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Waldschule
Wir waren schwererziehbare Zweitklässler – bis unser Lehrer den Unterricht in den Wald verlegte.
von Maureen Swinger
Donnerstag, 15. August 2024
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Mein erstes Schuljahr roch nach Zigaretten. Das Klassenzimmer war ein Rechteck – vorne rechts die amerikanische Flagge, vorne links ein Fenster (Ich teile rechts und links immer noch in Flagge und Fenster ein). Meistens sah ich nach links. Im Efeu des Nachbargebäudes befand sich ein Schwalbennest. Die Lehrerin war etwas genervt von linkshändigen Kindern. Das sind meine Erinnerungen, wenn mein Erstklässler mich fragt, wie die erste Klasse war. Aber die zweite Klasse verbrachte ich fast ausschließlich in Piney Woods. „Wo ist das? Ist das ein Ort aus einem Märchen?“ Hm, eigentlich schon, mein Kind. Und so geht die Geschichte:
In den Allegheny Mountains in Pennsylvania, am Rande einer Lichtung auf einem Hügel des New Meadow Run Bruderhofs, pflanzte jemand vor langer Zeit weiße Kiefern in langen, geraden Reihen. Ich habe keine Ahnung, welchen Zweck sie erfüllten, aber für ein Kind, dessen Familie gerade aus einem überfüllten Haus in einer hektischen Stadt weggezogen war, bedeuteten sie Freiheit. Zwischen den sonnenüberfluteten Stämmen, barfuß und lautlos über unzählige Schichten weicher Kiefernnadeln zu laufen, von Schatten zu Schatten zu huschen und heimlich zwischen den Lagern von Piraten und wilden Prinzessinnen hin und her zu springen, Baumburgen zu bauen, herabgefallene Äste für Lagerfeuer zu sammeln und darauf Stockbrot und Bratäpfel zu rösten. Wir hatten auch ein Klassenzimmer mit Wänden voller Landkarten, Vogellisten, Wettertabellen. Wir absolvierten ein volles akademisches Schuljahr. Das Lernen im Freien jedoch war viel bereichernder.
Alle Bruderhof-Schulen legen Wert auf Naturwissenschaft und praktischen Unterricht im Freien. Aber unsere Klasse setzte neue Maßstäbe, dank eines Lehrers, der wusste, was herausfordernde Kinder brauchten.
Unsere Klasse ließ einige Lehramtsstudenten an ihrer Berufung zweifeln. Mit nur 16 Kindern war die Klasse eigentlich überschaubar, aber einige von uns waren noch dabei, sich in das Gemeinschaftsleben einzufinden, kämpften mit Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten oder waren einfach von Natur aus streitlustig.
Dick Wareham war 61 Jahre alt und seine Gesundheit war nicht besonders gut. Nach Jahrzehnten des Unterrichtens gönnte er sich eine Pause. Ich weiß nicht, ob er angeboten hat, uns zu unterrichten oder ob er angefleht wurde. Aber an dem Tag, als wir oben auf der Lichtung einem großen Mann gegenüberstanden, der ein rotes Stirnband trug und eine Stoppuhr in der Hand hielt, waren wir alle still und reihten uns ein. Was auch immer vor sich ging, es sah sehr spannend aus.
Dick hatte einen Hindernisparcours angelegt, in dem er jedes von Menschenhand oder der Natur geschaffene Objekt im Umkreis eines Kilometers integriert hatte. Die Stationen waren mit kleinen Holzschildern nummeriert. Statt eines direkten Wettkampfs untereinander sollten wir gegen uns selbst antreten und im Laufe des Jahres unsere Geschwindigkeit und Beweglichkeit verbessern.
Auf die Plätze – fertig – los! Das Stahlgerüst der Schaukel rauf und runter flitzen, durch sechs offene Fenster des Pavillons springen, den steinernen Schornstein hinaufklettern und oben das Schild mit der Nummer 3 abklatschen, zur Wippe sprinten und unter dem Gerüst hindurchrollen, auf dem Schwebebalken wippen, Anlauf nehmen und über den Zaun in den Wald springen, im Slalom durch die Kiefernstämme hindurch und dann mit Vollgas am Clubhaus vorbei auf die Ziellinie zuschlittern. Jedes Mal, wenn ich diese Strecke lief, stieg eine kleine Flamme des Stolzes in mir auf, während gleichzeitig der Sauerstoffgehalt in meinem Blut sank.
Vor und hinter mir, im Minutentakt, absolvierten meine Kollegen dieselbe Strecke, strengten sich mit aller Kraft an noch schneller zu sein und mobilisierten keuchend ihre letzen Kräfte für den Anlauf am Ende, der uns mit Schwung über die Ziellinie beförderte.
Und die Anstrengungen hatten sich ausgezahlt, wie wir am Ende der Saison feststellen durften. Wir luden unsere Väter ein, die Strecke zu laufen (mit sehr unterhaltsamen Ergebnissen). Dick hatte unsere Zeiten während des Jahres aufgezeichnet und wir waren sehr erfreut zu hören, wie unsere immer besser werdenden Zeiten mit olympischer Ernsthaftigkeit verkündet wurden, während die Stoppuhr herunterlief. Jeder kleine Fortschritt wurde gefeiert und niemand musste sich Sorgen machen, den letzten Platz zu belegen, denn dieser war bereits besetzt. Der letzte Eintrag in der Tabelle lautete: „Dick W: 28 Minuten, 365 Sekunden. Vielen Dank an alle! Ihr habt alle sehr gute Zeiten aufgestellt, außer dem Letzten. Er muss noch ein bisschen in Form kommen!“
Natürlich hatten wir keine Ahnung, dass dieser große, langsame Opa, der „noch ein bisschen in Form kommen“ musste, einst zum All-Star-Basketballspieler gewählt worden war. Seine College-Mannschaft reiste durch das ganze Land und trat gegen Schulen an, die in einer anderen Liga spielten. Die Talent-Scouts beobachteten ihn, und Dick wurde ein Vertrag als Profibasketballer angeboten.
Er hätte seinem Basketballtraum folgen können. Stattdessen schlug er das Angebot aus und schrieb sich am Bethany Theological Seminary in Chicago ein, überzeugt davon, dass Gott mehr von ihm wollte als Basketball zu spielen. Doch das Seminar sah keinen Sinn darin, sein Talent zu begraben, und machte ihn zum sportlichen Leiter und Trainer der Basketballmannschaft. Gleichzeitig arbeitete er als Jugendbetreuer in der Kirche der Brüdergemeinde. Den Jugendlichen, die es sich zum Spaß machten die Gottesdienste störten, begegnete er mit Humor, einem ruhigen Glauben und Basketball.
Das wissen wir, da viele dieser ehemaligen Gottesdienststörer sich später in den 1950er Jahren der Bruderhof-Bewegung anschlossen, genau wie Dick und seine Frau Cosette, die er bei den Jugendgruppentreffen kennengelernt hatte. Einer der besten Basketballspieler des Seminars war Glenn Swinger, der später (viel später) der Großvater meines Mannes wurde.
Aber Achtjährige machen sich nicht viel daraus, was die Alten „damals“ erlebt hatten. Alles, was wir wussten, war, dass das Leben mächtig gut war. Das gemeinsame Laufen hatte uns zu einem Team geformt: Wir gerieten uns fast gar nicht mehr in die Haare und scharten uns in enger Formation um den Lehrer, während wir den steilen Hügel zu „unserer“ Lichtung hinaufliefen. Wir liebten diesen Mann, der nie seine Stimme erhob, und uns dennoch dazu brachte ihm zuzuhören.
Es war nicht vorgeschrieben, dass wir zusammenbleiben mussten, aber trödelte man hinten, erfuhr man vielleicht nicht, warum Cirrostratus-Wolken einen Halo um die Sonne erzeugen konnten und welches Wetter sie vorhersagten. Es konnte sein, dass man die Scharlachtangare verpasste, die zwischen den Stieleichen umherflog. Oder man lernte nicht, dass man jene wintergrünen Beeren essen oder diese Birkenrinde verwenden konnte, um ein Feuer zu machen, selbst wenn das Holz ein wenig feucht ist (sie enthält Öle!). Wenn in der Nacht ein Meteoritenschauer auf dem Himmelskalender stand, waren wir die einzigen, die ihre Eltern drängten, mit uns hinauszugehen und ihn anzusehen. „Perseiden was?“
Karten- und Kompasslesen, Spurensuche, Wetterbeobachtung, Kochen im Freien, guter Umgang mit den Mitmenschen – all das schien einfach zu passieren, während wir unseren Schultag absolvierten. Dennoch kann ich mich heute noch mühelos daran erinnern, während vieles, was ich in den dazwischen liegenden Jahren gelernt habe, schon lange aus meinem Gedächtnis verschwunden ist.
Die Legende besagt, dass unsere Lichtung existiert, weil ein Mann, die Vision eines kleinen Picknickplatzes zwischen den Bäumen hatte. Er gab einem örtlichen Bulldozer–Unternehmer den Auftrag, solange zu roden, bis er ihm sagen würde, damit aufzuhören. Unglücklicherweise wurde der Visionär auf eine plötzliche Reise gerufen, währenddessen der Bulldozerfahrer seine stoische Abholzung ein paar Tage zu lange fortsetzte. So entstand unsere geliebte weite Lichtung mit reichlich Spiel- und Lauffläche.
Der Wald und unsere Lichtung waren unser Stützpunkt. Von dort aus zogen wir überall hin, besuchten Nachbarn, studierten Schlachtfelder aus dem Unabhängigkeitskrieg, suchten in alten Steinbrüchen nach Fossilien und schwammen am Youghiogheny-Damm. An den Nachmittagen, an denen man frei spielen konnte, war es einem selbst überlassen, was man mit seinem Stück Wildnis anstellte. Dämme bauen, Flusskrebse fangen, etwas Unbekanntes schnitzen – Dick war es egal, solange wir ihm mitteilten, wohin wir gingen, und er uns dort finden konnte.
Er wusste immer, wo meine Freundin Liz und ich waren. In der Nähe des Baches, der unterhalb der Schule vorbeifloss, stand ein alter Apfelbaum mit einem gespaltenen Stamm und großen, flachen Ästen, einer für jeden von uns. Wir streckten uns darauf aus, einen Stapel Bücher in Reichweite. Ein windumtoster Baum ist der beste Platz, um in Geschichten von Abenteuern auf hoher See einzutauchen (und grüne Äpfel eignen sich hervorragend zur Verteidigung gegen herannahende Plünderer und als Proviant).
Der Apfelbaum steht immer noch, das Schulgebäude nicht mehr. Ich reise nicht so oft an den Ort meiner Kindheit zurück, wie ich es gerne täte.
Aber wenn ich es tue, versuche ich, nicht zu jammern: „Oh, das ist verschwunden! Das sieht jetzt anders aus!“ Ich mag es nicht, solche Klagen zu hören. Warum sollte die Zeit stehenbleiben, nur weil wir irgendwo glücklich waren? Trotzdem bin ich erleichtert, dass der alte Baum nicht abgeholzt wurde. Er sieht noch genauso aus wie früher, und ich erwarte fast, dass ein kleiner grüner Apfel durch die Blätter saust.
Piney Woods ist jedoch zu einer undurchdringliche Mauer aus verworrenem Unterholz und toten Ästen geworden. Es gibt keinen Grund, rührselig zu werden. Weißkiefern leben nicht ewig, und den Kindern dieser Bruderhof-Gemeinde wird der Platz zum Spielen nie ausgehen. Ich muss nicht mehr das Gefühl haben, dass hinter der Mauer wilde Prinzessinnen und Piraten hundert Jahre lang schlafen, wo wir nun alle erwachsen sind und selbst mit kleinen Piraten zu kämpfen haben.
Dick Wareham starb im Jahr 2001 im Alter von 76 Jahren an Krebs. In seinen letzten Tagen hatten viele von uns die Gelegenheit, ihn zu besuchen, Zeit mit ihm und Cosette zu verbringen und ihm dafür zu danken, dass er so ein besonderer Lehrer gewesen war. Die beste Hommage an ihn, die ich erlebt habe, war eine improvisierte. Später in diesem Jahr fand in New Meadow Run eine Jugendkonferenz statt. An einem Nachmittag unternahmen mehr als hundert Jugendliche aus einem Dutzend Gemeinden gemeinsam eine Wanderung über die Lichtung und am Waldrand entlang. Liz und ich fanden uns und ließen uns nach hinten treiben – nicht als Letzte, aber fast. Eine von uns, ich weiß nicht mehr wer, sagte plötzlich: „Wenn das Schild mit der Nummer drei noch da ist, klatschen wir es ab!“
Als wir zum alten Pavillon blickten, löste sich gerade jemand aus der Gruppe, kletterte den steinernen Schornstein hinauf, klopfte auf die Spitze und sprang hinunter. Ein paar Augenblicke später folgte ein anderer. Wir sahen ein Grinsen, ein Achselzucken und fragende Blicke von ihren Begleitern. Ich weiß nicht, ob sie Erklärungen bekommen haben. Als wir beim alten Pavillon ankamen, um die vertrauten abgenutzten Hand- und Fußgriffe zu finden (von denen wir nun nur die Hälfte brauchten), hatten bereits sieben andere die vertikale Pilgerreise unternommen. Soweit ich weiß, waren wir alle ehemalige Schüler Dicks.
Ich kann dem alten Wald nicht nachtrauern – er ist immer da, wenn meine Kinder mich nach meiner Kindheit fragen. Die Nachmittagssonne fällt schräg durch die langen, grünen Gänge, die Kiefernadeln sind weich unter den Füßen, die Luft riecht nach Harz, und wir lachen, als wir zu dem großen Mann mit der Stoppuhr zurücklaufen, der immer stolz auf uns ist, egal welche Zeit wir erreichen.