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    Atlas Mountains in Morrocco

    Segnet, die Euch verfolgen

    von

    Montag, 4. Mai 2015

    Verfügbare Sprachen: español, العربية, français, English

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    Wir erleben eine Zeit steigender Angst und Spannungen hinsichtlich des Islam. Ganz anders ist die folgende Geschichte, die von Christian de Chergé erzählt, dem ehemaligen Abt eines Trappistenklosters in Algerien. Obwohl auch er 1996 höchst wahrscheinlich von islamistischen Extremisten ermordet wurde, ist seine Stimme kein Aufruf zu Vergeltung, fortgesetzter Provokation oder einer anderen Art von Konflikt. Wissend, dass sein Leben bedroht war, schrieb er ein Testament, in dem er nicht nur seine eigene Mitschuld an dem Bösen in der Welt anerkannte, sondern auch seinem zukünftigen Mörder verzieh. Aus seinen Worten, wie auch aus seinen Taten, spricht die Botschaft Jesu: „Segnet, die Euch verfolgen!“

    Von James Christensen, dem Prior eines Trappistenklosters in Rom, erfuhr ich die bemerkenswerte Geschichte eines Menschen, der seinen Verfolgern nicht erst nach ihrer fürchterlichen Tat vergab, sondern bereits vorher. Im Mai 1996 kidnappte die GIA, eine radikal islamistische Gruppe in Algerien, im Atlasgebirge sieben vom James’ trappistischen Mitbrüdern und drohte, sie so lange in Geiselhaft zu halten, bis Frankreich mehrere ihrer eigenen gefangenen Landsleute freilasse. Es vergingen mehrere Wochen, und die französische Regierung blieb hart. Schließlich tötete die GIA die Mönche. Etwas später fand man nur ihre abgetrennten Köpfe.

    Ganz Frankreich war entsetzt. Alle katholischen Kirchen in Frankreich läuteten zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig, um dieser Mönche zu gedenken. Was mich an dieser Tragödie aber am tiefsten bewegte, war etwas, das sich bereits zwei Jahre vorher leise angedeutet hatte. Der Prior dieses algerischen Klosters, Christian de Chergé, hatte die eigenartige Vorahnung, dass er bald eines gewaltsamen Todes sterben werde, und er schrieb einen Brief, in dem er seinen zukünftigen Mördern vergab. Diesen Brief versiegelte er und hinterlegte ihn bei seiner Mutter in Frankreich. Er wurde erst nach seiner Ermordung geöffnet, und darin heißt es unter anderem:

    Wenn es mir eines Tages geschehen sollte – und das könnte schon heute sein –, dass ich ein Opfer des Terrorismus werde, der inzwischen alle in Algerien lebenden Ausländer im Visier zu haben scheint, dann möchte ich, dass meine Gemeinschaft, meine Kirche und meine Familie sich daran erinnern: Mein Leben war Gott und diesem Land geschenkt. Mögen sie akzeptieren, dass der einzige Herr allen Lebens diesem brutalen Scheiden nicht unbeteiligt gegenüberstehen kann.

    Sie mögen für mich beten: Wie soll ich würdig sein für ein solches Opfer? Sie mögen diesen Tod im Zusammenhang mit so vielen Toden sehen, die ebenso gewalttätig waren, aber in der Gleichgültigkeit dieser Zeit namenlos geblieben sind.

    Mein Leben hat keinen höheren Preis als ein anderes; es hat aber auch keinen geringeren. Auf keinen Fall hat es aber die Unschuld der Kindheit bewahrt. Ich habe genügend lange gelebt, um zu wissen, daß auch ich Komplize des Bösen geworden bin, das – leider – in der Welt die Oberhand zu behalten scheint, Komplize gar dessen, der mich dereinst blind erschlagen wird.

    Ich wünsche mir, dass, wenn der Augenblick gekommen ist, noch jener Moment geistiger Klarheit bleibt, der mir erlaubt, Gott und meine Brüder auf Erden um Vergebung zu bitten und zugleich aus ganzem Herzen dem zu vergeben, der Hand an mich gelegt hat. Einen solchen Tod kann ich mir nicht wünschen: Es scheint mir wichtig, das zu bekennen. In der Tat sehe ich nicht, wie ich mich darüber freuen könnte, wenn diesem Volk [Algeriens], das ich so sehr liebe, unterschiedslos der Mord an mir angelastet würde …

    Natürlich wird mein Tod denjenigen scheinbar recht geben, die mich vorschnell für naiv oder für einen Idealisten gehalten haben: ›Soll er doch jetzt sagen, was er davon hält!‹ Diese Leute sollen jedoch wissen, … dass ich für dieses verlorene Leben Gott Dank sage. In dieses Danke, in dem nun alles über mein Leben gesagt ist, schließe ich selbstverständlich euch alle ein, Freunde von gestern und von heute, … und auch dich, Freund der letzten Minute, der du wohl nicht gewusst hast, was du tatest: Ja, auch dir gilt dieses Danke und dieses À-Dieu, das dein Gesicht angenommen hat. Und möge es uns geschenkt werden, uns als glückliche Schächer im Paradies wiederzusehen, wenn es Gott gefällt, der unser beider Vater ist.

    Christian de Chergé and the monks of Tibhirine, Algeria.

    Christian de Chergé (links, mit Brille) und seine Brüder im algerischen Trappistenkloster Tibhirine. Photo: Le Figaro

    Wer war de Chergé, und was war die Quelle seiner tiefen Überzeugungen bezüglich des Friedens und der Vergebung? Laut einem Buch über seinen Orden mit dem Titel Die Mönche von Tibhirine (München 2002) begann alles 1959, als de Chergé als Soldat der französischen Streitkräfte zur »Befriedung« nach Algerien geschickt wurde. Während seines dortigen Aufenthalts befreundete er sich mit dem islamischen Polizisten Mohammed, und sie trafen sich zu wöchentlichen Diskussionen über Politik, Kultur und Theologie. Ein ständig wiederkehrendes Thema war dabei das angespannte Verhältnis zwischen den Christen Algeriens (das war die französische Kolonialbevölkerung) und den Muslimen (der eingeborenen Bevölkerung). Bei einem ihrer gemeinsamen Spaziergänge gerieten die beiden Männer in einen Hinterhalt algerischer Rebellen. De Chergé, der seine Armeeabzeichen trug, war sich sicher, dass sein Ende gekommen war. Da trat Mohammed zwischen seinen Freund und die Angreifer und sagte zu ihnen, sie sollten de Chergé laufen lassen, denn er sei »ein frommer Mann.« Erstaunlicherweise ließen sie beide laufen. Aber dieser kühne Akt kostete Mohammed das Leben: Am Tag darauf wurde er ermordet auf der Straße gefunden.

    Dieses Ereignis erschütterte de Chergé tagelang zutiefst – und es veränderte sein Leben vollständig. Er beschloss, sein Leben Gott und der Sache des Friedens zu weihen. Nach Ablauf seiner Dienstzeit kehrte er nach Frankreich zurück und trat in ein Trappistenkloster ein. Später studierte er, um Priester zu werden und bat, in eine algerische Tochtergründung seines Klosters übertreten zu dürfen. Dieser Wunsch wurde ihm gewährt, und so kam er wieder nach Afrika und wurde schließlich zum kirchlichen Oberen eines Klosters im Atlas-Gebirge.

    Als Prior traf de Chergé Entscheidungen, die seine europäischen Oberen für ungewöhnlich und sogar unklug hielten. Statt einfach nur das Evangelium zu verkünden, bot er der Bevölkerung vor Ort Arbeitsplätze, medizinische Betreuung und Unterricht im Lesen und Schreiben und in Französisch an. Er organisierte zudem ein jährliches interreligiöses Treffen zur Förderung des islamisch-christlichen Dialogs. Ja, er lud sogar Muslime ein, sich auf dem Gelände seines Klosters Notre-Dame de l’Atlas niederzulassen. Damit wollte de Chergé der Welt zeigen, dass Muslime und Christen gemeinsam unter einem Gott oder Allah leben können. Er erklärte es so: »Für uns besteht der einzige Weg zum Zeugnisgeben darin, mitten in der ganz banalen Alltagswirklichkeit das zu sein, was wir sind.«

    Trotz de Chergés Bemühungen – oder womöglich ihretwegen? – zogen die Trappisten den Unmut der GIA auf sich, denn für diese Organisation galten sie als Fremdlinge, die sich hier einmischten. So kam es, dass sie schließlich entführt, in Geiselhaft genommen und schließlich ermordet wurden.

    Für viele Menschen wurde der Tod von de Chergé und seinen Mitbrüdern zur Bestätigung der schlimmsten Klischees vom Islam. Aber für ihn selbst war es der Preis dafür, ein Friedensstifter zu sein, und er hatte mit ihm gerechnet. Für mich ist das ein besonders starker Hinweis darauf, wie wichtig die Arbeit ist, die weltweit getan werden muss, um die heilende Botschaft von der Vergebung zu verbreiten. Wo sind in einer Zeit, in der so viele Menschen willens sind, in bewaffneten Konflikten zwischen dem »christlichen« Westen und dem angeblich so »bedrohlichen« Islam in den Tod zu gehen – sei es im Irak, in Afghanistan, in Algerien oder sonst wo – die Menschen, die bereit sind, um des Friedens willen in den Tod zu gehen? Christian de Chergé war ganz klar ein solcher Mensch. Zum Schluss sei noch einmal sein bemerkenswerter Brief zitiert:

    Das, was man „die Gnade des Martyriums" nennen mag, ist zu teuer bezahlt, wenn man sie einem Algerier schuldet, wer dieser auch immer sei. Vor allem dann, wenn er sagt, er handle aus Treue zu dem, was er für den Islam hält.

    Ich weiß wohl, wie sehr man die Algerier in ihrer Gesamtheit mit Verachtung belegt hat. Ich kenne auch die Karikaturen des Islam, die von einer gewissen Art des Islamismus noch gefördert werden. Es ist allzu einfach, sich ein gutes Gewissen zu verschaffen, indem man diesen religiösen Weg gleichsetzt mit dem Integralismus seiner Extremisten … Ich werde nun, so Gott will, meinen Blick in den des Vaters tauchen können, um mit ihm zusammen seine Kinder aus dem Islam zu betrachten, so wie er sie sieht … Seine heimliche Freude wird es immer bleiben, Gemeinschaft zu stiften und die Übereinstimmung wiederherzustellen – im Spiel mit den Unterschieden.


    Dieser Text stammt aus von J. Christoph Arnolds „Wer vergibt, heilt auch sich selbst.“

    Von JohannChristophArnold Johann Christoph Arnold

    Bekannter Redner und Buchautor über Themen wie Ehe, Elternschaft, Kindererziehung, Trauer und Sterben. Arnold trug viele Jahre lang Verantwortung für die Leitung der Bruder­hof­gemein­schaften.

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