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    Mit 220 gegen die Wand

    Wenn uns Technik ans Limit führt

    von Katharina Thonhauser

    Dienstag, 8. Oktober 2024
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    Mit 50 stundenkilometern gegen eine Wand – diese Geschwindigkeit reicht manchmal schon und Unfälle enden tödlich. Vor allem wenn man nicht angeschnallt ist. Im Motorrennsport vervielfacht sich die Geschwindigkeit. Nicht zuletzt durch moderne Technik. Hochentwickelte Motoren und Karosserien lassen uns schneller vorankommen, als jemals zuvor – in der Luft, am Wasser und zu Land. Schneller, als unsere Beine uns tragen könnten oder als das Design unserer Körper vorsieht. Immer neue Technologien geben uns immer mehr Möglichkeiten, unsere gottgegebenen, natürlichen Grenzen zu überwinden. Technologien geben aber auch neue Sicherheit: Aufprallschutzsysteme, Bremsvorkehrungen, Lenkassistenz und viele Erfindungen mehr schützen Leben. Bis sie plötzlich nicht mehr funktionieren.

    Diese erfahrung machte der junge Rennsportler Ferdinand Habsburg während einer Testfahrt für das 24-Stunden Rennen von Le Mans, in dem er für Alpine Racing antreten hätte sollen. „Wir fuhren den Wagen für 30 Stunden, also länger als das eigentlich Rennen. So gehen wir auf Nummer sicher, dass alles funktioniert“, erklärte Habsburg in einem längeren Interview mit Plough Magazin. Der 27-Jährige fährt als Profi Autorennen und konnte bereits einige Erfolge für sich verbuchen. Doch in der 29. Stunde der Le Mans Vorbereitung geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hätte.

    a racing car

    Ferdinand Habsburg fährt Langstreckenrennen für das Alpine Elf Endurance Team. Alle Fotos von Alpine Endurance Racing. Verwendet mit Genehmigung.

    „Ich bin nur froh, dass mir das nicht erst nach der langen Geraden passierte“, so Habsburg. Die Testfahrt fand zwar nicht in Les Mans statt, doch auch auf der berühmten französischen Rennstrecke gibt es eine tückische Gerade. Die „Mulsanne Straight“, wie sie in England genannt wird, ist ein fünf Kilometer langer, gerader Streckenteil des Le Mans Rennens, auf dem man einst Geschwindigkeiten von mehr als 400 Stundenkilometer erreichte. Seit den 90er Jahren beträgt die Spitzengeschwindigkeit in diesem Streckenabschnitt „nur“ mehr 340 km/h. Der Tod des Österreichers Jo Gartner im Juni 1986 hatte die Organisatoren dazu bewegt, zwei Schikanen einzubauen.

    „Zum Glück ist mir der Bremsdefekt zwei Kurven vor der Teststrecken-Geraden passiert und nicht erst später“, erklärt Habsburg nüchtern, warum er mit 220 Stundenkilometern aus einer Kurve brach und geradewegs in eine Wand fuhr. Er brach sich zwei Wirbel und trug einen Bandscheibenvorfall davon: „Aber wäre das zwei Kurven später passiert, bei 340 km/h, das hätte schlimmer ausgehen können.“ Ferdinand Habsburg greift sich an den Kopf während er das sagt. Hält inne. Hebt seine Augen und spricht langsam weiter. Er reflektiert über den Aufprall: „Es geht super schnell, weil du fährst, bist ganz im Flow und komplett eins mit dem Auto.“ Man kennt jeden Winkel des Gefährts und meint, alles im Griff zu haben. Doch dann kommt diese Kurve, die man schon 300 Mal durchfahren hat. Man wisse genau wo man bremsen muss und ab wann man wieder Gas gibt. Wie viel Druck die Fußsohle an die Pedale weitergeben dürfe. „Ich habe dann genau am richtigen Punkt versucht zu bremsen aber das Pedal gab einfach nach. Ich trat durch“, erinnert sich der Rennpilot. Sofort setzte die physische und mentale Reaktion ein. Die erste sei eine automatische, also nicht kognitiv, der Körper gerät in Stress und reagiert unmittelbar. Habsburg versuchte weiterhin zu bremsen. Ohne Erfolg. Er beschreibt wie seine Augen sich weiteten, die Arme steif wurden und er trotz allem versuchte in die Kurve einzulenken. Aber bei 220 km/h und einem Autogewicht von mehr als einer Tonne hilft das wenig. Wie auf Schienen ging es weiter, gerade aus, auf die Wand zu.

    Dann setzte die mentale Reaktion auf das Geschehen ein: „Da ist mir aufgefallen, okay, ich gehe kerzengerade in die Wand hinein. Ich hatte schon ein paar Unfälle davor und das Beste, was man machen kann, ist kurz vor dem Aufprall versuchen, den Körper so gut wie möglich zu entspannen.“ Er nahm seine Hände vom Lenkrad lehnte seinen Kopf zurück und … „und dann ging es einfach baaammm.“

    a racing car driver

    Im Frühling 2024 hatte Habsburg bei einem Testlauf für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans einen schweren Unfall.

    Sofortiger Stopp. Habsburgs Körper absorbierte 35 g. G ist die Erdschwerebeschleunigung. Durch sie bestimmen wir die auf uns wirkende Gravitationskraft. Zum Vergleich: Wenn ein Passagierflugzeug abhebt, wirken 1-2 g auf die Insassen. Wie Astronauten, trainierte auch Habsburg, um Unfälle und damit hohe Belastungen auf seinen Körper besser auszuhalten. Dennoch, ein Unfall mit solch einer Geschwindigkeit ist eine Ausnahmesituation für Körper und Gehirn.

    Die Wirbelsäule hatte am meisten zu tragen. „Ich war in brutalen Schmerzen und habe einfach nur geschrieen, dass sie sofort die Ambulanz holen sollen“, erinnert sich der Rennfahrer. Er sei so tief in dieser Wand gesteckt, dass er weder sich bewegen noch aussteigen konnte. Die Rettungskräfte musste ihn vorsichtig aus dem Wrack herausziehen. Nach der Erstversorgung wurde er sofort in das Krankenhaus gebracht. Auf der Fahrt zum Spital, in dem Rettungswagen liegend, kamen ihm zwei Gedanken: „Dank sei Gott, dass ich hier den Unfall hatte und nicht 500 Meter später.“ Wäre das bei 340 km/h geschehen, wären die Konsequenzen um ein Vielfaches dramatischer gewesen. „Da kann es sehr leicht sein, dass man seine Beine verliert“, so Habsburg. Er spricht den Tod nicht an aber es ist klar, dass die meisten solch einen Unfall nicht überleben. Diese Überlegungen führen ihn zum zweiten Gedanken: „Warum, warum bringe ich meinen Körper in so eine Gefahr?“ 15 Sekunden später und Habsburg hätte entweder den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbracht oder wäre tot gewesen.

    Er wiederholt die Frage, selbst darüber nachdenkend: „Und warum?“ Warum bringt er seinen Körper in solch eine Gefahr, setzt so viel aufs Spiel, will so sehr an das Limit gehen und schließlich darüber hinaus?

    a driver standing behind a racing car

    Schneller, höher, weiter: Zum Rennsport gehört es, Grenzen zu überschreiten – aber zu welchem Preis?

    Mit der sehnsucht, Grenzen zu überschreiten, ist Habsburg nicht alleine. Bereits die griechische Sage rund um Daedalus und seinen Sohn Ikarus, beschreibt das Dilemma des Menschen: Mit ihren selbst gebauten Flügeln, schwingen sich die beiden in die Höhen, um vor König Minos zu fliehen. Daedalus warnt seinen Sohn, nicht zu hoch und zu nahe zur Sonne zu fliegen, da das Wachs, das seine Flügel zusammenhält, schmelzen könnte. Ikarus hält sich nicht daran, wird leichtsinnig und stürzt schließlich in seinen Tod. Neue technische Entwicklungen helfen dem Menschen in dieser Sage zu entkommen, unterstützen ihn und schützen sein Leben. Allerdings nur so lange, bis der Mensch übermütig und verantwortungslos mit der neuen Technik umgeht.

    Diese Metapher zieht sich durch die Menschheitsgeschichte. Auch in der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel finden wir eine ähnliche Logik. Der Mensch schafft, erfindet, baut, entdeckt Neues. Doch an einem bestimmten Punkt droht dieser Erfinderdrang in eine ungesunde Mischung aus Selbstverherrlichung und selbstzerstörerischer Blindheit zu kippen. Der babylonische Turm wird zum Versuch des Königs, wie Gott zu werden, sich selbst als Gott einzusetzen, dank der überragenden technischen Fertigkeiten seines Volkes.

    Das überschreiten dieser Grenze führt zum Verhängnis, wie bei Ikarus. Allerdings kennt die Heilige Schrift im Alten Testament auch ein anderes Überschreiten von Grenzen, das dem Menschen zum Guten gereicht. Mose führt das Volk aus Ägypten, durchschreitet die natürliche Grenze des Roten Meeres. David erlegt den Riesen mithilfe einer hochentwickelten Schleudertechnik und überwindet damit die natürliche Grenze zwischen Stark und Schwach, Groß und Klein. Auch Daedalus fliegt weiter. Sein Sohn und er wären beide ihrem Gefängnis dank modernster Technik entkommen, hätte Ikarus es nicht zu weit getrieben. Es ist also weniger die Überwindung von Grenzen, die Gefahr birgt, als unsere Absich-ten. Unser Umgang mit den neu gewonnenen Erfahrungen und Möglichkeiten ist der entscheidende Faktor. Hätte die Menschheit nie gewagt, ans Limit zu gehen und Grenzen zu überwinden, wir würden wahrscheinlich noch in Höhlen leben. Allerdings, ungefährlich ist es nicht.

    car racing team

    Motorsport erfordert ein hohes Maß an Vertrauen in die Technik – aber auch in das Rennteam, das sich um die Fahrzeuge kümmert.

    Habsburg denkt über dieses Risiko der Grenzüberschreitung nach: „Ich finde am Ende des Tages, kann es genauso gefährlich sein, eine Straße zu überqueren. Ich glaube außerdem nicht, dass es in unserem Leben nur darum geht, Gefahren zu vermeiden. Aber der Unfall wirft bei mir natürlich schon auch Fragen auf.“ Dann beginnen wir ein wenig über das bereits angesprochene „Limit“ zu reflektieren. Es ist die Technologie, die uns hilft, Grenzen zu überwinden, Neues zu erschließen. Gleichzeitig sind es die Errungenschaften der Wissenschaft, Autos bauen zu können, in denen wir uns viel schneller bewegen als das, worauf unsere Körper ausgelegt sind. Vielleicht fasziniert Technik auch gerade deshalb?

    Habsburg bleibt da nüchtern: „Also für die Technik selbst habe ich keine große Faszination. Die Geschwindigkeit ist für mich der unglaubliche Rush. Ich steige ja eigentlich auch gar nicht ein in die Rakete sondern schnalle sie mir an.“ Dieser Gedanke stammt von Habsburgs mentalem Sportcoaching, das er vor Rennen absolviert: „Dieses Gefühl in diese Zone reinzukommen, wenn man das richtig macht und wirklich da ist und die Konditionen passen und du dein Rennauto anziehst und dann einfach nur du das Rennauto bist, das ist einer der wenigen Momente im Leben, wo ich mich ganz fühlen kann.“ Das Eins werden mit dem Auto setze allerdings Vertrauen voraus, so der Rennfahrer. Vertrauen in die technischen Möglichkeiten, das Material, die Ingenieurskunst und sein Team. Und dieses Vertrauen sei vorerst erschüttert worden, zumindest was die Technik betrifft. Habsburg pausiert. Er denkt nach. Dann fährt er vorsichtig fort: „Aber am Ende gibt es ja nur eine Sache, der du vertrauen kannst. Das ist Gott. Das mag vielleicht eine einfache Antwort sein, aber das ist tatsächlich wahr, weil am Ende machen Menschen einfach Fehler. Ich mache auch Fehler. Ich könnte einen Riesenunfall bauen, wo ich mich noch viel schlimmer verletze als jetzt. Aufgrund eines Fehler, den ich selber mache.“

    Ob er keine Angst habe, dass seine Familie sehr leiden würde, wenn er das Limit zu sehr ausreizte? Er nickt. Seine Mutter hätte Angst um ihn: „Ich glaube, dass das gar nicht lustig für sie ist. Einer der Gedanken, die er auf der Ambulanztrage am Weg weg von seinem Crash-Rennauto hegte, drehte sich um die Bedenken seiner Mutter, die sie gegenüber seiner Rennfahrerkarriere hat. „Wenn ich mich selbst schlecht behandle, verletze ich nicht nur mich, sondern eben auch meine eigene Mutter. Mit meinem Rennfahren zeige ich einen gewissen Mangel an Respekt ihr gegenüber, gegenüber dem Leben, das sie mir geschenkt hat“, reflektiert er. Sie unterstütze ihn immer. Aber wenn dann etwas passiert, sei es für ihn nachvollziehbar, dass sie es lieber hätte, er höre auf. Wie Daedalos warnt sie ihn nicht zu nahe zur Sonne zu fliegen.

    car racer seated in his car

    Damit kommt Habsburg wieder zurück zum Sinn. Worin liege denn dieser eigentlich im Rennfahren? „Vielleicht Selbstentwicklung?“, gibt er zurück. „Also die Entwicklung, die ich in mir selbst machen muss, um in dem Sport gut zu sein. Das ist für mich vielleicht der größte Sinn und Zweck des Ganzen.“ Ständig sein eigenes Limit überschreiten zu müssen, birgt aber auch viele Herausforderungen. Sein Wert als Rennsportler misst sich in Rennzeiten. Schnell fühle man sich wertlos, wenn man es nicht schafft, konstant neue Bestzeiten zu fahren. „Ich werde nur für meine Leistung bezahlt. Also mein Wert hat damit zu tun, wie gut ich in etwas bin. Und der Glaube sagt das Gegenteil. Der Glaube sagt mir, mein Wert ist komplett unabhängig von dem, was ich mache.“

    Dann beginnen wir über die Seele zu sprechen. Jenseits von körperlichen oder geistlichen Befindlichkeiten und Zwängen: „Das Bedürfnis meiner Seele ist es irgendwie zum Vater zurückzukehren und diese Ewigkeit auch schon hier zu erleben.“ Dieser Glaube gibt ihm eine gewisse Gelassenheit, im Umgang mit seinen Limits und Grenzüberschreitungen. Am Ende ist es doch Gott, der ihn hält und nicht seine Flügel aus Stahl.

    Von Katharina Thonhauser Katharina Thonhauser

    Katharina Thonhauser studierte Lebensmittel- und Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur in Wien.

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