My Account Sign Out
    View Cart

    Subtotal: $

    Checkout
    42EdsPicksHero

    Empfehlungen der Redaktion: Agonie des Eros

    von Hendrikje Machate

    Dienstag, 1. April 2025
    0 Kommentare
    0 Kommentare
      Abschicken

    Agonie des Eros | Sachbuch | Byung-Chul Han | (Matthes & Seitz Berlin, 95 Seiten)

    Byung-Chul Han, einer der scharfsinnigsten Diagnostiker unserer Zeit, entfaltet in Agonie des Eros eine beklemmende Analyse der Gegenwartsgesellschaft, die in ihrer Selbstbespiegelung das Wesen des Begehrens und damit auch die Möglichkeit wahrer Liebe zu ersticken droht. Das Buch ist keine bloße kultur-kritische Klage, sondern eine philosophische Intervention, die sich auf existenzielle Grundfragen unserer Zeit richtet: Wie verändert sich der Mensch in einer Gesellschaft der Selbstoptimierung? Was bedeutet es für die Liebe, wenn der Andere nicht mehr als wahrhaft anderes, sondern nur noch als Reflex des eigenen Ichs erscheint?

    Han beschreibt, wie die gegenwärtige Gesellschaft den Eros entkräftet, indem sie ihn einer neoliberalen Verwertungslogik unterwirft. Das klassische Subjekt, das sich über ein Gegenüber definiert, über das, was es nicht ist, löst sich auf in eine Selbstbezüglichkeit, die in allem nur sich selbst vervielfältigt. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit, die digitalen Plattformen und die Kultur des narzisstischen Selbst-Brandings verdrängen die Möglichkeit einer echten Begegnung. Der Andere verschwindet – er wird konsumiert, bewertet, optimiert, aber nicht mehr als radikal Fremder anerkannt. In dieser Welt bleibt kein Raum für den Eros als existenzielle Kraft, die den Menschen aus sich selbst herausführt und ihn verwandelt. Han verknüpft seine Gesellschaftsanalyse mit einem eindrücklichen philosophischen Narrativ: Das Verschwinden des Eros bedeutet auch das Verschwinden der Transzendenz, der Möglichkeit, über sich hinauszugehen. Liebe, in ihrem ursprünglichen Sinn, ist nicht nur ein Affekt, sondern eine Bewegung, die ihren Träger aus seiner Selbstbezogenheit entreißt. Wenn diese Bewegung versiegt, bleibt nur noch eine Welt der Oberflächen, in der Begegnungen flüchtig und Beziehungen funktional bleiben. Was in der Digitalisierung als totale Vernetzung erscheint, ist in Wahrheit eine neue Form der Vereinzelung, in der wahres Begehren keinen Raum mehr hat.

    Agonie des Eros ist eine radikale Reflexion über den Zustand der Gegenwart – ein Text, der nicht nur analytisch überzeugt, sondern auch eine ethische Herausforderung formuliert. Wer dieses Buch liest, wird mit einer unbequemen Wahrheit konfrontiert: dass unsere scheinbar so liberale, offene Gesellschaft in Wahrheit eine hochgradig normierende ist, die den Einzelnen in eine Selbstverwertungsmaschinerie einspannt, die jede Form von Differenz nivelliert.

    Han zwingt dazu, über das eigene Verhältnis zur Welt nachzudenken. Wie sehr ist man selbst bereits in diesen Mechanismen gefangen? Wie oft wird der Andere nur noch als Projektionsfläche der eigenen Bedürfnisse wahrgenommen? Und ist es überhaupt noch möglich, sich dem Blick des Anderen zu öffnen, ohne ihn sofort in einer Art Verzweckung aufzulösen?

    Dieses Buch zu lesen bedeutet, sich mit der tiefgreifenden Entfremdung unserer Zeit auseinanderzusetzen. Es ist ein Weckruf gegen die schleichende Verflachung des Begehrens und eine Einladung, die Möglichkeit des Anderen neu zu denken. Wer sich dieser Herausforderung stellt, wird Han nicht nur als Theoretiker, sondern als Dringlichkeit wahrnehmen – als einen Philosophen, der mit höchster Klarheit benennt, was auf dem Spiel steht.

    Von Hendrikje Margareta Machate Hendrikje Machate

    Hendrikje Margareta Machate studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte.

    Mehr lesen
    0 Kommentare