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CheckoutIm Johannesevangelium ist das Wunder der Auferweckung des Lazarus am detailliertesten erzählt. Lazarus war mehr als nur irgendeine Person in der Menge, die hilfesuchend Jesus zu fassen suchte. Er war ein persönlicher Freund und sein Tod ging Jesus sehr nahe, wie es Ausdruck im kürzesten und sehr ergreifenden Satz der Bibel findet: „Jesus weinte.“ (Johannes 11,35)
Nachdem Lazarus aus dem Felsengrab kommt, noch immer in die Grabtücher gewickelt und nach Tod und Verwesung stinkend, wendet sich der Bericht des Johannes den religiösen Führern zu, die das Wunder als eine Bedrohung und Heimsuchung für ihre Gesellschaft und Traditionen fehldeuten. Es spornt sie an, endlich etwas gegen Jesus und die wachsende Anzahl seiner Nachfolger zu unternehmen. Aber nun wird nicht weiter berichtet, was mit Lazarus geschah, nachdem er aus dem Grab gekommen war. Konnte er sich an irgendetwas erinnern, was er beim Sterben erlebt hatte? Hat er irgendwelche Erkenntnisse gewonnen während seiner vier Tage Reise in „das unentdeckte Land, aus dem kein Reisender zurückkehrt“, wie Shakespeare schrieb? Viele Menschen mit den unterschiedlichsten Glaubenshintergründen – oder gar keinem Glauben –, die Nahtoderlebnisse hatten, berichten alle ähnliches über Lichter, Tunnel und dass sie geliebte Menschen sahen. Wieviel mehr hätte Lazarus, der ja so viel mehr als ein Nahtoderlebnis hatte, der erstaunten Menge erzählen können? Hatte er eine Lektion zu lehren und hat er sie mitgeteilt? Wir wissen es nicht und werden es auch nie wissen.
Es ist zum Verrücktwerden, dass seine Geschichte genau dann endet, als es anfängt interessant zu werden. Was wurde aus ihm, nachdem er zurückkam? Hat er sein altes Leben fortgesetzt oder verändert? Nachdem er die absolute zweite Chance bekommen hat, hat er sie denn genutzt? Oder hat er sie verschleudert, wie es viele Menschen tun? Und wie lange hat sein zweites Leben gedauert: einen Tag, eine Woche, ein Jahr, Jahrzehnte? Egal wie lang oder kurz sein Leben war, wir wissen, dass Lazarus ein zweites und endgültiges Mal starb. Obwohl er der Gegenstand des erstaunlichsten Wunders war, wissen wir, dass er am Ende doch so menschlich war wie wir alle. Er erlitt das gleiche Schicksal, das für alle Lebewesen vorgesehen ist. Er lebte zweimal aber er starb auch zweimal.
Das ewige Leben, von dem Jesus sprach, bevor er Lazarus aus den Toten auferweckte, war nicht ein buchstäblich nicht endendes biologisches Leben in dieser Welt. Wenn das so wäre, dann würde jeder gläubige Christ der vergangenen zweitausend Jahre immer noch leben – und dem ist natürlich nicht so, - und es ist auch nicht erstrebenswert. Das Leben, von dem Jesus sprach, ist etwas anderes, etwas Unbekanntes für uns, wir erhoffen etwas viel Besseres. Das bagatellisiert nicht unser jetziges Leben oder gibt uns eine verrückte Entschuldigung, um unser Leben selbst zu beenden und es im nächsten besser zu haben. Selbst Jesus, der ja wusste, was er für Lazarus tun würde, trauerte über dieses Sterben bis dahin, dass er öffentlich weinte. Wenn unser Leben hier und jetzt nicht mehr ist als ein kurzer Moment, warum hätte Jesus dann die Trauer um seinen Freund teilen sollen? Vielleicht zeigt er uns durch seinen Kummer, dass beides wichtig ist, jedes in seiner eigenen Weise.
Die Fragen und Suche nach Antworten in der Geschichte des Lazarus sind alle schön und gut als eine theologische oder philosophische Übung zu den großen Fragen über Leben und Tod. Aber Leben und Tod begegnen uns in einer mehr brutalen und direkten Weise. Sie kommen mit der Nachricht, dass ein neugeborenes Kind einen schweren Herzfehler hat. Sie kommen mit der Entscheidung, „keine Wiederbelebungsmaßnahmen“ für einen geliebten alten Menschen zu unterschreiben. Sie kommen mit dem gefürchteten Anruf des Hausarztes, dass der Krebstest „positiv“ ausgefallen ist und einen bösartigen Tumor zeigt. Das klare Konzept von Leben und Tod und alle vorherigen festen Glaubenserklärungen können im Licht der Realität zerbröckeln. Unser Glaube kann so schnell zusammenbrechen, wie es Petrus erlebte, als er dreimal leugnete, Jesus überhaupt zu kennen. In solchen Zeiten sind unsere besten Absichten, der Lehre Jesu zu glauben und zu folgen, auf den absoluten Prüfstand gestellt. Es ist ein Test, den alle von uns ablegen müssen und werden.
In einer solchen Zeit werden wir noch eine andere Bedeutung in der Geschichte des Lazarus finden. Vergesst nicht, dass Lazarus – nachdem er nach vier Tagen im Tod zum Leben zurückgekehrt war – sich immer noch dem Ende seines Lebens zu einem späteren Zeitpunkt stellen musste. Selbst wenn das kranke Baby oder der dahinsiechende alte Mensch oder du mit dem sich ausbreitenden Krebs Gottes größtes Wunder erlebst, werden wir doch alle immer noch an einem Punkt unseres Lebens sterben, ganz so wie Lazarus. Lasst uns mit uns selbst und miteinander ehrlich sein: in den Momenten, wenn wir oder unsere Lieben und Freunde mit dem Tod konfrontiert sind, können die Worte Jesu, mit denen er uns ewiges Leben verheißt, ihre Bedeutung verlieren.
Es gibt keine einfache Antwort. Es ist schwer in der Prüfung den Glauben zu wahren. Aber bedenkt, dass wir alle schon einmal dem Unbekannten gegenüberstanden. Wenn ein Kind geboren wird, wird es aus der warmen, dunklen, meist stillen Umgebung in eine kalte, laute Welt mit hellen Lichtern gestoßen. Kein Wunder, dass Kinder schreien, wenn sie geboren werden. Aber mit ein bisschen Glück und Liebe entdecken sie die neue Realität, verwandeln das Unbekannte in das Vertraute. Ich kann dir nicht sagen, dass nach dem Tod ein Leben folgt ähnlich dem Leben nach einer Geburt, aber wenn wir irgendetwas glauben, dann dass nach dem Tod etwas IST, etwas, über das wir so wenig wissen wie ein Neugeborenes nichts über das Leben weiß. Das hat uns Jesus versprochen. Lasst uns diesem Versprechen glauben.
Lazarus ist tot. Lazarus lebt. Das gleiche gilt für uns.
Greg Bailey hat für The Economist, Agence France-Presse, Time Magazine, Chicago Tribune und andere Magazine und Zeitungen geschrieben. Vor vierzig Jahren erhielt er eine unheilbare Krebsdiagnose und man gab ihm nur drei Monate Zeit.