Und bekommt einen festen Platz in einer Hierarchie zugewiesen, während man doch gern davon ausgehen möchte, dass jeder Mensch außerhalb jeder Struktur steht, weil er einzigartig ist.
Während meiner zweiten, guten Kindergartenzeit war für mich in Sachen Hierarchie alles in Ordnung. Ich konnte mich in Ruhe duellieren (dafür brauchte es ein ziemlich hohes Maß an Freiheit) und alles tun, was im Rahmen des Erlaubten blieb. Wobei ich den Rahmen des Erlaubten weiter auslegte als die übrigen Kindergartenkinder.
Zum Beispiel erlaubte ich mir, die Mitarbeiterinnen des Kindergartens zu parodieren, bis hin zu (o, Schreck!) seiner Leiterin Ada Georgiejewna. Mein Interesse für Ada Georgijewna hatte mit ihrer Art zu essen zu tun, genauer gesagt – mit den zahlreichen pneumatischen Effekten, mit denen bei ihr die Einnahme flüssiger Nahrung einherging. Der Erfolg meiner Darbietung war mir sicher, denn jeder wusste, wie sie aß: Die Erzieherinnen und die Leiterin aßen aus irgendeinem Grund zusammen mit den Kindern.
Interessanterweise beschränkte sich der Zuspruch für meine Parodien nicht auf die Zöglinge des Kindergartens: Dankbare Zuschauer fanden sich auch unter den Erzieherinnen. Wie alle normalen Menschen mochten die Erzieherinnen ihre Vorgesetzte nicht, und das, vermute ich, von ganzem Herzen. In Abwesenheit der Leiterin ließen sie sich von mir vorführen, wie Ada Georgiejwna Suppe aß oder heiße Milch trank – und ich erfüllte ihre Bitte. Nach ihrem Lachen zu urteilen, gelang es mir nicht übel. Besonders die Nummer mit der Saure-Gurken-Suppe, bei der nicht nur Flüssigkeit in den Mund zu befördern war, sondern auch Gurkenstücke.
Der Kindergarten war ein kleines Modell des Lebens, in dem sich Tage des Ruhms und Erfolgs und Zeiten des Misserfolgs abwechselten. An einem 23. Februar, dem Tag der Sowjetarmee, besuchten Soldaten eines nahegelegenen Truppenteils unsere Vorschulgemeinschaft. Sie erzählten von ihrem nicht ganz leichten Leben, fragten uns nach unserem – ebenfalls nicht ganz leichten – Leben, und dabei kam ganz nebenbei heraus, dass mein Freund Aljoscha Semjonow genau am 23. Geburtstag hat. Da machten sie ihm ein Geschenk: Aljoscha wurde auf einen Stuhl gesetzt, und die beiden größten Soldaten hoben ihn samt Stuhl bis an die Decke. Er saß dort oben, mit beiden Händen an den Stuhl geklammert, und in seinen Augen paarte sich die Angst mit einem vollkommenen Glücksgefühl. Aljoscha sah von seiner Höhe zu uns herab, und wir standen um ihn herum, ganz klein, noch kleiner als sonst. Da rief ich, in der Hoffnung, ebenfalls auf einem Stuhl hochgehoben zu werden, dass ich am 21. Februar Geburtstag habe. Ich rechnete nicht damit, genauso hoch gehoben zu werden, mit meinem Geburtstag lag ich ja knapp daneben. Andererseits eben nur knapp, eigentlich war der 21. fast der 23., sie hätten mich also immerhin halb so hoch wie Aljoscha heben können.
Ich wurde nicht hochgehoben, nicht einmal ein kleines Stück. Es hieß, fast zähle nicht, und das klang wie die Stimme der Gerechtigkeit. Sie kam nicht von den Soldaten, das waren patente Jungs, und noch ein Geburtstagskind hochzuheben wäre für sie ein Klacks gewesen. Wenn ich nichts durcheinanderbringe, gehörte die Stimme der ältesten Mitarbeiterin der Vorschuleinrichtung, die von Zeit zu Zeit weise, aber hässliche Dinge von sich gab. So wurde mein Flug verhindert – dabei war das Glück greifbar nahe gewesen.
Die verpasste Chance, an der Decke zu schweben, war eine der großen Enttäuschungen meiner Kindheit. Eine noch größere Enttäuschung war nur der unerfüllte Wunsch, einmal auf einem Blatt der tropischen Seerose Victoria amazonica zu schwimmen. Ich hatte irgendwo gelesen, ein solches Blatt könne bis zu 25 Kilo tragen, weshalb es die Kinder in den Tropen seelenruhig als Boot benutzten. Davon träumte ich lange – bis zur zweiten oder dritten Klasse, wobei mir wehmütig bewusst war, dass ich unabwendbar an Gewicht zulegte. Doch dann wurde das Leben irgendwie weiter und bunter, und mein Traum verflüchtigte sich ganz von selbst.
Es ist bedrückend zu wissen, dass man irgendwohin nicht mehr zurückkehren oder irgendetwas nicht mehr zurückbekommen kann.
Am Schluss der Erinnerungen an meinen Kindergarten sei noch gesagt: Trotz der vielen Apfelbäume war er natürlich kein Paradiesgarten. Doch als seine Tür zum letzten Mal hinter mir zuklappte, offenbarte sich eine überraschende Ähnlichkeit mit der Tür zum Paradies. Ich hatte kein Recht mehr auf diesen Garten. Ich konnte ihn, der verborgen hinter dem Haus, dem Zaun und den Akazien lag, nicht einmal mehr sehen. Mir scheint, als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, litten sie nicht nur, weil es dort so schön war und hier so schlecht ist, sondern bei dem Gedanken, dass es keine Rückkehr mehr dorthin gibt.
Es ist bedrückend zu wissen, dass man irgendwohin nicht mehr zurückkehren oder irgendetwas nicht mehr zurückbekommen kann: Das ist der Fluch der Zeit und des Raums. Der Fluch, um es persönlicher auszudrücken, der Tränensäcke, des über dem Gürtel hängenden Bauchs, kurz, im weitesten Sinne der Erfahrung – jener Dinge, die unabhängig von unserem Willen zunehmen. Ich habe mich lange nicht gewogen, bin mir aber deutlich bewusst, dass es mehr als 25 Kilo sind. Die Victoria amazonica wird also ohne mich ablegen.
Aus dem Russischen übersetzt von Ganna-Maria Braungardt