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Eine Kirche in Zeiten des Kriegs
In der Ukraine kümmert sich eine christliche Gemeinschaft um Kinder und Nachbarn.
von Sasha Riabyi und Danny Burrows
Donnerstag, 31. Oktober 2024
Verfügbare Sprachen: English
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Im März 2024 reiste der Fotograf Danny Burrows mit der Hilfsorganisation Novi in den ukrainischen Verwaltungsbezirk Cherson. Dort dokumentierte er in Dörfern entlang der Frontlinien die Arbeit der Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat „vom Krieg zerstörte Kindheit wieder aufzubauen“. Dabei traf er Sasha Riabyi, einen Vertreter von Novi und Pastor einer blühenden Kirchengemeinde in Chotiw am Rande von Kiew.
Danny Burrows: Als ich Ihre Arbeit mit Novi in Cherson, Ukraine, dokumentierte, fand ich es bemerkenswert, wie zentral die Kirche für die ukrainischen Gemeinden an den Frontlinien dieses Krieges geworden ist. Wie ist es, zu dieser Zeit als Christ in der Ukraine zu leben und zu arbeiten?
Sasha Riabyi: Wir sind ganz normale Menschen. Wir haben nichts Besonderes an uns. Wir haben einfach das Glück, in dieser Zeit in der Ukraine zu leben.
Glück?
Ja, Glück. Viele haben mir das gesagt. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Wir haben angefangen, etwas für andere zu tun, für alle Ukrainer. Und das war für uns als Nation eine sehr wichtige Veränderung. So etwas kann man nicht künstlich erzeugen. Ich sage, wir haben Glück, denn es ist großartig, so etwas zu erleben.
Es ist ein Erwachen für den Einzelnen und als Nation?
Ja, wir sind aufgewacht. Das ist eine sehr gute Beschreibung dessen, was mit diesem Krieg passiert ist. Seit über zwei Jahren leben wir in dem Wissen, dass sich das Leben, morgen oder heute, jeden Moment ändern kann. In einer Sekunde können die Dinge aus den Fugen geraten. Man geht zu McDonald's, in die Kirche, oder dorthin, wo Menschen kostenlos Wasser und Lebensmittelpakete bekommen, überall dort, wo eine Menschenmenge ist. Ein paar Minuten später könnte eine Rakete an derselben Stelle einschlagen.
Können Sie den ersten Tag der Invasion beschreiben?
Am Morgen des 24. Februar 2022 wurden wir von Explosionen geweckt, vom Geräusch der einschlagenden Raketen. Es gab schwere Bombardierungen in Kiew. Dort sind wir ansässig.
Meine Frau und ich wachten auf und unser erster Gedanke war, unsere Kinder zu schützen. Ich ging in ihr Zimmer und sagte: „Wacht auf! Lasst uns gehen!“ Mein ältester Sohn fragte: „Was ist los?“ Und ich sagte ihm: „Putin macht hier viel Lärm und deshalb müssen wir an einen sicheren Ort gehen.“ Denn wie sagt man einem Kind, dass ein Krieg begonnen hat?
Unsere eigenen Familien sind das Wichtigste, um das wir uns kümmern müssen, aber wir leben auch in einer Gemeinschaft – unsere Kirche ist unsere Gemeinschaft. Und wir beschlossen vor dem Krieg, dass wir alle in der Kirche zusammenkommen würden, um uns zu sehen und alles weitere zu organisieren, wenn etwas passiert.
Wir teilten unsere Gemeinde in zwei Gruppen auf. Die jüngere Gruppe, etwa 15 Leute, brach gemeinsam auf. Wir hatten sieben Autos. Die andere Gruppe bestehend aus älteren Menschen wollte nicht gehen. „Wir sind zu alt zum Reisen“, sagten sie. „Wenn die Besatzung kommt, dann bleiben wir einfach hier. Hier haben wir unser Zuhause.“
Ihr ganzer Dienst hat sich wirklich verändert. Es wurde ein Dienst für eine größere Gemeinschaft.
Das hat unsere Kirche völlig verändert. Das hat uns wachgerüttelt. Es hat mich als Vater, als Bürger wachgerüttelt. Es hat mich als Pastor wachgerüttelt.
Wir haben die Türen der Kirche geöffnet. Jetzt finden nicht mehr nur Gottesdienste und Gebetsversammlungen statt, sondern die Menschen kommen für Projekte, um Spiele zu spielen, miteinander zu reden und gemeinsam zu essen. Sie können auch gemeinsam beten. Sie ist jetzt sechs Tage in der Woche geöffnet, wie ein Gemeindezentrum.
Ihr Missionswerk hat während des Krieges auch ein neues Gebäude gebaut.
Unsere Gemeinde bestand aus etwa 25 Personen, eine sehr kleine Gemeinschaft. Und dann sind wir plötzlich gewachsen. Was kann man tun, wenn 70 Kinder und 300 Erwachsene regelmäßig kommen? Wir überlegten uns, wo in unserer Gemeinde der Bedarf am größten war, und kamen zu dem Schluss, dass die Kinder am wichtigsten waren. Wir brauchten einen Raum für die Kinder. Also baten wir Gott: „Wenn dies dein Wille ist, dann mach es möglich“.
Etwa zwei Wochen nachdem wir zu beten begonnen hatten, rief mich einer meiner Freunde aus den Vereinigten Staaten an. Er fragte: „Tust du etwas, um diesen Flüchtlingen in deiner Gegend zu helfen? Denn wie ich dich kenne, wirst du nicht mit verschränkten Händen dasitzen.“ Er gab uns etwa zwei Drittel von dem, was wir brauchten. Nach einigen Monaten hatten wir bereits die Wände, die Fenster und das Dach fertiggestellt. Andere Leute bemerkten, was wir taten, und begannen uns zu helfen. Dann errichteten wir eine Küche, um Menschen zu verpflegen.
Wie sieht die wöchentliche Routine Ihrer Mission jetzt aus?
Montags kommen die Binnenflüchtlinge. Dienstags und mittwochs kommen die Einheimischen. Wir sitzen an kleinen Tischen, essen gemeinsam und unterhalten uns. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Kummer und Leid in ihren Herzen steckt. Die Leute fangen an zu reden und können nicht mehr aufhören. Auf diese Weise haben wir viele Menschen kennengelernt, ihr Leben kennengelernt, sie kennengelernt. Viele sind zu engen Freunden geworden.
Wir bereiten immer Fragen vor. „Was war das Schlimmste, das Ihnen im letzten Monat passiert ist?“ „Was war das Beste, das Ihnen im letzten Monat passiert ist?“ Wir sprechen über Wut und darüber, was man mit seiner Wut tun kann, wie man sie bekämpft. Wir besprechen, wie man das in die Praxis umsetzt.
Kürzlich sagte mir eine Frau: „Sascha, ich möchte, dass du weißt, dass diese Gespräche mir helfen, meine Wut zu bekämpfen.“ Alle Menschen in der Ukraine sind wütend. Selbst wenn wir lächeln, sind wir tief im Inneren wütend, denn Krieg ist böse.
Am Donnerstag trifft sich immer eine Frauengruppe. Jede zweite Woche gibt es ein Frühstück für junge Mütter, und sie diskutieren darüber, wie man Kinder erzieht. Kindererziehung ist überall schwierig, aber in der Ukraine macht es der Krieg noch schwieriger.
Freitag ist ein freier Tag (wir brauchen einen freien Tag). Aber am Samstag laden wir dann Kinder aus der Gemeinde ein. Sie können Spiele spielen, Bilder malen, Hausaufgaben machen und bekommen eine Mahlzeit – ein Sandwich, eine Pizza, vielleicht auch mal eine Suppe oder heißen Tee.
Außerdem betreiben wir den Young Peacebuilders Club (Club junger Friedensstifter). Die Idee ist ganz einfach. Eine Gruppe von Teenagern kommt zusammen, um Lösungen für die zerrüttete Welt um sie herum zu finden, die sie in die Tat umsetzen können. Wenn man Teenagern ein wenig Schwung in die richtige Richtung gibt, dann kommen sie weit.
Und am Sonntag feiern wir natürlich einen Gottesdienst.
Können Sie die humanitäre Arbeit beschreiben, bei der Sie helfen?
Als der Krieg begann, war es sehr einfach, humanitäre Hilfe zu bekommen. Aber Lebensmittelpakete können nicht alle Probleme lösen. Das Trauma der Kinder zum Beispiel – da können Lebensmittel nicht helfen. Novis Ziel lautet: „Wir wollen den Kindern helfen, weil wir wissen, dass das Trauma weiterlebt und die Zukunft des Landes beeinflusst.“ Die Erfahrung, Liebe und Fürsorge der Mitarbeiter von Novi wurden sehr geschätzt. Sie brachten ihre „Life Kits“ mit, die von einem norwegischen Psychologen entwickelt wurden. Dabei handelt es sich um einen Rucksack, der mit Spielzeug und einem Lehrbuch gefüllt ist. Diese Kits sollen den Kindern helfen, sich selbstbewusster und sicherer zu fühlen. Sie leiten die Kinder zu aufmerksamkeitsorientiertem, körperlichem und interaktivem Spiel an und helfen so, Stress abzubauen und durch positive Aktivitäten Fertigkeiten zu erlernen.
Jetzt helfen wir Novi in der ganzen Ukraine, indem wir diese einfachen Spielzeuge verteilen und Programme wie den Young Peacebuilders Club ins Leben rufen. Es gibt Gebiete, wo es noch schlimmer ist als bei uns. In der Zentral- und Ostukraine sehen die Kinder Bombardierungen und Raketen. Es genügt eine Explosion, um ein Kind zu verstören. Selbst wenn sie es nur hören, bleibt es in ihren Herzen und Köpfen. Das ist beängstigend.
Wenn der Krieg vorbei ist, wird es eine Menge Traumata zu verarbeiten geben, sowohl innerhalb der Nation als auch bei den Einzel-personen. Wie sehen Sie die Fortsetzung Ihres Dienstes? Wie wird er sich verändern?
Manchmal erlauben wir uns, darüber nachzudenken, wann der Krieg zu Ende sein wird. Wir wissen, dass viele Traumata weiterleben werden. Sie zeigen sich schon jetzt in den Gemeinden. Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass wir darauf nicht vorbereitet sind. Ich weiß nicht, ob irgendein Land dafür bereit wäre. Aber zumindest sollte es in jeder Gemeinde in der Ukraine, in jeder Stadt und jedem Dorf einen Ort geben, wo Männer und Frauen, die ihre Eltern, Ehepartner und Kinder verloren haben, zusammenkommen und zumindest miteinander reden können. Ich weiß nicht, ob wir ihnen helfen können, wenn sie kommen, aber wir müssen ihnen einen Ort geben, an dem man ihnen zuhört.
Wir sehen Kinder, die sehr traumatisiert sind. Wir fragen sie, was ihnen Freude bereitet, und sie sagen: „Ein toter russischer Soldat“. Wir sehen einen Jungen, der lächelt, weil er ein Bild von sich gemalt hat, auf dem er ein blutiges Messer in der Hand hält, und er sagt: „Oh, das bin ich, und ich habe einen Russen getötet, und deshalb geht es mir gut.“
Kinder sehen den Krieg, sie sehen den Hass. Wenn wir uns jetzt nicht um sie kümmern, können Sie sich die Ukraine in zehn, fünfzehn Jahren mit diesen Kindern vorstellen, die das alles gesehen haben?
Nur durch die Gemeinschaft, durch kleine Gruppen von Menschen, kann Veränderung in unser Leben kommen. Durch unsere Nachbarn, die Person, der ich vertraue, die Menschen, die ich kenne – so wird der Wandel kommen.