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Ein Löwe in Phnom Penh
Ein Insider rechnet mit der Doppelmoral internationaler Hilfswerke ab.
von J. Daniel Sims
Dienstag, 17. Dezember 2024
Verfügbare Sprachen: English
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Die helle, tropische Sonne schimmert gelb durch die verblassende Markise vor dem Lone Pine Café in der belebten Pasteur Street in Phnom Penh. Tuk Tuks, Motorräder und eine schockierende Anzahl exotischer Sportwagen schwirren draußen herum. Der Besitzer des Cafes, ein ehemaliger preisgekrönter Gastronom aus Manhattan, zog hierher nachdem er Anfang der 2000er Jahre in Konkurs ging. Das Gastronomiegeschäft lag ihm jedoch im Blut, und er konnte einem erneuten Versuch nicht widerstehen. Die Gäste kommen in Scharen, weil es hier angeblich die besten Margaritas und Burritos diesseits des Mekong geben soll. Sie bleiben, weil an den Gerüchten etwas dran ist – aber auch, weil das Lone Pine Café die Art von schummriger Kneipe ist, in der bestimmte Geschichten noch flüsternd erzählt werden können am Rande eines autoritären Staates.
Diese spezielle Geschichte beginnt ganz einfach. Irgendwo in der weitläufigen Struktur der Vereinten Nationen gibt es eine „Kambodscha-Schutzbeauftragte“. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die kambodschanischen „Rehabilitations“-Unterkünfte zu überwachen und letztlich zu entscheiden, ob diese weiterhin finanziert und unterstützt werden sollen.
Bei einem Lokalaugenschein fand sie keine Notunterkunft, sondern ein Gefängnis vor. Es stank furchtbar nach Müll und menschlichen Ausscheidungen. Das wenige Licht im Inneren war unheilvoll grau. Die drückende Hitze der Äquatorsonne durchdrang die fensterlosen Betonwände. Die Wohnräume waren beengt, die Essensrationen minimal und verdorben.
Die Schutzbeauftragte sah kranke und unterernährte „Patienten“, einen Mann, der bewusstlos dalag (und bald darauf starb), und eine Frau, die in den Wehen lag ohne medizinische Hilfe zu erhalten. Die Vereinten Nationen vertreten in Bezug auf die Würde schutzbedürftiger Personen rhetorisch eine starke Haltung. Da das Ministerium, welches für die Unterkunft verantwortlich war, direkt von einer UN-Organisation finanziell unterstützt wird, wäre es zu erwarten gewesen, dass die UNO energisch auf die grobe Vernachlässigung reagieren würde.
Doch die Folgen dieses Besuchs vor Ort waren – wie so oft – gleich null. Dem Ministerium wurde eine hübsche Liste von Empfehlungen vorgelegt, es gab einige unverbindliche Hinweise zur Verbesserung der Einrichtung. Die Liste wurde vom Ministerium pflichtbewusst akzeptiert, abgestempelt, abgeheftet und ignoriert. Die Finanzierung wurde fortgesetzt, und es gab keine öffentlichen Verurteilungen der Zustände in diesem Heim. Nichts änderte sich.
Diese Einrichtung ist ein sehr repräsentatives Beispiel für die von der Regierung betriebenen Heime in Kambodscha. Sie gehören zu den schlimmsten Beispielen zahlloser Menschenrechtsverletzungen die innerhalb der kambodschanischen Grenzen schwelen.
Sebastian Strangio schreibt in seinem Buch Cambodia: From Pol Pot to Hun Sen and Beyond, dass diese Heime häufig als Auffanglager für unerwünschte Personen dienen. Drogenabhängige und Obdachlose werden „in der Regel vor dem Besuch ausländischer Würdenträger in aller Eile zusammengetrieben“. Wie ein Beamter der Stadtverwaltung zusammenfasste: „Wenn die führenden Politiker der Welt Bettler und Kinder auf der Straße sehen, könnten sie sich negativ über die Regierung äußern.“
Obwohl es einige Berichte über diese Unterkünfte gibt, wird ihr wahrer Zustand nicht allgemein anerkannt. Dies ist ein charakteristisches Merkmal der Hilfsindustrie, das man als „Engagement-Imperativ“ bezeichnen könnte. Dieser Imperativ ist ein unausgesprochenes Bündel von Anreizen, um die Beziehungen zwischen den „Partnern“ (ausländische Überwachungsbehörden, internationale Organisationen, NGOs usw.) und den „Gastregierungen“ in den Vordergrund zu stellen.
Die vorherrschende Sichtweise im Westen besagt, dass humanitäre Ziele am effektivsten in Zusammenarbeit mit lokalen Institutionen verfolgt werden können. Dies ist eine rationale Annahme. Ohne enge Zusammenarbeit mit der Regierung des Gastlandes wären die meisten Hilfsorganisationen nicht in der Lage, ihre Programme durchzuführen – Programme, die darauf abzielen, die am meisten gefährdeten Menschen zu erreichen.
Doch dieses Gebot, innerhalb des Systems zu arbeiten, erfordert erhebliche moralische Abstriche. Es lassen sich vernünftige Argumente dafür vorbringen, wo die Kosten des Engagements den Nutzen überwiegen und die Grenze zu ziehen ist. Jenseits einer solchen utilitaristischen Analyse ist es jedoch gewohnheitsbedingt schwierig, diese überhaupt zu erkennen. Zu oft ging man solche Kompromisse einfach ein.Grundsätzlich hat eine Branche, die sich mit der Staatsgewalt (und dem damit verbundenen Geld) verbündet, allen Grund, die negativen Auswirkungen dieser Verbundenheit nicht zu erkennen. Doch abgesehen von der „Industrie“ selbst als Schreckgespenst – und ungeachtet der vielen engagierten Menschen, die ernsthaft in diesem Bereich arbeiten – ist Kambodscha voll von abscheulichen Geschichten über die Heuchelei von Entwicklungshelfern.
Da sind die Menschenrechtsaktivisten, die die Armen vor Landraub schützen sollen, aber stattdessen mit korrupten Beamten auf gestohlenem Land Golf spielen; Umweltaktivisten mit großen Geländewagen in ihren Einfahrten und Rosenholzmöbeln in ihren Häusern; NGO-Leiter, die für ihren eigenen Komfort und ihre Sicherheit sorgen und gleichzeitig korrupte und räuberische Eliten unterstützen.
Solche Geschichten könnten uns die Augen dafür öffnen, dass mächtige Systeme nicht in der Lage sind, auf menschliche Bedürfnisse einzugehen. Wir könnten sie als demütigende Erinnerung an die individuelle Fehlbarkeit und Doppelmoral verstehen. Oder, vielleicht noch schlimmer, wir könnten zulassen, dass die Dunkelheit solcher Geschichten in uns das selbstgefällige Gefühl erweckt, irgendwie besser, selbstloser oder ehrlicher zu sein; dass alles ganz anders wäre, wenn nur „wir“ das Sagen hätten.
Lassen Sie mich also klarstellen: Diese Geschichte könnte genauso gut von mir handeln. Und das tut sie auch.
„Sir, Ihre Gelder sind jetzt auf Anweisung des United States Office of Foreign Assets Control eingefroren.“
Das sind nicht die Worte, die man am Ende eines hektischen Einkaufstrips mit seiner acht Monate alten Tochter hören möchte. Und lassen Sie mich Ihnen versichern, dass es auch nicht die Worte sind, die Ihre Frau hören möchte, wenn sie sich auf den pandemiebedingten Spießrutenlauf vorbereitet, den das Borden eines Überseefluges im Jahr 2021 darstellte.
Aber warum?
Das Office of Foreign Assets Control (OFAC) ist eine von vielen Waffen im Kampf der US-Regierung gegen Drogen, Terrorismus und organisiertes Verbrechen. Die 1950 gegründete Organisation war bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend von der Geopolitik des Kalten Krieges geprägt. Seitdem ist die ausufernde Entwicklungshilfeindustrie ebenso wie das OFAC zu einem weiteren Instrument zur Förderung liberal-demokratischer Ideale und des „Fair-Play“-Kapitalismus in der ganzen Welt geworden. Freiheit, nach einer bestimmten Definition.
Für die OFAC war ich einer der Guten. Mein Lebenslauf klang wie eine Liebesballade an den fortschrittlichen Idealismus: Unterstützung pro-demokratischer Rebellengruppen und Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen im Norden Myanmars; Gründung eines „Win-Win-Sozialunternehmens“ im Nachkriegs-Uganda; Leitung einer „evidenzbasierten“ politischen Forschung an einer angesehenen amerikanischen Universität. Nun, da sich Chinas Schatten über der Region abzeichnete, war ich unterwegs, um für eine prominente NGO in einem der korruptesten Länder der Welt eine rechtsstaatliche Agenda voranzutreiben.
Was in aller Welt wollte Onkel Sam also mit meinen kleinen Sparkonten? Die Antwort auf diese Frage liegt 14 Jahre zurück, in einem kleinen kambodschanischen Dorf, das eine ganz andere Seite von „Freiheit“ und „Fortschritt“ erlebte.
Für die Menschen in Lor Peang änderte sich nicht viel, als der kambodschanische Bürgerkrieg in den späten 1980er Jahren abebbte. Die Sowjets zogen weiter und die UN-Friedenstruppen kamen, um eine neue Ära einzuläuten. Sie sahen Land Cruiser kommen und Fremde, die über Demokratie predigten. Wahlen wurden abgehalten, und sie gaben trotz des damit verbundenen Risikos mutig ihre Stimme ab. Als die Partei, die der alten Monarchie nahe stand, zum Sieger erklärt wurde, schien dies Stabilität zu versprechen. Doch bald wurde klar, dass die Kambodschanische Volkspartei von Hun Sen das Ergebnis nicht akzeptieren würde.
Für Lor Peang änderte sich auch 1996 nicht viel, als ein bedeutender Teil des Dorfes in die Sonderwirtschaftszone (SWZ) der Gemeinde Ta Ches umgewidmet wurde. Theoretisch erleichtern SWZ ein schnelles Wirtschaftswachstum durch steuerliche Anreize, um ausländische Investitionen anzuziehen und den technologischen Fortschritt voranzutreiben. In Kambodscha dienten sie in der Vergangenheit als Vehikel für Spekulationen und Landraub durch Mitglieder der herrschenden Elite. Heute werden sie zunehmend als Zufluchtsort für das organisierte Verbrechen, die Ausbeutung von Menschen und die von den Eliten betriebene Gesetzlosigkeit genutzt.
Am 9. November 2007 rollten Bulldozer in dieses kleine Dorf 65 Kilometer nördlich von Phnom Penh. Durch bürokratische Zauberei und wahrscheinlich auch Hinterzimmerabsprachen erwarb KDC International (ein Unternehmen im Besitz der Frau eines Kabinettsministers) die Rechte an dieser Sonderwirtschaftszone und begann mit einem „produktiven wirtschaftlichen Engagement“. Dieses Engagement begann und endete damit, dass eine Reihe von Häusern im Dorf niedergerissen und ein Zaun um das Gebiet errichtet wurde. In der Zwischenzeit lehnten sich die neuen Eigentümer zurück und warteten auf steigende Immobilienpreise.
Im selben Jahr begann dieses mächtige Paar mit dem Bau eines weiteren Investitionsprojekts – mein zukünftiges Zuhause.
2020 zogen wir nach Kambodscha, mit einem Neugeborenen. Mit einem Baby gestaltet sich die Wohnungssuche anders. Man fängt an über Sicherheit und architektonische Integrität nachzudenken und darüber, wie viel Zeit des Tages der Pool im Schatten liegt, zusätzlich zu den üblichen Überlegungen: Nähe zur Arbeit, Qualität der Gegend und die Frage, ob die Nachbarn in Ordnung sind.
Der Romdoul Bopha Apartmentkomplex bot alles – die Nähe, die Atmosphäre und den Platz, die gleichgesinnte Gemeinschaft und die lebendige Nachbarschaft. Und das für weniger als den Preis einer schäbigen Wohnung am Rande von Washington DC (aber exponentiell mehr als der Durchschnittspreis in Phnom Penh).
Romdoul war keineswegs das luxuriöseste Gebäude in der Nachbarschaft und seine Bewohner waren auch nicht die reichsten. Diese Attribute gehörten den Kindern hochrangiger Regierungsbeamter und ihren weitläufigen, grünen Villen, mit dem endlosen Strom von Ferraris, McLarens, Bentleys und Rolls-Royces. Unser Haus war nicht besonders auffällig, aber es zog eine bestimmte Klientel an: Diplomaten, erfolgreiche europäische „Berater“ und „Ratgeber“, Landesdirektoren prominenter amerikanischer NGOs und eine Zeit lang sogar den ranghöchsten UN-Beamten in Kambodscha.
Es waren Leute wie wir. Viele hatten kleine Kinder. Nur für wenige war es die erste Station in einem fremden Land. Die meisten, wenn nicht sogar alle, sahen Phnom Penh sehr realistisch: problematisch in vielerlei Hinsicht, aber keineswegs ein schrecklicher Ort. Strangio beschreibt das Leben der Expats in Phnom Penh als „eine sybaritische Mischung aus billiger Unterhaltung, die von Panini-Bars und Yoga-Kursen bis hin zu hippen Cafés, sozialen Unternehmen und Cocktail-Happy Hours reicht. Miete und Haushaltshilfe sind billig, die Internetverbindungen schnell, und alles, was das Herz begehrt, wird aus dem Ausland importiert. . . . Ein Aufenthalt in Kambodscha ist eine bequeme Etappe für professionelle Expats, und jeder möchte mit einem goldenen Stern im Lebenslauf abreisen.“
Das fasste unsere Zeit im Königreich der Wunder ziemlich gut zusammen. Doch das sollte sich bald ändern. Nach ein paar Monaten hatten wir uns gut eingewöhnt. Wir hatten ein paar Freunde gefunden, uns in unseren Jobs arrangiert und uns für ein „hippes“ Lieblingscafé entschieden. Im Frühjahr traten wir unseren jährlichen Heimaturlaub an, und da passierte es.
Als ich an einem kühlen Morgen joggen ging, fiel mir schlagartig ein: Wir hatten unsere Miete nicht bezahlt! Eine der vielen Merkwürdigkeiten unseres Lebens in Kambodscha bestand darin, dass unsere Vermieter ausdrücklich verlangten, die Miete in bar zu bezahlen. Das war jetzt nicht möglich. Ich zückte mein Handy und schrieb der Hausverwaltung eine Nachricht. Ich erhielt die Antwort, dass wir bezahlen sollten, wenn wir zurück wären. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte jetzt bezahlen. Schließlich übermittelte mir die Hausverwaltung die nötigen Informationen für eine Überweisung. Ich veranlasste die Überweisung und hielt die Sache damit für erledigt, bis mich meine Bank anrief. Eine verdächtige Überweisung hatte mich auf den Radar des Office of Foreign Assets Control gebracht.
Ich legte über meine Bank Einspruch ein und bescheinigte den Zweck der Überweisung und meine Unkenntnis der Situation. Ich erklärte ausführlich, was ich in Kambodscha tat. Ich gehöre zu den Guten. Ihr wollt mein Geld bestimmt nicht behalten. Diese Gelder sind es, die mir helfen, Gutes zu tun!
Dies hat offensichtlich funktioniert. Ich weiß nicht, was genau passiert ist. Niemand hat mir jemals bestätigt, dass meine Transaktion gegen irgendein Gesetz verstoßen hat. Innerhalb weniger Wochen waren unsere Gelder auf jeden Fall freigegeben. Wir kehrten nach Kambodscha zurück und zahlten unsere – potenziell illegale – Miete wieder in bar.
Aber meine Neugierde war geweckt. Warum standen unsere Vermieter, ein Ehepaar, offenbar auf der schwarzen Liste? Ich wusste, dass der Ehemann der Minister für Bergbau und Energie war. Was ich bei meinen Nachforschungen herausfand, schockierte mich.
Die Frau war die Leiterin von KDC International, dem Verursacher des Landraubs von Lor Peang. Dies war eine der berühmtesten Landnahmen in einem Land, in dem Hunderttausende auf ähnliche Weise um ihren Besitz gebracht wurden und eine kleine Elite durch staatlich sanktionierten Diebstahl ein Vermögen anhäufte. Lor Peang war weder der größte oder gewalttätigste Fall und auch nicht derjenige, der am direktesten mit dem Missbrauch der Regierungsgewalt verbunden war. Vielmehr war er berühmt, weil die Vertriebenen den Mut hatten, sich zu wehren. Die gewaltlosen Proteste hatten die Aufmerksamkeit einiger (meist lokaler) Menschenrechtsgruppen auf sich gezogen. Einzelnen der vertriebenen Dorfbewohner wurde eine geringe Entschädigung angeboten, während viele andere wegen ihrer Bereitschaft, ihre Stimme zu erheben, inhaftiert wurden.
Einigen Berichten zufolge war die Ehefrau auch in den Handel mit Waisenkindern verwickelt – sie verkaufte Kinder an Agenturen zur Adoption durch reiche Eltern in den Vereinigten Staaten und anderswo. Der Ehemann galt als einer der korruptesten Minister in einer der korruptesten Regierungen der Welt. Die Posten in seinem Ministerium waren mit seinen eigenen Familienmitgliedern und Verbündeten besetzt. So zahlte beispielsweise 2009 ein australisches Bergbauunternehmen Hunderttausende von Dollar an verschiedene Mitglieder seiner Familie, die in den Vereinigten Staaten ansässig sind, als Gegenleistung für Schürfrechte. Das Unternehmen wurde später in den Vereinigten Staaten wegen Fehlverhaltens verurteilt.
Einem langjährigen kambodschanischen Menschenrechtsverteidiger zufolge gehört mein Vermieter „zu den drei größten Bösewichten Kambodschas“ und das inmitten einer starken Konkurrenz.
Ich hatte den Grund für die blockierte Überweisung zwar nicht vollständig aufgedeckt, aber er beunruhigte mich zutiefst. Ich befragte meine Nachbarn in Romdoul über unsere Vermieter.
Die meisten wussten, dass er ein Minister war und dass die beiden „wahrscheinlich korrupt sind“. Aber das war's dann auch schon.
„Sie bieten mir einen guten Service, ein sicheres Zuhause für meine Kinder und reparieren die Toilette, wenn sie verstopft ist. Das ist alles, was ich weiß“, sagte ein australischer Diplomat.
Als ich erzählte, was ich herausgefunden hatte, verstörten mich die Antworten. Zugleich kamen sie mir seltsam vertraut vor.
„Manchmal ist es ein notwendiges Übel, solchen Leuten Geld in die Tasche zu stecken. Das ist der Preis für den Versuch, Gutes zu tun.“
Die Akzeptanz solch moralischer Ambivalenzen ist eine grundlegende Prämisse des Sektors. Natürlich liegt eine gewisse Weisheit darin, die eigene Unfähigkeit zu akzeptieren, eine abstrakte moralische Reinheit zu erreichen. Doch dieses „notwendige Übel“ ist ein ziemlich schlimmes. Es geht auf die Anfänge der UN-Friedenssicherung in Kambodscha zurück, als Beamte der Regierungspartei begannen, sich Land anzueignen und es zu einem hohen Preis an Entwicklungshelfer und Diplomaten zu verpachten. Das Regime ist bis heute an der Macht, weil es die Kontrolle über die Einnahmen hat. Und eine der wichtigsten Einnahmequellen sind die Mieten ausländischer Entwicklungshelfer.
Gibt es keinen besseren Weg? Das sind Ausbeuter, und wir ermöglichen ihr ausbeuterisches Verhalten durch unsere monatlichen Zahlungen.
„So funktioniert der Markt nun einmal. Irgendwo müssen wir doch wohnen, oder?“, überlegte ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler.
Es stimmt, ein Großteil der öffentlichen Dienste in Kambodscha bräche zusammen, wenn sich die internationale Gemeinschaft zurückziehen würde. Die arme Bevölkerung Kambodschas würde leiden, viele würden sterben. Das ist ein inhärentes Paradoxon der Abhängigkeit.
„Wenn es Ihnen nicht passt, könnten Sie ja ausziehen. Aber wollen Sie das wirklich Ihrer Familie antun?“, so ein Berater.
Natürlich wollte ich das nicht und tat es auch nicht. Ich war weiterhin der treue Weltverbesserer, der einen Dieb für das Recht bezahlte, auf seinem Grundstück zu leben, während ich für meine Bemühungen, den Opfern seiner Verbrechen zu helfen, ein stattliches Gehalt kassierte.
Ich nahm meine Arbeit bei einer großen NGO sehr ernst, deren Ziel die Bekämpfung der Zwangsarbeit ist. Wir arbeiteten mit den kambodschanischen Behörden zusammen, um Opfer des Menschenhandels zu retten, Gerichtsverfahren gegen Menschenhändler und Sklavenhalter zu führen und die örtlichen Strafverfolgungsbehörden darin zu schulen, Fälle von gewaltsamem Arbeitsmissbrauch zu erkennen. Das ist eine Arbeit, an die ich glaube. Zwangsarbeit ist in Kambodscha allgegenwärtig. Häufig werden Männer ins Ausland gebracht, um in der riesigen Fischereiindustrie Thailands zu arbeiten. Dort, wo sie weder die Sprache sprechen noch einen nennenswerten gesetzlichen Schutz genießen, gehören sie zu den am meisten gefährdeten Menschen der Welt.
Diese Ausbeutung wird durch ein Rechtssystem begünstigt, das es nur schwer schafft, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (vor allem so mächtige wie meine Grundbesitzer). Zwangsarbeit ist auch eine Folge der begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten und davon, dass die arme Landbevölkerung keinen Grundbesitz hat.
Die Landlosigkeit wiederum wird durch den Mikrofinanzsektor verschärft eine weitere Gutmenschenbranche, die Schaden anrichtet. Die Kreditgeber vergeben Kredite zu Wucherzinsen, während sie die Eigentumsurkunden der Grundstücke als Sicherheiten halten. Die Kredite gehen meist an Bauern, die gar keine Möglichkeit haben, ihre winzigen, aber existenzbedrohenden Schulden zurückzuzahlen. Sie verlieren ihr Land an Banken oder Kreditgeber und damit ihren Lebensunterhalt in einem, wie es eine aktuelle Studie nennt, effizienten „System des Vermögenstransfers von Arm zu Reich“. Landlose ehemalige Bauern müssen dann andere Arbeit suchen, um über die Runden zu kommen. Viele suchen im Ausland. Und der Kreislauf geht weiter.
Die Landlosigkeit nimmt natürlich auch durch Landraub zu.
Das ist das Ende der Geschichte von Lor Peang, diesem einst friedlichen Dorf, 65 Kilometer nördlich meiner köstlichen Margaritas und meines sicheren Grundstücks mit dem Pool, der den ganzen Nachmittag im Schatten liegt. Sie wurden von ihrem Land vertrieben (von meinem Vermieter) und ihre Anführer inhaftiert (von genau dem Rechtssystem, dessen Reform ich unterstützen sollte), und ihre Möglichkeiten waren begrenzt. Eine Untersuchung einige Jahre nach der Landnahme bestätigte, dass über neunzig Prozent der Männer im arbeitsfähigen Alter von Lor Peang in die thailändische Fischereiindustrie verschleppt worden waren.
Die Ironie des Ganzen verschlug mir den Atem. Ich war hier, um den Menschenhandel zu bekämpfen und ermöglichte ihn mit 1.300 Dollar pro Monat. Ich begann, mich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass ich auch auf perfidere Weise mitschuldig war und durch meine Beteiligung an den symbiotischen Kreisläufen von Hilfsgeldern und globalem Kapitalismus ein gewalttätiges System stützte. Ich machte mir Gedanken über den Unterschied zwischen meiner beruflichen Verantwortung, die mit meiner Aufgabenbeschreibung und meinem Dreijahresvertrag begann und endete, und meiner moralischen Verantwortung, die nach mehr verlangte.
Während westliche Entwicklungshelfer häufig an diesen moralischen Paradoxen scheiterten, schienen die lokalen Verbündeten die Dinge viel klarer zu sehen. „Wer sich nicht wehrt, wird trotzdem zum Opfer. Man war lediglich noch nicht an der Reihe.“ Diese Worte von Kambodschas berühmtesten Menschenrechtsaktivisten fassen die Weltanschauung derer zusammen, deren Leben, Geschichte und Blut mit diesem Ort verbunden sind. Diese Klarheit ist mit einem hohen Preis verbunden. Kem Ley wurde von der Regierungspartei ermordet, kurz nachdem er diese trotzige Erklärung gegen die stille Mittäterschaft abgegeben hatte.
Andere Kambodschaner traten mutig in Kem Leys Fußstapfen. Während ich am Pool stand und die Hände rang, saß ein anderer Aktivist im Gefängnis, weil er das obige Zitat auf ein T-Shirt gedruckt hatte.
Ich wußte nicht wie ich vorgehen sollte und so tat ich nichts. Die Gespräche mit meinen Nachbarn flachten ab. Alle äußerten sich besorgt, aber niemand hatte das Gefühl, den Status quo in Frage stellen zu können. Ich begann mich zu fragen, ob wir alle einfach schwache und ausgebrannte Menschen waren, denen der nötige Kampfgeist fehlte, um „dem System die Stirn zu bieten“, wenn es darauf ankam. Wieder stellte sich heraus, dass ich falsch lag.
An dieser Stelle wandelte sichmeine Geschichte von einfach nur komplex und deprimierend zu völlig bizarr.
Eines Morgens im Juni 2021 tauchte in meinem Twitter-Feed ein Video auf, das einen Löwen zu zeigen schien, der in einer Luxusvilla auf und ab ging. Seltsam, ja. Aber noch seltsamer war, dass ich die Villa neben unserem Komplex erkannte. Das Video war vom einem Balkon unserer Wohnanlage aufgenommen worden.
Den ganzen Tag über wurde in der WhatsApp-Gruppe unseres Hauses über diesen Neuzugang in der Nachbarschaft getratscht und gelästert. Am Abend ging ich an der Villa vorbei und sah es mit eigenen Augen: über einen kleinen Zaun im zweiten Stock lugte ein sehr großer Löwe hervor. Direkt davor parkte das auffälligste Auto des Landes. Ein Lamborghini Aventador SVJ, mit einem Listenpreis von mehr als 500.000 Dollar und einer Limitierung auf 900 jemals gebaute Einheiten, in einer knalligen Metallic-Lackierung mit Perlglanz.
Fast jeder Kambodschaner wußte, wer der „angebliche“ Besitzer war, auch wenn man es nicht laut aussprechen konnte. Ein berüchtigter Playboy und Verwandter des Premierministers. Abgesehen von seiner dokumentierten Vorliebe für Gewalt, Drogenhandel und Betrügereien im großen Stil, war er ein bekannter Liebhaber von Wildtieren und Autos. Im Grundbuch der Villa stand zufällig auch ein Mitglied der königlichen Familie. Die Indizien waren erdrückend. Dies war ziemlich sicher sein Löwe.
So wie die Gespräche über unsere Vermieter gelaufen waren, erwartete ich eine gedämpfte Reaktion von unseren Nachbarn.
Doch unser Gruppenchat ging über vor Nachrichten. „Das arme Tier! Es gehört in die Wildnis!“ „Was für eine unverschämte Gesetzlosigkeit, so etwas zuzulassen!“ „Was wenn es seinen Besitzer tötet?“ „Was, wenn es ausbricht? Das ist nicht sicher für unsere Kinder!“
Innerhalb eines Tages hatte jemand aus unserem Haus einen Freund bei der größten NGO für die Rettung von Wildtieren im Land ausfindig gemacht und sich für ein schnelles Handeln eingesetzt. Am Ende des nächsten Tages war der Löwe verschwunden und die staatlichen Zeitungen berichteten, dass der Besitzer, „ein Chinese“, zu einer Geldstrafe von 30.000 Dollar verurteilt worden war. Ein Triumph.
Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Zwei Tage später gab der Premierminister offiziell bekannt, dass der Löwe nicht fraß, weil „er seinen Besitzer vermisste“. Er beschloss aus Mitgefühl, den Löwen an „den Chinesen“ zurückzugeben, unter der Bedingung, dass er in einem „angemessenen Käfig” gehalten würde. Die Strafe von 30.000 Dollar wurde großzügigerweise zurückerstattet.
Die Empörung in Romdoul Bopha war groß. Natürlich wurde kein Käfig gebaut, und der Löwe entkam ein paar Wochen später. Der Premier- minister meldete sich erneut zu Wort und erklärte, dass der Löwe, sollte er erneut entkommen, für immer eingefangen werden würde. Ein paar Wochen später entkam er erneut. Es geschah nichts, und diesmal gab es keinen Kommentar des Premierministers.
Doch wir Romdoulaner kämpften weiter. Das ging fast drei Monate lang so, und es schien, als hätten wir verloren.
Dann, eines Tages, verschwand der Löwe und kehrte nicht mehr zurück. Einfach so war es vorbei. Diese Gruppe sanftmütiger Technokraten hatte außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs gehandelt, sich gegen die mächtigste Person des Landes gestellt und auf eine sehr leise und begrenzte Weise gewonnen. Die Nachbarschaft ist durch uns sicherer geworden.
Da standen wir nun und freuten uns über die siegreiche Vertreibung des Löwen aus dem Garten unseres Nachbarn, während unser eigener Vermieter unsere Mietschecks nutzte, um die Vertreibung von Dorfbewohnern 60 Kilometer nördlich zu erzwingen.
Ich war zunehmend angewidert von meiner stillen Komplizenschaft und ich wollte unbedingt etwas tun. Ich verfasste gemeinsam mit einigen Leitern lokaler NGOs eine Erklärung, um vor einer neuen Welle des Menschenhandels zu warnen.
Während der Pandemie wurden zehntausende Ausländer durch betrügerische Anzeigen in den sozialen Medien nach Kambodscha gelockt und gegen ihren Willen in militarisierten Einrichtungen festgehalten. Diese Lager waren nicht im Dschungel versteckt. Vielmehr befanden sie sich in ehemaligen Kasinos, Hotels und Wohnkomplexen im Zentrum der größten Städte Kambodschas. Aus öffentlichen Aufzeichnungen ging klar hervor, dass sie einflussreichen Mitgliedern der Regierungspartei gehörten – Senatoren, Ministern, Beratern des Premierministers und ja, auch dem Löwenbesitzer. Ausgeklügelte kriminelle Netzwerke, von der herrschenden Elite geschützt, zwangen inhaftierte Arbeiter, Cyberbetrügereien gegen naive reiche Menschen in aller Welt zu verüben. Die Arbeiter in den Lagern nahmen jeweils Hunderte von Dollar pro Tag ein und so wurde dies schnell zu einem 12-Milliarden-Dollar-Geschäft pro Jahr – mit Abstand die größte Industrie in Kambodscha.
Aktivisten, die gegen diese staatlich organisierte Kriminalität vorgingen, wurden angefeindet. Die aktive Überwachung und Einschüchterung der wenigen Gruppen, die sich mit diesem Thema befassten, nahm rasch zu.
Die internationalen „Partner“ wussten über die Situation Bescheid, aber keine der anderen großen ausländischen NGOs war bereit, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen, da man keine Unruhe stiften wollte. Trotz der Beweise leugnete die offizielle kambodschanische Regierung die Existenz der kriminellen Industrie. Ich fühlte mich gezwungen, diese unausgesprochenen, aber klaren Grenzen zu überschreiten, und war stolz darauf, dass meine Organisation bereit war, mich dabei zu unterstützen. Ich hoffte, vielleicht zu idealistisch, dass wir unser gewaltiges Megaphon und meinen allmächtigen US-Pass nutzen könnten, um uns wirklich auf die Seite der Schwachen zu stellen.
Das war keine Verurteilung. Er bestätigte mir, das Richtige getan zu haben, etwas Ungewöhnliches für jemanden in meiner Situation. Solche abstrakten „Gesten“ sind jedoch kaum eine echte Solidarität.
Wir ließen die Milch im Kühlschrank und unsere Katzen bei einem Freund. Es waren ja schließlich nur ein paar Tage. Im Ausland dachte ich nur an das Team und die Partner, die ich zurückgelassen hatte, an diese mutigen Leute, die noch immer unter ständiger Überwachung und Einschüchterung standen. Ich hatte für diesen Kampf gekämpft und sehnte mich danach, wieder dabei zu sein. War dies der Moment, in dem ich die bloßen Gesten der Solidarität hinter mir lassen und zum ersten Mal so etwas wie ein echtes Risiko im Namen derer eingehen sollte, die ich inzwischen lieb gewonnen hatte? War ich ihnen nicht wenigstens das schuldig? War dies nicht endlich meine Chance, wirklich etwas zu bewirken?
Andererseits, wem wollte ich etwas vormachen? Ich war und bin ein Entwicklungshelfer aus dem Westen und mein Vertrag lief in ein paar Monaten aus – sollte ich dafür wirklich mein Leben und meine Freiheit riskieren?
Die Lage beruhigte sich nie, und die Vorhersage meines Freundes bewahrheitet sich.
Ein paar gut platzierte leise Drohungen und Einflüsterungen, höchstwahrscheinlich nur Bluffs. Aber wer kann das schon sagen? Und nein, ich bin nicht „einfach gegangen“. Letztendlich urteilten meine Arbeitgeber, dass sie „kein volles Vertrauen in die Sicherheit von Jacobs Rückkehr nach Kambodscha haben können“, und nahmen mir damit gnädigerweise die endgültige Entscheidung ab.
Nun sitze und tippe ich in einer hippen Kaffeebar in Bangkok – weit weg vom Staub und Fett meiner geliebten Lone Pine Burritos und noch weiter weg von den Menschen, für die ich um die Welt gereist bin.
Fast über Nacht und ohne wirklichen Verdienst wurde ich vom „Expat-Programmleiter“ zum „Expertenberater“. Jetzt gehöre ich zu der Sorte Mensch, die im Economist oder in der New York Times zitiert wird, weil ich mittelgroße globale Nachrichten mit meiner praktischen Erfahrung bereichere. Ich bin derjenige, der Meinungsäußerungen und Podcasts verfasst und mein „Kontextwissen“ und „Fachwissen“ auf Podiumsdiskussionen und in Workshops in schicken Hotels zum Einsatz bringt. Ungeachtet meiner Bedenken und Indiskretionen habe ich immer noch einen Platz in dieser Hilfsindustrie. Mein Widerstand gegen das System ist lediglich Teil seiner Aufrechterhaltung – und meiner eigenen.
Als sich meine Zeit in Kambodscha dem Ende zuneigte, war die Lage vor Ort nicht nur düster. Einige mutige kambodschanische Menschenrechtsverteidiger wurden vorübergehend in Schutz genommen. Mein Freund, der wortgewandte einheimische Journalist, wurde zu Recht mit einigen prestigeträchtigen Auszeichnungen geehrt. Und ich bete, dass diese es seiner Regierung schwerer machen „hinter ihm her zu sein“. Einige Opfer von Zwangsarbeit sind heute dank meines mutigen lokalen Teams und unserer Partner frei. Einige Ausbeuter werden jetzt vielleicht etwas weniger dreist agieren.
Ich fürchte jedoch, dass auch dies schnell in der dicken, dunstigen kambodschanischen Sonne verschwinden wird, wenn eine neue Generation von Fachleuten ankommt und nur das sieht, was sie sehen will. Einen Ort wirklich zu sehen, ist ein Unterfangen, für das man ein Leben lang braucht – und es gibt nur wenige in meiner Welt, die bereit sind, ihr Leben dafür zu geben.
Was mich betrifft, der ich hier sicher und etwas desillusioniert sitze, so bin ich zum millionsten Mal beschämt über den Abstand zwischen meinen Idealen und meinem Handeln. Ich trage immer noch billige Kleidung, die wahrscheinlich in Ausbeutungsbetrieben von denselben Sklaven hergestellt wird, für deren Schutz ich den Globus umrundet habe. Ich schenke meinem verdammten Telefon mit dem Kobalt-Akku, der von Kinderarbeitern im Kongo abgebaut wird, immer noch häufig mehr Aufmerksamkeit als meinem eigenen kostbaren, kleinen Mädchen. Ich erfreue mich immer noch an der Sicherheit meines Privateigentums in den USA, an meinem Gehaltsscheck, an meinen (jetzt nicht mehr eingefrorenen) Bankkonten, die ein Leben in unverdientem Komfort inmitten einer leidenden Welt versprechen.
Meine Augen sind offen. Ich sehe diese Dinge und ich weiß um sie. Ich bin immer noch auf der Suche, will mich ändern. Ich frage mich, was „anders werden“ für jemanden wie mich bedeuten könnte, der sich davor fürchtet, blind durch ein inkohärentes Leben zu stolpern. Ich denke wieder an meinen Freund, der sagt: „Wenn sie dir drohen, kannst du gehen, wir aber bleiben.“
Ich denke an Kem Ley, der niedergeschossen wurde, und an diejenigen, die weiterhin dafür leiden, dass sie nicht bereit sind, angesichts schwerer Unterdrückung zu schweigen.
Ich denke an einen anderen Mann, der einmal sagte: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden“ (Lk 9,24), und dass der Schlüssel zum Verständnis dieses Paradoxons die Liebe ist.
Liebe kann nicht in philosophischen Abstraktionen oder vertraglichen Vereinbarungen existieren. Sie kann nicht in mächtigen Institutionen oder anderen Makroformen sozialer Organisation existieren. Vielmehr ist
Liebe etwas Persönliches und Einzigartiges. Liebe zeigt sich durch Langlebigkeit und Engagement und die Bereitschaft, unsere Wünsche für das Wohl eines anderen zu opfern.
Dieser radikale Akt kann uns unseren Komfort, unsere Sicherheit, ja sogar unser Leben kosten. Doch sobald wir beginnen, unsere Augen in Liebe zu öffnen, können wir nicht anders, als zu erkennen, dass die Freiheit tatsächlichen Sehens und Wahrnehmens jede Alternative weit übertrifft.