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Gefängnis als Reparatur
Nicht alles lässt sich reparieren. Versuchen sollten wir es dennoch.
von Carlo Gébler
Donnerstag, 6. Juni 2024
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Reparatur. Etwas ist kaputt. Dann wird es repariert. Und dann ist es „so gut wie neu.“ Wie kann das Kaputte wieder zu dem werden, was es vorher war? Diese Frage hat mich immer beschäftigt, aber nicht annähernd so sehr wie die Behauptung, dass das Kaputte nach der Reparatur manchmal sogar noch besser war. In der Schule erklärten mir die Lehrer, dass ein gebrochener und wieder zusammengewachsener Knochen stärker wäre als zuvor. Sie erzählten auch eine Menge anderen Unsinn. Natürlich glaubte ich ihnen. Sie waren groß, ich war klein.
Ich hatte keine Ahnung, dass ihre Rhetorik nicht unschuldig war. Sie meinten es sicher gut. Sie wussten allerdings, was unausweichlich auf uns alle zukommen würde – der Tod. Und sie wussten, was der Tod, dieser große unsägliche Schrecken, ist: der furchtbare Höhepunkt irreparabler körperlicher Pannen. Deshalb betonten die Erwachsenen meiner Kindheit die Effizienz von Reparaturen so sehr. Ihr Motto: alles nur nicht der Tod; und ihre Lobeshymnen auf die Reparatur dienten gleichermaßen ihrer Aufmunterung wie meiner Indoktrinierung.
Was in der Grundschule begonnen hatten, wurde in der Pubertät weitergeführt. Die Zeitungen, die ich las, die Sendungen, die ich im Fernsehen sah, die Berichte, die ich im Radio hörte, und die Lehrer, die meine Ausbildung fortsetzten, erzählten mir alle die gleiche Geschichte: In dem Land, in dem ich lebte, in Großbritannien, wurde die Reparaturen fortgesetzt und führten zu einem langsamen aber stetigen Fortschritt. Und das war schon immer so gewesen. Trotz gelegentlicher Rückschläge (die am Ende stets korrigiert wurden) ging es immer nur in eine Richtung: nämlich aufwärts. Als ich 1979 mit 25 Jahren zu arbeiten begann, waren diese Überzeugungen tief in mir verankert: Das Leben war nicht immer einfach, aber nichts blieb zerbrochen; alles wurde schließlich repariert. Das könnte man als Optimismus bezeichnen, und in meinem frühen Erwachsenenalter wäre ich wahrscheinlich als Optimist bezeichnet worden.
Dabei hätten mich die Erfahrungen, die ich in meinem Elternhaus gemacht habe, eines Besseren belehren müssen. Während meiner Kindheit und frühen Jugend gab es nur wenige Gespräche zwischen mir und meinem Vater. Aber ich war ein eifriger Lauscher und schnappte einige Dinge aus seiner Biografie auf. Ich erfuhr, dass sein eigener Vater, Adolf, von 1914 bis 1919 als feindlicher Ausländer inhaftiert war – ein Tscheche mit österreichisch-ungarischen Papieren, der im Ersten Weltkrieg auf der falschen Seite stand. Kurz nach Adolfs Verhaftung in Dublin wurde mein Vater geboren, und so hatte er seine Mutter für die nächsten fünf Jahre ganz für sich allein. Als Adolf 1919 endlich nach Dublin zurückkehrte, war sein fünfjähriger Sohn, mein Vater, entsetzt. Er schaffte es nie eine Beziehung zu seinem Vater aufzubauen. Und ich glaube, deshalb hatten mein Vater und ich auch nie eine richtige Bindung zueinander. Wir wissen, dass sich Störungen über Generationen hinweg vererben. Viele Dinge haben meinem Vater Schaden zugefügt, aber das Schlimmste war, dass sein Vater im Gefängnis saß.
Als ich in den neunziger Jahren gefragt wurde, in nordirischen Gefängnissen kreatives Schreiben zu unterrichten, wusste ich, dass ich es tun musste. Indem ich mit Gefangenen arbeitete, konnte ich Vätern helfen, ihre zerrütteten, zerbrochenen oder abgeflauten Beziehungen zu ihren Söhnen zu reparieren – da ist das Wort wieder. Ich dachte auch an die Töchter, Ehefrauen und Mütter, aber im Grunde entsprang der Impuls meiner eigenen Familiengeschichte. Als Gefängnislehrer würde ich den Schaden reparieren, den das Gefängnis der Vater-Sohn-Beziehung angetan hat. Heute ist mir klar, dass dies ein Wunschdenken war: wenn ich das Leben anderer reparieren könnte, würde das irgendwie auch mein eigenes Leben in Ordnung bringen.
Ich unterrichte seit 1995 Gefangene. Derzeit arbeite ich für die Prison Arts Foundation, eine in Belfast ansässige Wohltätigkeitsorganisation. Viele Gefängnisse bieten Kurse für kreatives Schreiben an, weil man davon ausgeht, dass diese Art des Selbstausdrucks Reparaturprozesse auslöst, oder, um es im Fachjargon zu sagen, „die Rehabilitation fördert.“ Und es herrscht wahrlich Bedarf an Wiedergutmachung. Wie ich aus den Gesprächen mit den Gefangenen erfuhr – und anders als allgemein angenommen sind diese viel eher Wahrheitsverkünder als Täuscher –, hatten sie viel Katastrophales verursacht. Abgesehen von den furchtbaren Brüchen im Leben ihrer eigenen Familien, richteten sie viel Schaden durch ihre Straftaten an: geraubte Menschenleben, traumatisierte Opfer, zerstörte Unternehmen. Und auch wenn sie dafür bestraft worden waren, die Konsequenzen ihrer Straftaten blieben größtenteils bestehen. Auch die Gefangenen selbst, die ausnahmslos Leben geführt hatten, die einer Reparatur bedurft hätten, wurden selten oder nie „repariert.“
Wenn man Menschen in so einem Zustand lässt, ist es nicht verwunderlich, dass es zu einer Katastrophe kommt. Nach landläufiger Meinung rehabilitiert das Gefängnis die Insassen. Die Rückfallquoten sprechen jedoch eine andere Sprache. Wenn das Gefängnis so brillant ist, warum werden dann so viele entlassene Häftlinge erneut straffällig? Viele Menschen meinen, dass strengere Strafen Entlassene davon abhalten würden, rückfällig zu werden. Aber in achtundzwanzig Jahren habe ich noch keinen einzigen Gefangenen behaupten gehört, dass er durch seine Strafe ein besser Menschen geworden sei. Niemand hat je zu mir gesagt: „Das Leiden hat mich besser gemacht.“ Im Gegenteil: „Das Leiden hat mich schlechter gemacht. Es hat mich dazu gebracht, gegen das System aufzubegehren.“ Ich habe jedoch erfahren, dass Freundlichkeit, Toleranz und menschliche Behandlung am Beginn der Veränderung standen. Der aufmerksame Leser könnte nun denken: Wie erklärt der Autor, der so sehr an die Reparatur durch Erziehung glaubt, sein Versagen, die Rückfallquote zu verringern? Schließlich scheint er mit diesem kreativen Schreiben nicht viel erreicht zu haben? Es stimmt, ich habe nicht viel erreicht, aber nicht, weil es mir an gutem Willen gefehlt hätte. Solange sich ein Gefängnissystem nicht mit ganzem Herzen der Resozialisierung verschreibt, anstatt sich hauptsächlich auf die Verhängung von Strafen zu konzentrieren und nebenbei ein wenig Erziehung einzustreuen, wird sich nichts ändern. Strafe kann die seelisch Gebrochenen nicht heilen (und alle Gefangenen sind gebrochen; ja, sie haben andere verletzt, aber sie sind auch selbst verletzt). Ohne eine echte Kultur der Erneuerung werden die Gebrochenen einfach gebrochen bleiben und weiterhin andere brechen.
In jedem Leben gibt es ein einschneidendes Ereignis, vielleicht auch zwei. Unerwartet und ungeplant, nicht unbedingt eine Damaskus-Bekehrung, aber ein Moment, von dem man rückblickend erkennt, dass er ein großes Geschenk des Universums war. Für mich war die Arbeit im Gefängnis dieses große Ereignis, das größte Geschenk in meinem Leben nach meiner Ehe und meinen Kindern. Ich lernte dabei sehr viel. Den Gefangenen zu sagen: „Ich bin hier, um dich zu einem besseren Menschen zu machen“, resultiert in leeren Klassenzimmer. Viel besser sind Aussagen wie: „Das ist es, was ich zu bieten habe. Ihr könnt es annehmen oder lassen – es liegt ganz bei euch.“ Indem keine Erwartungen auf den Gefangenen lasteten und kein Druck eine bestimmte Leistung zu erbringen, waren sie frei sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Durch diese Freiheit bewegte sich manchmal etwas; irgendein Aspekt des inneren Lebens der Gefangenen wurde durch das Lesen oder Schreiben zum Besseren verändert. Manchmal geschah auch nichts. Aber die Art von Erneuerung, die durch diese Kurse zustande kam – organisch und ungezwungen – ist meiner Erfahrung nach die beste Art.
Nicht ganz ein halbes Jahrhundert später ist der fünfundzwanzigjährige Optimist zum Pessimisten geworden. Die Ansichten und Gewissheiten, die ich einst vertrat – dass nichts zerbrochen bleibt, dass alles schließlich repariert wird – werden von dem Neunundsechzigjährigen, der dies schreibt, nicht geteilt. Ich bin entsetzt und beunruhigt über das, was ich um mich herum sehe. Wohin ich auch blicke, sehe ich die Notwendigkeit für Reparatur. Das Ausmaß überwältigt mich. Und wenn ich mich erst einmal überwältigt fühle, dauert es nicht lange, bis ich in Panik gerate und gelähmt bin. Beim Grübeln über unsere riesigen Probleme komme ich immer an einen Punkt, an dem ich merke dass ich nicht mehr funktionieren werde, wenn ich mich weiter abmühe und ärgere. Also erinnere ich mich daran, dass ich mich an das erinnern muss, was ich im Gefängnis gelernt habe, wenn ich etwas ändern will. Ich muss die Vorstellung aufgeben, effektiv zu sein und Ergebnisse zu erzielen. Stattdessen muss ich mich einfach auf das Schreiben und Lehren konzentrieren, in der Hoffnung (aber nicht in der Erwartung), dass es zu einer Veränderung kommt. Ich kann nicht garantieren, dass sie kommt, und ich kann sie nicht erzwingen.
Ich denke oft an die letzten Passagen von George Eliots „Middlemarch“: Dorotheas hart erkämpfte Einsicht, „dass das wachsende Wohl der Welt zum Teil von unhistorischen Taten abhängt“ und dass mindestens die Hälfte des Guten, das entsteht, von denen kommt, „die treu ein verborgenes Leben führten.“ Man kann eine Schriftstellerin nur bewundern, die keine unbescheidenen und absurden Behauptungen aufstellt; sie gibt zu, dass die Arbeit der im Verborgenen lebenden Menschen nur die Hälfte der Aufgabe erfüllt. Eliot weiß, dass Aktivisten Teil des Bildes sind, aber sie schreibt hier für jene, zu denen ich mich und meine Studenten zähle. Ich würde gerne glauben, dass mein Unterricht im Gefängnis „unhistorisch“ im Sinne Eliots ist: unaufdringlich und unscheinbar, einfache Arbeit, die ordentlich erledigt wird, ohne offenkundige Agenda. Ich schreibe so gut ich kann; ich lehre so gut ich kann. Und irgendwo da draußen im Universum – ungeplant, unvorhergesehen – geschieht Heilung, aber nicht auf Grund meines Tuns. Sie geschieht einfach.