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Der geheilte Boden
Eine wiederhergestellte Landschaft ist mehr als sie war, sie trägt die Spuren von Schäden und Reparatur.
von Adam Nicolson
Donnerstag, 18. April 2024
Verfügbare Sprachen: English
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Wenn ich zu hause in Sussex aus dem Fenster schaue, über die Wälder und Weiden der Farm, auf der ich lebe, fällt mir jeden Morgen ein Wort ein: RENOVIEREN. Diesen Ort wiederherstellen. Ausbessern. Den Schaden wieder rückgängig machen, der der englischen Landschaft im späten 20. Jahrhundert zugefügt wurde, als sich eine schreckliche Litanei der Beseitigung und Redu-zierung, des Ignorierens der Vergangenheit und des Aufzwingens einer chemischen Gegenwart entfaltete. Die einzige Pflicht gegenüber einem Ort wie diesem muss es sein, ihn neu zu beleben, ihn gut zu machen, das zu tun, was die Welt zu erkennen beginnt – dass das Rückgängigmachen genauso wichtig ist wie das Tun, dass das Nichtstun so gesund sein kann wie das Verändern, dass die halb vergessene Vergangen-heit viele Antworten bereithalten kann.
Als ich neulich eine alte, schöne Schale fand, die vor Jahren zerbrochen und in Stücken in einem Schrank aufbewahrt worden war, beschloss ich, sie zu reparieren. Meine Frau hatte sie von einer anderen gekauft, die Gegenstände aus dem Iran importierte. Die Schale spiegelte den ganzen Reiz dieses Landes wider: eine klare Form, breit und voll, fast, aber nicht ganz eine Halbkugel, etwa zwanzig Zentimeter im Durchmesser. Repariert, wäre sie groß genug für fünf bis sechs Orangen oder Granatäpfel. Sie war über und über mit der leuchtend türkisen Glasur von Isfahan überzogen, einer Farbe, die für Fliesen in den Becken persischer Gärten verwendet wird, um den Glanz des Meeres oder des Wassers eines klaren Flusses zu imitieren.
Die Schale war in acht Teile zerbrochen, und die Bruchstücke offenbarten an ihren Rändern den reinen weißen Tonkörper, aus dem sie geformt war. Langsam fügte ich die Scherben wieder zusammen und fand in den leichten Ausbuchtungen und Wellen der gebrochenen Ränder ihre Gegenstücke. Das erfüllte mich mit einem seltsamen Glücksgefühl. Ich hatte es nicht eilig, fertig zu werden. Das gebrochene Gefäß begann heil zu werden.
Am Ende fehlte ein winziges, fast dreieckiges Stück. Bruchlinien verliefen zu dessen Ecken und trafen dort aufeinander, wie die Gassen auf einem Marktplatz in einer mittelalterlichen Stadt, und hinterließen ein dreieckiges Loch. Ich sah in dem Schrank nach, in dem die Stücke aufbewahrt worden waren, konnte aber nichts finden. Diese wunderbare Schale würde nie wieder eine Suppe oder einen Eintopf fassen können. Obst konnte darin Platz finden, aber keine Flüssigkeit. So stellte ich sie auf die Fensterbank, drehte ihren Makel nach hinten, und so, perfekt anmutend, ließ ich sie stehen.
Jetzt aber begann ich, mehr über diese Schale und ihr fehlendes Dreieck nachzusinnen, und darüber, wie sie die Neugestaltung einer Landschaft widerspiegeln könnte. Die Lücke in der Schale verändert sie. Es ist dieselbe Schale und doch nicht dieselbe Schale, die sie vorher war. Sie verkörpert nun einen Teil ihrer Geschichte mit uns. Zusätzlich zu all ihren alltäglichen und gewöhnlichen Qualitäten, ihrem wunderschönen türkisen Farbton, ihrer vollendeten runden Form, hat sie nun ihre Geschichte des Verwendet-Werdens, des Zerbrechens und Flickens, des Fallengelassen-Werdens, des in Vergessenheit Geratens und dann des Geschätztseins. In ihrem wiederhergestellten Zustand ist sie auf gewisse Weise, vielleicht nur für mich, den Urheber ihrer Wiederherstellung, wertvoller als zuvor.
Das Reparieren, und insbesondere das unvollständige Reparieren dieser Art, verleiht materiellen Gegenständen eine Qualität, die nicht ganz Eigentum ist, sondern eher eine Vermischung unserer Identität mit der des Gegenstandes. In der Schale steckt jetzt etwas von uns, so als ob die Schale etwas von unserem Leben übernommen hätte.
Der große französischen Philosoph Henri Bergson definierte eine „gute Existenz“ als eine, die im ständigen Werden des Lebens aufgeht: „Existieren heißt, sich zu verändern, sich zu verändern heißt, zu reifen, zu reifen heißt, sich endlos weiter zu erschaffen.“ Dieser Gedanke zieht sich durch alle Kulturen und die gesamte Menschheitsgeschichte. Die Zen-Buddhisten, die Erbauer der großen gotischen Kathedralen in Europa, die ersten griechischen Philosophen an den Ufern der Ägäis, die modernen Physiker und die Dichter der Romantik haben alle die zentrale Bedeutung des Werdens verstanden. Nichts ist im Wesentlichen es selbst. Alles ist immer auf dem Weg von einem Zustand zum anderen. Die Identität, einer Schale oder einer Person oder eines Wesens oder eines Gebäudes oder eines Ortes, ist nur die Form, die der Fluss der materiellen Welt gerade durchläuft. Diese „Flut-in-der-Zeit“ ist der Fluss, in dem wir schwimmen, und das Wiederherstellen, diese Liebe zum Reparieren, ist ein bewusst gesetzter Akt des Schwimmens, das die Vergangenheit in die Gegenwart und in die Zukunft hinein verlängert, nicht um den Lauf der Zeit zu leugnen, sondern um diesen Lauf explizit zu machen, um zu zeigen, dass wir in dieser Veränderung leben und um unsere eigene Existenz mit Bergsons „ewigem Werden“ in Einklang zu bringen. Die wiederhergestellte Schale war ein Gegenstand, der jetzt ein anderer geworden ist und der mit der Zeit, so wie wir, sich weiter verändern wird. Diese Ausdehnung der Zeit ist die Schönheit der Reparatur, und nirgendwo ist sie so anschaulich wie in der uns umgebenden Landschaft. Wir befinden uns in einer Polykrise der Natur, des Klimas, der Gesellschaft, des Glaubens, der Regierungsführung und sogar der Sprache. Wie sollen wir in einer Welt sprechen, die bis zur Unkommunizierbarkeit ausfranst? Wie verbinden wir das, was wir waren, mit dem, was wir sein könnten?
Ein Weg ist sicherlich das Erneuern, das diejenigen, die die Landschaft, vor allem die vormoderne Agrarlandschaft, gepflegt haben, immer als zentral für ihr Leben verstanden haben. Die uralte Praxis der Landwirtschaft, die wachsende Welt nach unseren Bedürfnissen zu gestalten, beruht auf fünf miteinander verbundenen Erkenntnissen: Dinge gehen kaputt und verfallen; in diesem Zerfall liegt etwas Gutes; einmal repariert, werden die Dinge wieder wachsen; Reparieren ist eine Form der Zugehörigkeit; und ein wiederhergestellter Ort trägt das Zeichen seines (oft wiederholten) Zerbrechens.
Die moderne zerstörerische Landwirtschaft, die nach 1945 von der chemischen Industrie vorangetrieben wurde, gab diese fünfteilige Vision von Zugehörigkeit, Herstellung und Wiederherstellung auf und ersetzte sie durch ein einseitiges Evangelium der Dominanz. Die Pflege von Orten wurde im Wesentlichen einheitlich und von der Zeit abgekoppelt: Man rodet den Boden, um alle pflanzlichen Konkurrenten wie etwa Unkraut auszuschließen, säubert ihn und gewinnt so viel Wert wie möglich. Das Prinzip des zyklischen „Mend-and-Grow“ wurde zugunsten des „Spray-and-Run“ aufgegeben.
Das antike landwirtschaftliche Prinzip gleicht dem Lebensrythmus der Vögel. Auf das Wesentliche reduziert, sieht dieser so aus: ein Revier finden, sich paaren, die Jungen aufziehen, bis sie ihr eigenes Leben führen, und sich dann zurückziehen und erholen. Im Spätsommer verstummen in England fast alle Vögel. Sie haben den Stress der Aufzucht ihrer Brut hinter sich. Ihre Körper sind erschöpft, ihr Gefieder zerrissen und ausgefranst. In der Stille und Dunkelheit eines Dornengestrüpps oder in den Tiefen eines Waldes repariert sich ihr Körper selbst. Im Inneren schrumpfen die Fortpflanzungsorgane. Selbst jener Teil des Gehirns schrumpft, der für das Singen der Lieder zuständig ist, mit denen die Vögel ihre Reviere abstecken und ihre Partner anlocken. Die Vögel mausern ihre alten Federn und neue sprießen an ihrer Stelle, eine nach der anderen.
Für uns Kulturwesen gibt es noch eine weitere Dimension. Wir können uns dafür entscheiden, uns selbst und unsere Welt zu reparieren. Warum sollten wir das tun? Nicht nur, weil unsere Interessen biologisch mit denen der Pflanzen und Tiere verbunden sind, die wir in den letzten achtzig Jahren fleißig zerstört haben, sondern weil der Akt der Erinnerung, den die Reparatur darstellt, für unser eigenes Glück wesentlich ist. Der Verlust der Erinnerung ist der Verlust des Sinns, und das Reparieren ist eine der Leuchten der Erinnerung, die den Weg aus der Vergangenheit in die Zukunft erhellt.
Als John Ruskin über Architektur schrieb, meinte er, dass der „größte Ruhm eines Gebäudes weder in seinen Steinen noch in seinem Gold liegt. Sein Ruhm liegt in seinem Alter und in jenem tiefen Gefühl der Stimmhaftigkeit, des strengen Wachens, des geheimnisvollen Mitgefühls, ja sogar der Billigung oder Verurteilung, das wir in Mauern spüren, die seit langem von den vorbeiziehenden Wellen der Menschheit umspült worden sind.“1
Wenn ein Ort lange von Menschenhand bearbeitet wurde, ist er voll von der Komplexität und dem Wirrwarr tausender menschlicher Entscheidungen. Klugheit und Dummheit haben beide ihren Teil dazu beigetragen. Eine bewirtschaftete Landschaft ist, sofern sie nicht durch moderne Zwänge geklärt wurde, ein Modell für das Auskommen, für ein Tor, das vielleicht an der falschen Stelle steht, aber trotzdem funktioniert, für einen Baum, der über seine Hecke hinausgewachsen ist, für eine Weide, die wegen durchbrechender Quellen verschilft.
Der Verlust der Erinnerung, ist der Verlust des Sinns und das Reparieren ist eine der Leuchten der Erinnerung.
Eine solche Landschaft ist noch kein Kunstwerk. Sie ist ein kompliziertes Geflecht aus vergangenen Leben, in dem Mensch und Natur seit langem miteinander verflochten sind. Sie wiederherzustellen bedeutet nicht, sie zu verlassen oder zu verwildern, sondern in gewisser Weise das Gegenteil: sie zu rekultivieren, den alten Verbindungen zwischen menschlicher Nutzung und tierischem und pflanzlichem Leben zu erlauben, sich auf eine Weise zu erneuern, die hier mindestens ein halbes Jahrtausend lang bestand, bevor die Heuschreckenjahre des zwanzigsten Jahrhunderts hereinbrachen. Ich befinde mich mitten in einem langen Prozess der Reparatur, um diesen Ort in seine historische Form zurückwachsen zu lassen. Aber was bedeutet Reparatur im landschaftlichen Sinne? Es ist die Beseitigung jener Einflüsse, die eine Selbsterneuerung verhindern. Die Reparatur lebt an einem zweideutigen Ort, der Eingriffe mit dem Fehlen von Eingriffen verbindet und einen Rahmen für ein natürliches Leben bietet. Sie ist voller Flickstellen, und es gibt viele fehlende Dreiecke, in denen menschliche Intention nicht die Oberhand hat. Jetzt ist die Farm noch ein wenig kahl, ein wenig leblos. Meine Vision, wie der Hof werden könnte, auch lange nachdem ich tot bin: voller Dickichte, Hecken, die sich ausbreiten dürfen; kleine Wäldchen an steilen Hängen; kein Feld größer als ein Hektar; grüne Wege, die die Landschaft durchziehen. Und inmitten all dessen werden die Rinder und Schafe ihr Zuhause finden, ebenso die Nachtigallen und Turteltauben und die Menschen, die das Glück haben, ihn ihr Heim zu nennen.
Fußnoten
- Übersetzt aus dem Kapitel „The Lamp of Memory“ in John Ruskins Seven Lamps of Architecture, Works VIII (233–4).