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    an illustration of dandelions

    Löwenzahn: eine Apologie

    Was wir vom vermeintlichen Unkraut lernen.

    von Clare Coffey

    Donnerstag, 11. Juli 2024

    Verfügbare Sprachen: español, English

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    Frühling und Sommer sind für mich seit jeher eng mit der Farbe Gelb verbunden. Zuerst treibt die Forsythie aus, deren abgeschnittene Zweige in der Wärme des Hauses zum Blühen gebracht werden können, dann blühen die wogenden Narzissen, von denen der Dichter Wordsworth schwärmte.

    Im pazifischen Nordwesten der USA beginnt die Oregon-Traube, die den Sommer mit dunklen, glänzenden, stacheligen Blättern und nützlichen, puderblauen Beeren beendet, ganz anders, nämlich mit einer Wolke aus leuchtend gelben Blüten.

    Die Forsythie blüht gelb, die Narzissen sind gelb, die Oregon-Traube blüht gelb, und die Bienen, die zwischen den Blüten umherschwirren, sind gelb gestreift. Gelb ist auch der Rahm von Kühen, wenn sie auf saftigen, üppigen Weiden grasen. Jede Woche liefert mir ein Bauer Rahm und Milch. Diese Milch hat nicht das blendende Weiß, das wir normalerweise mit einem kühlen Glas des täglich empfohlenen Vitamins D verbinden. Sie hat einen sanften, satten Goldton, als ob sich die Sonne, die die Weiden mit ihrem Licht tränkte, in der Milch spiegelt.

    Es ist diese reflektierende Eigenschaft, dieser Schatten aus Licht, der der Butterblume, einer anderen gelben Frühlingsblume, ihren Namen gibt: Halten Sie sie unter Ihr Kinn, und wenn Sie Butter mögen (so sagt man), wird sie einen schwachen Schimmer nach oben werfen. Wenn ich aus meinem wöchentlichen Rahm Butter mache, passiert in den ersten zehn Minuten nichts. Doch plötzlich tauchen gelbe Klumpen auf. Während ich mixe und mixe, dann knete und quetsche und dabei zusehe, wie sich die fetten Stücke langsam von der Flüssigkeit trennen, wird das helle Gold der Sahne stärker und reicher. Wenn ich die Buttermilch abgieße, ist es, als würde ich einen geschmolzenen Kern freilegen.

    Robert Frosts berühmte Zeile „Das erste Grün der Natur ist Gold“ ist auf viele Arten interpretiert worden: als Gedanke über Unschuld, Jugend, Hoffnung. Ich glaube ja, es geht um Butter.

    Aber anders als in Frosts ergreifendem Gedicht kommt das erste Grün der Natur im Frühling von Gold und kehrt zu Gold zurück. Die Sonne, die die Weiden nährt, die die Sahne färben, erschafft ihr eigenes Bild in den großen orange-gelben Dottern, die von den scharrenden Hühnern und schnatternden Enten zu dieser Jahreszeit im Überfluss gelegt werden. Sie ist im Kolostrum der Kühe zu finden, das die Kälber tränkt. Sie steckt in den neuen Kartoffeln, die den Winter über in der Erde geschlummert haben. Sie sprenkelt die grünen Weiden mit Blumen. Sie ist im Küken, das aus dem Ei schlüpft. Gelb ist im Frühling und Sommer allgegenwärtig, denn Gelb ist die Farbe des neuen Lebens, des Lebens in Fülle.

    Sally Winter, Time Lord, etching with aquatint

    Sally Winter, Time Lord, Radierung mit Tinte, 2022. Grafik copyright © Sally Winter. Verwendet mit Genehmigung.

    Wir begrüßen diese Fülle an Gelb zumeist voller Freude. Mit einer Ausnahme: dem Löwenzahn.

    Der Name des Löwenzahns kommt von seinem gezackten Blatt, das an Löwenzähne erinnert. Aber die ganze Pflanze hat etwas Löwenartiges: nicht nur das scharfkantige Blatt, auch die langen gelben Blütenblätter, zottelige Köpfe die sich zu Büscheln formen, und der Löwenmut, mit dem er Jahr für Jahr, obwohl ungewollt und unerwünscht, überall auf der Welt auftaucht.

    Der Löwenzahn gehört nicht zu den Schön-heiten des Sommers. Er ist ein Unkraut, ein Schädling, ein unerwünschter Eindringling. Zusammen mit der Fingerhirse ist er der größte Feind des gepflegten Rasens. Dafür gibt es einen Grund. Löwenzahn ist wegen seiner tiefen Pfahlwurzeln unglaublich widerstandsfähig und wird leicht vom Wind verbreitet. Kein Gärtner möchte, dass dieser zähe kleine Störenfriede mit einer behutsam gepflegten Gartenprinzessin konkurriert. Erst neulich sah ich einen, der ein wenig zu nahe an einer meiner Prärielilien wuchs. Ich riss ihn ohne Bedauern an der Wurzel aus und ließ ihn als Warnung für seine Freunde liegen.

    Der allgemeine Hass auf den Löwenzahn ist jedoch für gewöhnlich nicht auf seine diskreten Einfälle in bestimmte Staudenbeete zurückzu-führen. Der Löwenzahn ist im Sommer der Feind Nummer eins, weil er im Rasen auftaucht: ein Raum, der per definitionem ohne Blumenbeete und komplexe Pflege auskommt. Über das Paradoxon des amerikanischen Vorgartens ist zu Recht viel Tinte vergossen worden: wie die Pflege breiter Rasenflächen ursprünglich in Hirtengesell-schaften in feuchten Klimazonen entstand und nun in Gegenden, in denen es weder Schafe zum Weiden noch Regen zum Bewässern gibt, zu einem Statussymbol wurde; wie aus der weitläufigen, herrschaftlichen Grünfläche der kleine Garten wurde, der mit fast ebenso viel feudalem Eifer verteidigt wird.

    Die Transformation ist charmant, vielleicht sogar edelmütig: Sie entspricht dem amerikanischen Instinkt, dass alle Menschen ein Recht auf etwas Eigenes haben, etwas, das sie hegen, bebauen und vererben können, dass das Häuschen des Arbeiters genauso wichtig und würdig ist wie das Schloss des Reichen. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Instinkt in dem willkürlichen Prozess der kulturellen Verwurzelung pervertiert wurde, indem man ihn an ein unwürdiges Objekt verschwendet hat. Der Rasen ist eine trügerische Sackgasse. Er ist eine unserer am meisten bewässerten Kulturen und bringt doch nichts ein. Er kann eine penible Pflege erfordern, einen Pflegerhythmus, um den herum eine ganze männliche Persönlichkeit aufgebaut werden kann, und doch ist der Eden, den all diese Adams schaffen, meist eine grüne Einöde, eine Leerstelle. Der Rasen erfordert keine weise Harmonisierung verschiedener Lebensformen, keine wahre Herrschaft, die eines Vorstadtkönigs würdig wäre. Er bringt keinen Ertrag, weder in Farbe und Form, noch in Nahrung oder auf Ebene des Bodens. Er verlangt Wasser und einen endlosen Feldzug der Unterdrückung. Sogar als Raum für menschliche Aktivitäten ist der Rasen ein Misserfolg: Die Leute nützen viel eher den Hinterhof um Fußball zu spielen oder Abend zu essen, da die Ebenheit und Leere des Vorgartens eine unbarmherzige Exposition gegenüber der Straße schafft.

    Tricia Newell, Dandelion

    Tricia Newell, Dandelion, limitierte Edition, Radierung, 2019. Grafik copyright © Tricia Newell. Verwendet mit Genehmigung.

    Für den Löwenzahn ist in dieser angestrebten sterilen Monokultur kein Platz und das ist eine Schande. Löwenzahn ist fast mühelos zu kultivie-ren und liefert doch eine Fülle: nicht nur an Schönheit – fröhliche gelbe Mähnen, die eine fade Rasenfläche auflockern, und hauchzarte Samenköpfe, die Kindern spielerischen Wunschzauber bieten – sondern auch an Nahrung. Jeder Teil des Löwenzahns ist nützlich. Die Wurzeln können zu einem bitteren Kräuterkaffee geröstet, eingelegt, frisch wie ein Radieschen gegessen oder zu einer verdauungsfördernden Tinktur verarbeitet werden. Die Blätter dienen getrocknet als Kräutertee zur Unterstützung der Leber. Das frische Grün ist reich an Vitaminen. In jungem Zustand ist es eine zarte, würzige Alternative zum beliebteren Rucola: Man isst es als Salat mit Vinaigrette und weichgekochten Eiern. Die älteren, bittereren und härteren Blätter können mit einemSchweinebauch langsam gebraten oder gehackt zu einem Gewürz fermentiert werden.

    Der beste Teil des Löwenzahns ist meiner Meinung nach jedoch der Löwenzahnkopf. Gepflückt, entstiehlt, in Wasser eingelegt und mit wildem Honig fermentiert, wird daraus etwas Magisches: ein Löwenzahn-Met. Sprudelnde Sommerfreude und Sonnenschein in Flaschen.

    Der Nutzbarkeit des Löwenzahns hängt natürlich davon ab, ob der Rasen, der ihm als Wirt diente, mit den giftigen Herbiziden besprüht wurde, die eigens zu seiner Bekämpfung verkauft werden. Tatsächlich haben Unternehmen wie Monsanto den gegenwärtigen totalen Kriege gegen Löwenzahn weitgehend ermöglicht, indem sie innovative Produkte wie Roundup entwickelten. Diese ermöglichen es Hausbesitzern, Unkraut selektiv zu besprühen, ohne das Gras daneben zu töten. Auf der Website von Roundup wird daran erinnert, dass die Vernichtung invasiven Unkrauts (wie Löwenzahn) einen wichtiger Dienst an der Allgemeinheit darstellt: „Invasive Arten können ein Gebiet erobern und einheimische Pflanzen verdrängen, was negative ökologische Folgen haben kann. In einigen Fällen können invasive Unkräuter sogar ganze Ökosysteme bedrohen.“

    Es ist eine Ironie, dass Roundup sich als Werkzeug im Dienste der einheimischen Pflanzen positioniert hat. Denn einheimische Pflanzen werden gewöhnlich als Gegenpol zum Rasen propagiert. Reißt euren Rasen aus, lautet der Ratschlag, und pflanzt eine Wildblumenwiese, Beete mit Sträuchern und Stauden, Holunder, Aronia und Echinacea, und ihr werdet sehen, wie Falter und einheimische Bienen und alle Arten von Vögeln, Insekten und Feldmäuse sich an den Früchten eines lokalen Ökosystems erfreuen, das unter der Sommersonne gedeiht.

    Das ist ein schönes Bild, gegen das ich nichts einzuwenden habe. Es stimmt mich nur ein wenig melancholisch, dass selbst unter den Rasengegnern der nützliche, muntere und schöne Löwenzahn nur eine Randnotiz oder ein Ärgernis ist.

    Außerdem ist so ein Paradies der einheimi-schen Pflanzen mit viel Arbeit verbunden: erfolgreiches Beseitigen der Grasnarbe, Planen, Kaufen, Pflanzen, Mulchen, Unkrautjäten, Experimentieren was funktioniert und was nicht, oder Bezahlen für den Rat von Experten. Viel Arbeit. Die meisten Menschen, die einen Rasen haben, suchen jedoch nicht nach mehr Arbeit: Sie genießen die Rasenarbeit gerade deshalb, weil sie überschaubar ist.

    Diesen Menschen würde ich raten: Machen Sie einfach ein bisschen weniger. Sie können eine grüne und goldene Wiese haben, die mit der Leichtigkeit und Fülle des Sommers übersät ist, ein Fest für die Augen, den Körper und die Bienen, und das alles, indem Sie weniger arbeiten. Ist der Sommer wirklich die Zeit, um mehr Arbeit zu suchen? Nein. Es ist die Zeit, in der wir die Fülle der Schöpfung, die Symphonie des Gelben, dankbar annehmen. Die Zeit der Aussaat liegt hinter uns, die Erntezeit kommt erst. Jetzt ist der Moment, um in der Hängematte zu liegen und Löwenzahn-Met zu trinken.

    Ich weiß nicht, ob mein Plädoyer jemanden überzeugen wird. Vielleicht bräuchte der Löwenzahn einen Dichter und keine Essayistin um für ihn zu werben. Walt Whitmans Gedicht The First Dandelion (Der erste Löwenzahn) hat nie die Anerkennung anderer Oden an Frühlingsblumen erlangt, was vielleicht daran liegt, dass man den Löwenzahn eher als sanftmütigen Unschuldigen denn als tapferen Kämpfer betrachtet hat.

    Aber auch wenn sein rettender Poet noch nicht erschienen ist, so hat der Löwenzahn doch bereits Anlass zum Nachdenken gegeben. Lilias Trotter, eine Missionarin, Schriftstellerin und Künstlerin des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts, schrieb:

    Dieser Löwenzahn hat längst seine goldenen Blütenblätter aufgegeben und ist in der Krönung des Absterbens angelangt – die zarte Samenkugel muss jetzt zerbrechen – er gibt und gibt, bis er nichts mehr hat.

    Was für eine Revolution würde über die Welt kommen – die Welt der hungernden Körper zu Hause, die Welt der hungernden Seelen im Ausland –, wenn dies der Maßstab des Gebens wäre; wenn Gottes Volk es wagen würde, sich „arm zu machen“, wie Jesus es tat, um der Not in der Umgebung willen; wenn das „ich“ – „mich“ – „mein“ praktisch aufgegeben würde, um nicht mehr erkannt zu werden, wenn es mit diesen Bedürfnissen kollidiert.

    Die Stunde dieses neuen Sterbens ist für die Löwenzahnblüte klar definiert. Sie ist durch ein Loslösen gekennzeichnet. Es gibt kein Gefühl des Zerreißens. Sie steht bereit und hält ihr kleines Leben hoch, ohne zu wissen, wann oder wo der Wind, der dort weht, wo er will, sie wegtragen wird. Sie hält sich nicht mehr für sich selbst, sondern als etwas, das gegeben werden soll; ein Hauch tut das Übrige und verwandelt die Bereitschaft in die Tat (vgl. 2 Kor 8,11). Und für eine Seele, die an diesem Todespunkt ankommt, werden selbst Handlungen, die aussehen, als müssten sie eine Anstrengung beinhalten, zu etwas Natürlichem, Spontanem, voller „himmlischer Unwillkürlichkeit“, werden einfach das Ergebnis der Liebe Christi.

    Der Löwenzahn ist ein offensichtliches Zeichen für die Liebe Christi: wie Trotter bemerkt, wegen seiner nicht berechnenden, diffusen Selbstent-äußerung. Dem Künstler Raffael dienen seine Bitterkeit und Stacheln als Symbole der Passion. Zu diesem Vergleich laden vielleicht auch seine Heilkräfte und die Anspielung auf den Löwen von Juda in seinem Namen, seinen Zähnen und seinem grimmigen kleinen Blütenkopf.

    Und vielleicht ist gerade die Verachtung, die wir dem Löwenzahn entgegenbringen, aus diesem Grund ein weiteres hoffnungsvolles Zeichen. Ob willkommen oder nicht, ob als Unkraut oder Blume, ob mit Herbiziden gequält oder in Kinderhänden gehalten, der Löwenzahn kommt immer wieder zurück. Er erscheint jedes Jahr unter der Sommersonne, überall, ohne Rücksicht auf unsere Proteste, und bietet sich allen als Nahrung und Freude, die von seiner Fülle kosten wollen.

    Von ClareCoffey Clare Coffey

    Clare Coffey ist Schriftstellerin. Sie lebt in Idaho.

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