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    Apokalypse der Maschinen

    Wird KI das Ende der Welt bringen, oder ist es bereits hier?

    von Peter Berkman

    Dienstag, 8. Oktober 2024

    Verfügbare Sprachen: English

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    Elon Musk glaubt, dass die Apokalypse vor der Tür steht. Und er ist nicht der einzige. In den Augen führender Technologieexperten des Silicon Valley nähert sich eine existenzielle Bedrohung der Zivilisation: die künstliche Intelligenz. Ihrer Meinung nach bringt sie bestenfalls eine noch nie dagewesene Massenarbeitslosigkeit. Im schlimmsten Fall werden Maschinen so intelligent, dass sie uns nicht mehr brauchen. Auch mancher Akademiker teilt das Unbehagen gegenüber dem technischen Fortschritt: Ethiker, Philosophen und Historiker haben sich in der Diskussion über die vermeintliche Katastrophe zu Wort gemeldet. Angesichts der Endzeitrhetorik ist es merkwürdig, dass sich nur wenige religiöse Denker zu Wort melden. Zwei vernachlässigte Beispiele – Marshall McLuhan und Romano Guardini – könnten sachdienliche Beiträge liefern. Beide hätten zugestimmt, dass es nur angemessen sei, das Ausmaß und die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts als apokalyptisch zu bezeichnen. Aber McLuhan und Guardini, obwohl sie sich nie im Leben begegnet sind, hätten die gleiche Analyse gestellt: Das Ende der Welt ist bereits da.

    McLuhan, ein kanadischer Akademiker, starb 1980 im Alter von 69 Jahren, gerade als er mit seiner richtungsweisenden Studie über die Informationsgesellschaft, The Medium Is the Message, den Höhepunkt seiner Bekanntheit erreicht hatte. Guardini, ein in Italien geborener deutscher katholischer Priester und Theologe, der 1968 im Alter von 83 Jahren starb, hat er nie kennen gelernt. Guardinis Ideen haben jahrzehntelang im Stillen den Ton des katholischen Denkens angegeben; jeder Papst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bezeichnete seine Arbeit als wichtigen Einfluss. McLuhans Einfluss hingegen beschränkte sich weitgehend auf ein säkulares Publikum, einschließlich Musk. McLuhans tiefer christlicher Glaube durchdringt seine Schriften, auch wenn er kaum in seinen Ruf als einer der bedeutendsten Medientheoretiker des 20. Jahrhunderts einfließt. Doch sowohl McLuhan als auch Guardini blickten trotz ihres sehr unterschiedlichen Hintergrunds auf die neue technologische Ordnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg abzeichnete, und kamen zu demselben Schluss: Die Welt – zumindest so, wie sie sie kannten – ging zu Ende.

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    Marshall McLuhan. Foto von WikiArt (public domain). Grafik von AdobeStock. Verwendet mit Genehmigung.

    Eigentlich, war sie das bereits. Guardinis Das Ende der modernen Welt (1956) warnte, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Ära der Menschheitsgeschichte stehen. „Es ist etwas entstanden, was es vorher nicht gegeben hat“, sagte Guardini damals vor Studenten, „die Einheit von Unmenschlichkeit und Maschine“. Die Autorität des Staates konvergierte mit der Macht der Technologie. Die menschlichen Künste, einst ein Mittel zum Schutz vor Naturgefahren, waren zur Quelle der Gefahr selbst geworden. In der optimistischen Atmosphäre des Wiederaufbaus nach dem Krieg war Guardini eine seltene Stimme des Bedenkens. Dies stand in auffälligem Kontrast zu seinen liturgischen und spirituellen Schriften aus der Vorkriegszeit. In den Augen seiner Kritiker – und vieler seiner Bewunderer – war Guardini seiner Zeit nicht mehr voraus, sondern hinter sie zurückgefallen. Selbst Guardinis Biographen neigen dazu, diese „melancholische“ Periode als so etwas wie einen emotionalen Anfall abzutun, eine Fußnote zu seinen theologischen Meisterwerken. Darin liegt ein Körnchen Wahrheit. Guardini, der in der Zwischenkriegszeit junge Menschen betreute, wurde in den 1930er Jahren von den Nazis verfolgt und erlebte die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts. Auch wenn diese Ereignisse Guardini desillusionierten, so knüpften seine „melancholischen“ Kritiken am technologischen Menschen sehr wohl an sein frühes Werk an. In seinem Buch Der Gegensatz (1925) greift Guardini die antike und mittelalterliche Theorie von Aristoteles und dem heiligen Thomas von Aquin wieder auf, wonach es zwei Arten von Wissen gibt: ein „vernünftiges“ Wissen, das einer Art mütterlichem Instinkt ähnelt, und ein „formales“ Wissen, das alles für eine genaue Wiederholung formuliert. Wie schon Aristoteles und Aquin vertritt Guardini die Auffassung, dass es „im Verstand nichts gibt, was nicht zuerst in den Sinnen war“. Intellekt erfordert Intuition, Macht erfordert Ethik. Die eine Art von Wissen bedingt die andere. Und die Vermengung dieser beiden unterschiedlichen Wissensformen sei der Grund dafür, dass wir so oft versteckte Vorurteile in scheinbar „neutralem“ wissenschaftlichem Denken aufdecken. „Das Individuum steht in Humus“. Je versteckter die Voreingenommenheit ist, desto aggressiver setzt sie sich durch.

    In Das Ende der modernen Welt blickt Guardini auf das Zeitalter der Aufklärung zurück und sieht, wie sich die Kluft zwischen dem Wissenschaftlichen und dem Menschlichen zu einem Abgrund ausweitet; das, was von der Zivilisation übrig geblieben ist, taumelt am Rande des Abgrunds. In der Ordnung, die er aus der Kata-strophe des Krieges entstehen sah, erkannte Guardini die Konturen unserer heutigen Abhängigkeit von der Technik. Wir sind physisch allmächtig geworden aber unsere moralischen Fähigkeiten sind verkümmert. Unsere Reichweite übersteigt unser Fassungsvermögen.

    Physisch wurden wir allmächtig, warnt Guardini, doch unsere Moral verwelkte. Unsere Reichweite schlägt unser Können.

    Unsere Fähigkeit, die Welt um uns herum zu kontrollieren, ist selbst unkontrollierbar geworden und reduziert sowohl „göttliche Souveränität“ als auch „Menschenwürde“ auf Worte in einem Geschichtsbuch. „Der zeitgenössische Mensch ist weder darin geschult, Macht gut zu gebrauchen“, schreibt Guardini, „noch hat er – auch nicht im weitesten Sinne – ein Bewusstsein für das Problem selbst.“ Blind für die Krise, die unsere schwindelerregenden technologischen Möglichkeiten darstellen, denken wir nur noch in Kategorien der Macht. „Immer wieder wird man von der Befürchtung heimgesucht“, schließt Guardini, „dass zur Lösung der Flut von Problemen, die die Menschheit zu verschlingen drohen, nur Gewalt eingesetzt werden kann.“ Wir kehren zur Götzenanbetung zurück, schreibt er, nämlich „die Anbetung der Werkzeuge“. In den optimistischen Tagen der Nachkriegszeit war Guardinis düstere Vision der Zukunft alles andere als üblich. Sie wurde jedoch von Marshall McLuhan geteilt. „Ich bin weder Optimist noch Pessimist“, erklärte McLuhan in einem Interview, „ich bin Apokalyptiker“. Sein erstes Buch, The Mechanical Bride (1951), war der Höhepunkt eines sechsjährigen Projekts, um die psychologischen Waffen der amerikanischen Werbung zu verstehen – und sie zu entschärfen.

    McLuhan schnitt Hunderte von Anzeigen aus Zeitungen und Magazinen aus und stellte sie kurzen Essays gegenüber. Er sah das als praktische (wenn auch nicht moralische) Aufgabe an, um zu versuchen, die unbewussten Produkte des Kulturbetriebs verständlich zu machen. McLuhan war überzeugt, dass die Gegner der neuen Manipulationstechnologien ihre Feinde erforschen und verstehen müssen und sich nicht einfach in die Denunziation zurückziehen dürfen.

    Wie McLuhan im Interview betonte, hatte er keinen pessimistischen Blick auf die Welt. Aber er war auch kein Optimist. Das „vorherrschende Muster“ der Werbung, bestehe „aus Sex und Technologie“ und erinnere auf unheimliche Weise an die Zukunft, die der Romancier Samuel Butler in seinem bahnbrechenden Science-Fiction-Buch Erewhon vorhersah. „Maschinen ähnelten immer mehr Organismen“, schrieb McLuhan über Butlers Fiktion und unsere Realität, und „die Menschen nahmen die Starrheit und die gedankenlose Verhaltensweise der Maschine an“. Diese mechanistische Weltanschauung, die McLuhan als „Know-how“ bezeichnete und die durch den immer stärkeren Einsatz von Maschinen mit „so viel größeren Kräften“ als den eigenen geprägt wurde, veränderte die Kultur auf allen Ebenen. Langfristig, so spekulierte er, drohe dies das menschliche Leben „obsolet“ zu machen. In der Gegenwart manifestiere sich das im Sieg der Gewalt über das Denken auf die unmittelbarste vorstellbare Weise: „mörderische Gewalt“.

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    Romano Guardini.

    Wie Guardini gelangte auch McLuhan durch sein Studium des mittelalterlichen Denkens zu einem neuen Verständnis der heutigen Welt. In seiner Doktorarbeit, die er während des Krieges schrieb und Kapitel für Kapitel an die Universität Cambridge schickte, betrachtete McLuhan das menschliche Lernen in der westlichen Welt durch die Linse dessen, was mittelalterliche Denker als Grundlage einer guten Bildung betrachteten: das „Trivium“ aus Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Die Kirche vertrat das klassische Ideal des doctus orator, des gelehrten Redners, der Strukturen durch Grammatik interpretiert, andere durch Worte überzeugt (Rhetorik) und die Dialektik sowohl als Kunst zur Beilegung von Streitigkeiten als auch als Mittel der intellektuellen Spekulation einsetzt. Beim Studium der modernen Werbung erkannte McLuhan etwas, das für seine spätere Arbeit von entscheidender Bedeutung war: Der intellektuelle Fortschritt ist keine Einbahn, sondern ein Muster von Wiederholungen. Die Werbefachleute der 1950er Jahre bedienten sich der gleichen Überzeugungsmethoden wie die Rhetoriker des 13. Jahrhunderts. Aber diese Technik wurde von den übrigen Künsten amputiert: ein Instrument, das ohne Verständnis eingesetzt wurde und auf das Erzielen von Effekten ausgelegt war, ohne Ideen zu vermitteln. In einer Konsumgesellschaft bestimmte dieser Fehler die gesamte Form unserer Kultur. Das Medium war die Botschaft.

    McLuhan sah das Problem unserer Zeit ähnlich wie Guardini. Die Technologie hat der Menschheit eine nie dagewesene Macht über sich selbst gegeben. Zugleich sind wir durch diese Macht betäubt worden und nutzen sie – oder werden von ihr benutzt – ohne Zweck oder Gedanken. In einem Brief an den katholischen Philosophen Jacques Maritain im Jahr 1969 formulierte McLuhan die daraus resultierende Krise in dramatischen Worten: „Es gibt eine tief sitzende Abneigung in der menschlichen Brust gegen das Verstehen der Prozesse, an denen wir beteiligt sind. Ein solches Verständnis bringt viel zu viel Verantwortung für unser Handeln mit sich.“ Damit griff er die These eines anderen Buches von Guardini, Macht und Verantwortung (1961), auf: Wir haben das erste, aber es fehlt uns das zweite. Das Ergebnis ist, dass unsere Schöpfungen uns überwältigen und überwinden. Narziss hat sich nicht in sich selbst verliebt, warnte McLuhan, die antike griechische Fabel neu interpretierend. Er verliebte sich unsterblich in das Bild, das er selbst geschaffen hatte.

    In ähnlicher Weise droht für Guardini die Zivilisation der Technik, alles Mittel ohne Zweck, die „wesentlichen Werte der Natur und der menschlichen Arbeit“ auszulöschen und die Ehrfurcht vor der Vergangenheit – und vor dem Menschen – zu zerstören. Guardinis „Humus“ war weggeblasen. Darin, schreibt er, „liegt das furchtbar Neue“. „Moralische Ungerechtigkeit“, „der Geist der Gewalt“, „Grausamkeit“ – all das gab es in der Vergangenheit. Aber die technologische Gesellschaft, die „die Persönlichkeit des Menschen ausschaltet“ und alle anderen Erwägungen als die der rohen Macht abtut, „erreicht etwas, das noch schrecklicher ist als das Böse“: ein System des Denkens und Handelns ohne Ethik. Auf seltsame Weise verstanden beide Männer die Welt in Begriffen, die jenen Musks und anderer Zeitgenossen nicht unähnlich sind. Sie regen sich darüber auf, dass die Menschheit durch gefühllose Roboter ersetzt wird oder prophezeien unsere Versklavung durch unmenschliche Algorithmen. Für McLuhan und Guardini war dies keine mögliche Zukunft, sondern eine reale Gegenwart. Die Roboter werden nicht kommen. Um Alasdair MacIntyre zu zitieren: Sie beherrschen uns bereits.

    Doch wie können wir der Apokalypse entkommen? Wir können nicht entkommen, würden McLuhan und Guardini argumentieren, und es zu versuchen ist sinnlos. Es gibt keinen Weg zurück. Aber es gibt einen Weg hindurch. Kurz nach der Veröffentlichung von The Mechanical Bride verglich McLuhan in einem Forschungsprojekt die Effektivität des Lernens mittels Fernsehen, persönlichem Gespräch, Radio und gedrucktem Wort. Bei der Auswertung der Ergebnisse lag das Fernsehen vorn, während das gedruckte Wort am Ende der Liste stand. Werbeagenturen verbreiteten die Ergebnisse, so erinnert sich McLuhan, mit der Behauptung, dass „hier endlich der wissenschaftliche Beweis für die Überlegenheit des Fernsehens vorliegt“. Der Satellit war mächtiger als der Stift. Die Reaktion der Werbekunden war „unglücklich“, schrieb McLuhan später. Sie „haben den Hauptpunkt übersehen“. Die Studie hatte nämlich nicht auf Effizienz hingewiesen, sondern auf Unterschiede.“

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    „Die neuen Massenmedien“, schreibt McLuhan, sind keine Instrumente, sondern bilden Kontext, „neue Sprachen, deren Grammatiken noch unbekannt sind.“ Jede Sprache in der „Ökologie“ der Telekommunikation „kodifiziert die Realität anders;“ Keine dieser „Sprachen“ ist neutral; „Es kann nicht schaden, uns daran zu erinnern, dass der 'Fürst dieser Welt' ein großer PR-Mann ist, ein großer Verkäufer neuer Hard- und Software, ein großer Elektroingenieur“, der Herr einer Umgebung, die „unbesiegbar überzeugend ist, wenn sie ignoriert wird“. Wenn wir nicht aufpassen, wird das herrschende technologische Paradigma unweigerlich unsere Gewohnheiten für uns bestimmen. Wenn die Umgebung unsichtbar ist, wird der Weg des geringsten Widerstands durch das Medium selbst bestimmt. Unsere Pläne, wie Guardini es ausdrückt, bestimmen uns. Um die menschliche Kontrolle über die Technik wiederzuerlangen, muss die unsichtbare Umgebung sichtbar gemacht werden. „Die Apokalypse“, sagt McLuhan, „ist unsere einzige Hoffnung.“ „Der erste Adam schaute sich die Dinge einfach an und benannte sie“, bemerkte McLuhan 1968. Christus, der zweite Adam, war ein Schöpfer. Am Erbe Christi teilzuhaben, bedeute, „dass wir die Verpflichtung haben, schöpferisch“ und nicht passiv zu sein. Um das Ende der modernen Welt zu überleben, müssen wir die Fähigkeit von Künstlern aufzeigen, ihre Umgebung neu zu gestalten und umzuformen – eine Fähigkeit, die sie laut McLuhan mit Heiligen teilen. Für Guardini ist das Gegenmittel für ein „autonomes technisch-wirtschaftlich-politisches System“ die Tugend der Demut. Wir müssen zugeben, dass wir trotz aller Erfindungen, die wir machen, nicht die totale Kontrolle haben, ohne unsere gottgegebenen Kräfte, nämlich die des Verstehens und des Handelns, zu verleugnen. „Die ganze Existenz Jesu ist eine Umwandlung von Macht in Demut. Oder um es aktiv auszudrücken: in den Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters, wie er sich in jeder Situation ausdrückt.“ 

    Die Sensoren und Satelliten sind nicht unsere Feinde. Sie sind wir, die Produkte menschlicher Intelligenz, die von menschlichem Willen gesteuert werden, Erweiterungen unserer Kräfte und unserer Schwächen. Und wo Sünde im Überfluss ist, fließt auch die Gnade im Überfluss. Christus ruft uns auf, das Licht Gottes in die Welt zu lassen – auch in die Teile der Welt, die wir selbst geschaffen haben.

    McLuhans Lösung steht im Einklang mit der von Guardini. In aller Demut müssen wir zugeben, dass die Einflüsse der Technologie auf unsere eigene Wahrnehmung nicht sofort offen-sichtlich sind. McLuhan verstand seine eigene Forschung als ein nachhaltiges Bemühen, Selbsttäuschung zu vermeiden. Das Ziel ist das Verstehen. „Was ist die Alternative zur Gewalt?“, fragte einmal ein Zuhörer McLuhan. Er antwortete sofort: „Dialog“. Wir können den Schleier der „halluzinogenen Welt“, in der wir leben, nicht durchdringen, wenn wir uns auf „eine reaktionäre romantische Haltung“ verlassen, die Wissenschaft und Technologie ablehnt. Wir können dies nur durch Handeln erreichen, durch die bewusste und überlegte Ablehnung von Möglichkeiten, die wir sonst passiv akzeptieren würden. „Eine Askese ist notwendig, das heißt die Bereitschaft, auf technische Errungenschaften zu verzichten, damit höhere Werte erhalten bleiben.“ „Nicht Verstand oder Intelligenz sind gefragt“, schreibt McLuhan, „sondern die Bereitschaft, die Welt insgesamt unterzubewerten.“ Eine solche Lebensweise würde jedoch als „antisoziales Verhalten“ erscheinen, warnt er. Die unsichtbaren Annahmen unserer Zeit sichtbar zu machen, könnte Christen so seltsam erscheinen lassen, wie es einst die Weigerung war, den Göttern zu opfern. Aber es könnte auch, so spekuliert er, eine „religiöse Renaissance“ in der Welt der Maschinen einleiten.

    Als Guardini 1959 vor den allerersten Informatikstudenten der Universität München sprach, äußerte er eine ähnliche Hoffnung. Es war viel zu spät, um den Wandel aufzuhalten, der das Ende der modernen Welt bedeutete, aber es musste kein Wandel zum Schlechten sein. Moralisches Handeln könnte sich gegenüber der technologischen Ordnung wieder durchsetzen, im Leben des Einzelnen und der Menschheit als Ganzes. Guardini schlug einen „geistlichen Rat der Nationen“ vor, in dem die Besten aus allen politischen Bereichen gemeinsam über diese Fragen nachdenken sollten. Er sagte den Studenten, ein „lebendiges Bewusstsein der Menschlichkeit“ könne sie befähigen, „unsere Existenz als Ganzes mit einer wahrhaft souveränen Objektivität zu begreifen“. Eine Wiederherstellung des verlorenen „Humus“ des menschlichen Lebens, eine spirituelle Entwicklung in der Größenordnung des wissenschaftlichen Fortschritts, eine Ethik, die die Technik einschränkt und korrigiert: Das mag wie eine Utopie klingen, räumte Guardini ein. Und in der Geschichte „wirken die schöpferischen und vereinigenden Kräfte langsamer als die einseitig gewalttätigen“. Dennoch, so Guardini, seien Utopien schon oft genug Wirklichkeit geworden. Und mit Gott sind alle Dinge möglich.

    Der Pessimismus in Bezug auf die Rolle der Technologie im menschlichen Leben durchdringt unsere Gesellschaft ebenso sehr wie die Technologie selbst: Die gegenwärtige Furcht des Silicon Valley vor einer durch KI ausgelösten Katastrophe steht in krassem Gegensatz zu dem Paradies, das die Gründer des Valley zu schaffen gedachten. Doch obwohl McLuhan und Guardini zur Vorsicht rieten, würden sie Realismus anstelle von Angst empfehlen. Anstatt vorschnell die richtigen Antworten zu finden, sollten wir lieber versuchen, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn McLuhan und Guardini Recht damit hatten, dass die Technologien das menschliche Empfinden umgestalten, dann sind wir erst am Anfang des Übergangs von einem elektrischen zu einem digitalen Zeitalter. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis der mittelalterliche Mensch zum modernen Menschen wurde, und der Übergang von der elektrischen zur digitalen Menschheit ist vielleicht der schnellste und umfassendste Wandel, den wir je erlebt haben. 
    Unsere Antwort darauf, als Einzelne und als Kirche, darf nicht darin bestehen, nach Feinden – Roboter oder anderes – zu suchen, sondern auf die alten und neuen Wege zu schauen, auf denen Gott sich uns durch die von ihm geschaffene Welt zu erkennen gibt.

    Die kombinierte Gedächtnisleistung aller vernetzten Computer der Welt steht im buchstäblichen Vergleich zu fünf Worten, die vor zweitausend Jahren an einem Tisch in Jerusalem ausgesprochen wurden: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Wenn der Strom ausgeht, bleibt davon nur eines übrig.

    Bei der Erklärung, warum er sich selbst als Apokalyptiker bezeichnete, stellte McLuhan fest, dass sowohl Optimismus als auch Pessimismus säkulare Geisteszustände sind. „Apokalypse ist keine Finsternis“, sagte er. „Sie ist Erlösung.“
    Von PeterBerkman Peter Berkman

    Peter Berkman beschäftigt sich mit den Werken Marshall McLuhans und Romano Guardinis und ist Frontman der Chiptune-Band Anamanaguchi.

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