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Allen Mächten zum Trutz
Was ist der Sinn der Freiheit?
von Peter Mommsen
Mittwoch, 18. Dezember 2024
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„Freiheit!“ malten Hans Scholl und zwei Kommilitonen in der Nacht des 3. Februar 1943 an Wände in München. Die drei Freunde, alle in ihren Zwanzigern, waren Mitglieder der Anti-Nazi-Bewegung Weiße Rose. Sie malten das Wort freihändig, in ein Meter hohen Lettern mit schwarzer Farbe, die sich nur schwer abwaschen ließ. Für ihre anderen Slogans – „Nieder mit Hitler“ und „Hitler der Massenmörder“ – verwendeten sie Schablonen. Zwei von ihnen erledigten die Arbeit, während der dritte mit einer Pistole Wache hielt.
Seit dem vorangegangenen Sommer schrieben und verteilten Hans Scholl und andere Mitglieder der Weißen Rose illegale Flugblätter, in denen sie „Freiheit! Freiheit! Freiheit!“ forderten. Ihre kurzen Manifeste verurteilten das „nationalsozialistische Untermenschentum“, prangerten den Krieg und die deutsche Vernichtungsaktion gegen die polnischen Juden an und riefen zu Widerstand und Sabotage auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gruppe bereits Zugang zu einem Vervielfältigungsapparat und verteilte anonym Tausende von Kopien auf öffentlichen Plätzen und per Post sowie über ihre Netzwerke in anderen Städten. Hans Scholl diente in Studienpausen als Sanitäter in der Armee und hatte die Schrecken der Ostfront aus erster Hand miterlebt. Die mitternächtliche Graffiti-Aktion war die Antwort der Weißen Rose auf den Verlust der deutschen 6. Armee in Stalingrad, bei dem mindestens 1,2 Millionen Menschen starben, darunter 200.000 deutsche Soldaten.
Zwei Wochen später machten sich Hans und seine 21-jährige Schwester Sophie auf, um das sechste und letzte Flugblatt der Weißen Rose auf dem Campus der Universität München zu verteilen. „Liebe Kommilitonen!“, begann es. „Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad… Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung unserer deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat. Im Namen der ganzen deutschen Jugend fordern wir von dem Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit … Unser Volk steht im Aufbruch gegen die Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus, im neuen gläubigen Durchbruch von Freiheit und Ehre!
Als sie die meisten ihrer 1.500 Flugblätter verteilt hatten, warf Sophie noch spontan einen Stapel Exemplare von der Balustrade im Atrium des Universitätsgebäudes herunter. Ein Hausmeister beobachtete sie dabei, schloss das Gebäude ab und rief die Polizei. Sie und Hans wurden auf der Stelle von der Gestapo verhaftet. Hans bemerkte zu spät, dass sich in seiner Tasche der Entwurf eines siebten Flugblattes seines Freundes Christoph Probst befand. Probst, ebenfalls Student und Vater von drei Kindern, wurde kurz darauf festgenommen. Vier Tage nach der ersten Verhaftung wurden die drei in einem zweistündigen Prozess wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet. (Weitere Mitglieder der Weißen Rose, darunter Hans’ Graffitikollegen Willi Graf und Alexander Schmorell, wurden in den folgenden Monaten hingerichtet.) Vor Gericht betonte Hans Scholl, er habe aus freien Stücken gehandelt: „Was ich damit auf mich nahm, wußte ich, ich habe auch damit gerechnet, dadurch mein Leben zu verlieren“.
Wir moderne menschen neigen dazu, Freiheit einseitig zu verstehen: nicht beherrscht zu werden. Freiheit bedeutet, dass Ketten gesprengt und Sklaven emanzipiert werden, dass Unterdrücker und Wichtigtuer ihre Macht verlieren. Es ist die Befreiung von tyrannischen Regierungen, von selbstherrlichen Eliten und von den Verfechtern strenger sozialer Regeln.
Diese Art von Freiheit ist das Herzstück der liberalen Demokratie, die ihre Wurzeln in der Aufklärung hat. Sie ist das große Thema der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution, die 1789 vom Marquis de Lafayette mit Unterstützung von Thomas Jefferson verfasst wurde: „Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten.… Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.“
Diese Worte, die sich als äußerst einflussreich für die Entwicklung „freier“ Gesellschaften erweisen sollten, sind von unbestreitbarer Erhabenheit. Als politisches Ideal stehen sie im Einklang mit der christlichen Lehre, wonach jeder Mensch nach dem Abbild Gottes erschaffen wurde, dessen Wesen (gemäß dem Neuen Testament) die Freiheit ist, und leiten sich wohl auch von dieser ab. Ein Mensch zu sein, heißt also einfach, frei geboren zu sein. Wie Jefferson es 13 Jahre zuvor in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung formuliert hatte, bedeutet es, ein „unveräußerliches Recht“ auf Freiheit zu besitzen, als Geschenk des Schöpfers der Menschheit.
Im Namen dieser revolutionären Freiheit leistete die Weiße Rose Widerstand gegen die „Versklavung Europas“. In ihren Flugblättern forderten sie die bürgerlichen Freiheiten, die die Grundlage der liberalen Demokratie bilden, einschließlich der Rede- und Religionsfreiheit, der akademischen Freiheit und der Freiheit des „einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten“.
Aber diese Art von Freiheit ist unvollständig. Obwohl Hans und Sophie Scholl ihr Leben dafür riskierten, erkannten sie, dass die politische Freiheit alleine nicht ausreicht. Beeinflusst von katholischen Vorbildern wie Carl Muth und Theodor Haecker, vertieften sie sich in die Schriften von Augustinus und Aquin. Von ihnen lernten sie eine Vision der Freiheit, die tiefer, reicher und älter war.
Nach diesen Denkern ist Freiheit nicht nur die Freiheit von äußerer Beherrschung oder Zwang. Genauso wichtig ist die Freiheit zu etwas: zu unserer inneren Handlungsfähigkeit. Dies erfordert Selbstbeherrschung, Disziplin, die Überwindung des gespaltenen Willens, der akrasia, wie die griechischen Philosophen und die Bibel es nennen. Diese Freiheit kann einem Menschen nicht von einer Regierung oder jemand anderem gewährt werden, sondern muss im eigenen Leben kultiviert werden.
Da diese Art von Freiheit für viele Menschen heute nicht mehr verständlich ist, kann es hilfreich sein, ein Beispiel zu betrachten. Nehmen wir einen geschickten Geiger, der Bach spielt. Seine Freiheit zu spielen liegt im Akt des Spielens selbst begründet. Diese Freiheit entsteht nicht durch äußere Umstände – etwa dadurch, dass ihm keine Handschellen angelegt werden, dass er das politische Recht hat, Musik zu machen, oder dass er ein Instrument besitzt. Wie mein Teenager-Sohn inzwischen müde ist zu hören, kommt die Freiheit, Geige zu spielen, vielmehr aus einer Verpflichtung. Man gewinnt sie, indem man sich dem unterwirft, was auf den ersten Blick das Gegenteil von Freiheit zu sein scheint: Unterricht, Übung, Disziplin. Der berühmte Dirigent Serge Koussevitzky, den sein Schützling Leonard Bernstein als „einen sehr freundlichen, sanften Mann“ in Erinnerung hatte, pflegte zu seinen Spielern zu sagen: „Ihr müsst leiden. Warum leidet ihr nicht mehr? Nur dann wird die Musik schön sein.“
In seinen Briefen beschreibt Hans Scholl die „moralische“ oder „geistige“ Freiheit, eine Freiheit, die nicht von äußeren Umständen abhängt, auch nicht von dem politischen Regime, in dem man lebt. So schrieb er im August 1942, als er an der russischen Front war, in sein Tagebuch: „Ich weiß wie beschränkt die menschliche Freiheit ist. Aber der Mensch ist im Wesentlichen frei, und seine Freiheit macht ihn zum Menschen.“ Diese essentielle Freiheit ist eine Seinsweise, die man sich „allen Gewalten zum Trutz“ zu eigen machen kann – Worte aus einem Goethe-Gedicht über die Freiheit, die sich die Familie Scholl zum Motto machte. Oder wie Hans es in seinem Leitsatz formulierte: „Ganz leben oder gar nicht“.
Wie kann der mensch diese Freiheit erlangen? In seinem 1996 erschienenen Roman Infinite Jest beschreibt David Foster Wallace einen Weg. Das Buch schildert das Leben von Personen, die in unterschiedlicher Weise von Sport, Drogen, Unterhaltung und Sex abhängig sind. Einer von ihnen ist Don Gately, ein Bewohner einer Entzugsklinik der Anonymen Alkoholiker in Boston. Er kämpft mit der akrasia: „Warum kann ich nicht aufhören, obwohl ich es so gerne möchte?“
Der 3. der 12 Schritte der Bostoner AA empfiehlt, dass man seinen kranken Willen der richtungsweisenden Liebe von Gott, wie man ihn versteht, unterstellt. Es soll einer der größten Kaufanreize der AA sein, dass man sich seinen Gott selber wählen kann. Man stückelt sich ein eigenes Verständnis von Gott, einem höheren Wesen oder wem/was auch immer zusammen.… Man sollte meinen, es wäre leichter, wenn man mit 0 konfessionellem Hintergrund oder vorgefassten Meinungen hereinkommt, man sollte meinen, es wäre leichter, sich einen höherwesigen Gott im Do-it-Yourself-Verfahren zu erfinden und für den dann ein Verständnis zu entwickeln, aber Don Gately beklagt, bisher hat er diese Erfahrung nicht gemacht. Seine einzige Erfahrung ist bisher, dass er sich an die seltenen konkreten Ratschläge der AA hält, morgens in die Knie geht und um Hilfe bittet und vor dem Schlafengehen wieder in die Knie geht und Danke sagt, egal ob er nun daran glaubt, mit irgendwas/-wem zu reden, oder nicht, und irgendwie schafft er es, trocken durch den Tag zu kommen.
Für Gately wirken die Rezepte der Anonymen Alkoholiker, wie er nach einigen Monaten im Programm feststellt:
In Sachen Gott-Konzept hatte er nichts vorzuweisen und zu diesem Zeitpunkt vielleicht auch weniger als nichts in puncto Interesse an der ganzen Angelegenheit; Gebete absolvierte er, wie man gemäß den Anweisungen auf einer Backmischung die Backofentemperatur einstellt. Sich vorzustellen, er würde sich mit der Zimmerdecke unterhalten, war ihm lieber als der Gedanke, sich mit nichts zu unterhalten. Und er fand es peinlich, sich in seiner Unterwäsche hinzuknien, und tat genau wie die anderen Männer in seinem Zimmer so, als hätte er seine Sneaker zu weit unters Bett geschoben und müsste jetzt eine Weile so bleiben, um an sie heranzukommen, wenn er betete, aber er betete und flehte die Zimmerdecke an und dankte der Zimmerdecke, und nach etwa fünf Monaten … merkte [er] plötzlich, dass mehrere Tage vergangen waren, ohne dass er an Demerol, Talwin oder selbst Gras auch nur gedacht hatte. Nicht nur hatte er diese paar letzten Tage durchgestanden – er hatte an Drogen nicht einmal gedacht. D.h., das Verlangen und der Zwang waren verschwunden. Weitere Wochen verstrichen, nebelhafte Eindrücke von Verpflichtungen, Treffen, Rettchenrauch und Klischees, und immer noch fühlte er mitnichten das alte Bedürfnis zu toxen. Irgendwie war er frei. Zum ersten Mal seit etwa seinem zehnten Lebensjahr kam er aus diesem geistigem Käfig heraus. Er konnte es nicht fassen.
Für Gately – wie für zahllose andere Teilnehmer des Zwölf-Schritte-Programms seit der Gründung der Anonymen Alkoholiker im Jahr 1935 – kommt die Freiheit auf paradoxe Weise zustande: indem er sich unterwirft.
David Foster Wallace’s Ansichten über Religion waren kompliziert. Wie viele seiner Leser feststellten, erinnert seine Darstellung von Gatelys Genesung an einen zentralen Text des Neuen Testaments über Freiheit. (Das ist kein Zufall, denn die Anonymen Alkoholiker sind zwar nicht religiös, entsprangen aber der Oxford-Gruppe, einer christlichen Erweckungsbewegung). In seinem Brief an die Römer kämpft der Apostel Paulus mit demselben Dilemma, das Gately in die Reha trieb: Warum kann ich nicht aufhören, wenn ich doch so gerne aufhören würde?
Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich … Denn in meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangen hält im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern herrscht. Ich elender Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten (Röm 7,18–19, 22–24)?
Für Paulus ist das „Gesetz der Sünde“, um es anachronistisch auszudrücken, eine Art Sucht. Es beraubt uns unseres unveräußerlichen Geburtsrechts der Freiheit. Es raubt uns die Fähigkeit, das zu tun, was wir wirklich wollen. Die Befreiung aus dieser „Sklaverei“ erfordert die ersten beiden der zwölf Schritte: Ehrlichkeit über die eigene Ohnmacht und die Hinwendung zu einer höheren Macht. So beschreibt er die Mittel zur Genesung: „Gott aber sei Dank; denn ihr wart Sklaven der Sünde, seid jedoch von Herzen der Gestalt der Lehre gehorsam geworden, an die ihr übergeben wurdet. Ihr wurdet aus der Macht der Sünde befreit und seid zu Sklaven der Gerechtigkeit geworden“ (Röm 6,17–18).
Nach Paulus sind wir nicht frei, wenn wir wählen, was wir zufällig wünschen, sondern wenn wir das wollen, was Gott will – das heißt, wenn wir lieben, im Sinne der beiden großen Gebote Jesu, Gott mit Herz, Seele, Verstand und aller Kraft zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. Augustinus fasste diese Einsichten später in seinem berühmten Aphorismus zusammen: „Liebe und tue, was du willst.“ Diese Art der Verpflichtung, erweitert unsere Seele, anstatt sie zu begrenzen.
Es ist bemerkenswert, wie ausdrücklich die Mitglieder der Weißen Rose, auch wenn sie die politische Freiheit verteidigten, die geistigen Wurzeln der Freiheit in einer Weise betonten, die an das Neue Testament erinnert. Ihr viertes Flugblatt diagnostiziert das Übel des Nationalsozialismus als eine Art Sucht – eine falsche Entscheidung führt zum Verlust der Fähigkeit, damit aufzuhören – und scheint anzudeuten, dass die Heilung das Eingreifen einer höheren Macht erfordert:
Überall und zu allen Zeiten haben die Dämonen im Dunkeln gelauert auf die Stunde, da der Mensch schwach wird, da er seine ihm von Gott auf Freiheit gegründete Stellung im ordo eigenmächtig verläßt, da er dem Druck des Bösen nachgibt, sich von den Mächten höherer Ordnung loslöst und so, nachdem er den ersten Schritt freiwillig getan, zum zweiten und dritten und immer mehr getrieben wird mit rasend steigender Geschwindigkeit – überall und zu allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden, Propheten, Heilige, die ihre Freiheit gewahrt hatten, die auf den Einzigen Gott hinwiesen und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten. Wohl ist der Mensch frei, aber er ist wehrlos wider das Böse ohne den wahren Gott.
Auch in politischen Angelegenheiten, so das Flugblatt, wird die Freiheit nicht aus eigener Kraft erreicht. Sie kommt, als Geschenk, von einem Geber, der im Gegenzug unseren freien Gehorsam fordert. Wie schon Augustinus und Thomas von Aquin lehrten, werden wir umso freier, je näher wir dem Geber der Freiheit kommen – je mehr wir lieben, was er liebt, und wollen, was er will.
Diese art von freiheit hängt nicht von einer politischen Ordnung oder gar von der körperlichen Freiheit ab. Sie ist sogar in einer Gefängniszelle möglich. Nach ihrem kurzen Prozess am Morgen des 22. Februar 1943 vernahmen Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst um 12:45 Uhr ihr Todesurteil. Die Berliner Behörden waren erpicht darauf, das Urteil noch am selben Tag zu vollstrecken. Der örtliche Gauleiter beauftragte einen Schreiner mit dem Bau eines Galgens für eine öffentliche Hinrichtung, wurde aber von Heinrich Himmler überstimmt, der befürchtete, die Studenten zu Märtyrern zu machen.
Im Gefängnis, wo sie ihre letzten drei Stunden verbrachten, empfing Christoph von einem katholischen Priester die Taufe und die Kommunion. Hans und Sophie wollten dasselbe tun, hielten sich aber aus Rücksicht auf ihre lutherische Mutter zurück und empfingen stattdessen die Kommunion vom protestantischen Pfarrer.
Um vier Uhr wurden die drei darüber informiert, dass ein letztes Gnadengesuch abgelehnt worden war und die Hinrichtung um fünf Uhr stattfinden würde.
Kurz vorher setzten die Gefängniswärter ihre eigenen Regeln außer Kraft und erlaubten den dreien, gemeinsam eine letzte Zigarette zu rauchen. Die Geschwister Scholl hatten sich von ihren Eltern verabschieden können. Christoph, dessen Frau nichts vom Schicksal ihres Mannes ahnte (sie lag mit Kindbettfieber im Krankenhaus), wusste nun, dass er seine vier Wochen alte Tochter nie sehen würde. Trotzdem scheint er seinen Frieden gefunden zu haben. Als es an der Zeit war, sich zu verabschieden, soll er zu den anderen gesagt haben: „In ein paar Minuten werden wir uns in der Ewigkeit wiedersehen.“
Sophie wurde als erste zur Guillotine geführt, Christoph als letzter. Zwei Minuten nachdem sie gegangen war, holten die Wachen Hans ab. Das offizielle Hinrichtungsprotokoll vermerkt, dass die Zeit zwischen dem Verlassen der Zelle und dem Tod 52 Sekunden betrug und dass „der Verurteilte ruhig und gelassen war“. Weiter heißt es: „Seine letzten Worte waren: ‚Es lebe die Freiheit!‘“
Im Oktober des Vorjahres hatte Sophie in einem Brief an eine Freundin skizziert, was sie unter Freiheit verstand. Wir sollen die Freiheit, die uns der Schöpfer gegeben hat, nutzen, um uns für die Schönheit seines Plans für uns selbst und für die Welt zu entscheiden. Trotz der Schrecken der menschlichen Geschichte war sie zuversichtlich, dass sich dieser Plan durchsetzen würde:
Ist es nicht auch Rätsels genug, und wenn man den Grund dafür nicht weiß, beinahe furchterregend, daß alles so schön ist? Trotz des Schrecklichen, das geschieht. In meine bloße Freude an allem Schönem hat sich etwas großes Unbekanntes gedrängt, eine Ahnung nämlich von seinem Schöpfer, den die unschuldigen erschaffenen Kreaturen mit ihrer Schönheit preisen. Deshalb eigentlich kann nur der Mensch häßlich sein, weil er den freien Willen hat, sich von diesem Lobgesang abzusondern. Und jetzt könnte man oftmals meinen, er brächte es fertig, diesen Gesang zu überbrüllen mit Kanonendonner und Flüchen und Lästern. Doch dies ist mir im letzten Frühling aufgegangen, er kann es nicht, und ich will versuchen, mich auf die Seite der Sieger zu schlagen.